RotFuchs 186 – Juli 2013

Die Erde könnte 50 Milliarden Menschen ernähren

Malthus verrechnete sich

Hans Nieswand

Die in letzter Zeit gehäuft aufgetretenen Lebensmittelskandale und ganze Ketten solcher Geschehnisse wie das Auftauchen von Pferdefleischanteilen bei „erstklassigem Rindfleisch im eigenen Saft“, angebliche Bio-Eier aus Hunderten Lieferbetrieben, die nichts mit Bio zu tun haben, und obendrein noch riesige Mengen verschimmelter Futtermittel aus Serbien sowie die Überschwemmung der Welt mit genmanipuliertem Mais aus den USA lassen aufhorchen.

Die ursprünglich mit Bio-Produkten verfolgte Absicht ist unterdessen zu einer reinen Preisfrage verkommen. Die gezielt verbreitete Vorstellung, die Konsumenten wollten für gute Lebensmittel gerne auch mehr bezahlen, erscheint genauso irreführend wie die Behauptung von Ausbeutern, ihre „Arbeitnehmer“ seien über Niedriglöhne erfreut, wenn sie bei gleicher Arbeitsleistung weniger Entgelt bezögen, da sie vor allem froh seien, überhaupt Arbeit zu haben, wenn auch ohne redliche Vergütung.

Der Normalbürger sieht kaum noch durch, wenn es um gesunde und ausreichende Nahrung geht. Er hält sich deshalb lieber an „Bewährtes“ wie Pizza und Döner oder kriecht verlockender Aufmachung von Produkten in den Supermärkten auf den Leim. Hauptsache, das Auto fährt noch und die Penunsen reichen für die rasant steigenden Mieten.

Als Rettungsanker – besonders für junge Leute – bleibt ja dann noch der Weg zu den als Kreditgeber firmierenden Abzockern oder der Gang zu professionellen Schuldenberatern.

Unterdessen beklagen Großagrarier und Lebensmittelkonzerne ihre „kargen“ Einnahmen. Sie ziehen jedoch den Verbrauchern wie den von Insolvenz geplagten Bauern das Fell über die Ohren. Die Betroffenen selbst sind außerstande, ihrerseits an der agrarpolitischen Schraube zu drehen.

Besonders übel wirkt sich die rabiat um sich greifende Spekulation mit Grund und Boden aus. Immer mehr Agrarflächen – besonders im Osten der BRD – werden zweckentfremdet. Durch die für die meisten nicht überschaubare kapitalistische Globalisierung spitzt sich die Lebensmittelkrise auf dem gesamten Erdball weiter zu. Die Kluft zwischen den ökonomisch stärksten oder zumindest stärkeren Ländern, deren Handelsgiganten für preisgünstige Importe sorgen, und den hungernden Millionen Erdenbürgern ist unüberbrückbar geworden. Sie verbreitert sich ständig. Fast eine Milliarde Menschen erhält kaum Nahrung, weit mehr sind von Unterernährung betroffen.

Auch wenn es in der BRD Millionen Arme und Unterversorgte gibt, kann man nicht behaupten, daß auch dort bereits eine Hungersnot bestünde. Dennoch ist nicht zu übersehen, daß die Zahl der Kinder ständig zunimmt, die ohne Frühstück in die Schule geschickt werden, während immer mehr Menschen die vom Bundespräsidenten und von Ministerin Schröder gelobten „Tafeln“ in Anspruch nehmen.

Die katastrophale Unterversorgung der meisten Menschen mit Produkten agrarischen Ursprungs kann aber nicht zur Wiederbelebung der These von Malthus und seiner modernen Jünger führen, nach denen unser Planet zu flächenarm sei, um die weiter wachsende Erdbevölkerung ernähren zu können. Im Gegenteil, es ist inzwischen wissenschaftlich erwiesen, daß auf der Erde mindestens 50 Milliarden Menschen leben könnten. So liegt die Ursache des Debakels vielmehr darin, daß die Agrarkonzerne nicht nur einen unerhörten Druck auf die bäuerlichen Betriebe ausüben, sondern weltweit auch Absatz und Reproduktion bestimmen. Oftmals liegt der von kleinen Produzenten erzielte Preis weit unter deren Selbstkosten. Hinzu kommt, daß der Handel mit Saatgut, Zuchtvieh und Mineraldünger sowie die Verarbeitungskapazitäten in wenigen Händen konzentriert sind.

Die Bosse und Hauptaktionäre der Agrarkonzerne tragen vor allem Schuld daran, daß die Lebensmittelkrise mit der kapitalistischen Finanzkrise verschmilzt.

Im Gegensatz zu dem hier Geschilderten hatten die Genossenschaftsbauern in der DDR – in Weiterführung der demokratischen Bodenreform – der Ausplünderung des Dorfes durch die Großagrarier ein Ende bereitet. In historisch kurzer Frist waren sie dazu imstande gewesen, die Vorzüge der von ihnen frei gewählten sozialistischen Eigentumsform gegenüber dem privatkapitalistischen Wirtschaften unter Beweis zu stellen. Trotz des schweren Anfangs gelang es ihnen, eine insgesamt stabile und gesunde Lebensmittelversorgung auf einer landwirtschaftlichen Nutzfläche von etwa sechs Millionen Hektar – mit einem Acker-anteil von 4,8 Millionen – aus eigenem Aufkommen sicherzustellen.

Daraus ergibt sich die Frage: Was wäre erst möglich gewesen, wenn dieses Agrarsystem weiterhin und ausreichend mit der notwendigen Technik, modernen Stallanlagen und soliden Absatzkapazitäten hätte bestückt werden können? Mit anderen Worten: wenn der Sozialismus nicht zu Fall gebracht worden wäre.