RotFuchs 230 – März 2017

Menschen, seid wachsam!

Major a. D. Harry Pursche

Über Jahre habe ich die verquasten Beiträge des Hans-Dieter Schütt nicht mehr gelesen. Erinnert er mich doch immer, wenn er über den Sozialismus oder die DDR schreibt, ein wenig an Cato d. Ä., den römischen Senator für Landwirtschaft, der jede seiner Reden im Senat – gleich ob über Rüben oder Salat – mit dem Satz schloß, daß Karthago vernichtet werden müsse. Schütts Beitrag über das Schauspiel „Furcht und Elend des Dritten Reiches“ von Bertolt Brecht in Dortmund tue ich mir dummerweise an und lese „… später stiftete Brandt das höchste Gut: ,Mehr Demokratie wagen!‘ Ja, das Gegenteil von Faschismus ist nicht Antifaschismus, sondern Demokratie.“ (ND, 12. Januar 2017)

Doch wie sieht die Praxis aus? Seit Gründung der BRD gibt es neonazistische Parteien und Organisationen, die von Jahr zu Jahr stärker und dreister werden. Es gab den „Nationalsozialistischen Untergrund" (NSU), der 10 Jahre unbehelligt morden konnte. Das wäre ohne Schützenhilfe nicht möglich gewesen. Da werden faschis­tische Blutrichter bei ihrer Beerdigung als aufrechte Demokraten bezeichnet. Wie heißt es aber weiter bei Schütt: „Aber wer ist in seinem Innern wirklich und ohne Kompromiß und jederzeit – Demokrat?“ Soll das eine Entschuldigung für den Zustand dieser Republik sein? Da werden antifaschistische Gegendemonstranten, wie jährlich zum 13. Februar in Dresden, aber auch andernorts, eingekesselt, schikaniert und mit Ermittlungsverfahren überzogen. Daß bei Polizei, BKA und Verfassungsschutz eine gewisse Blindheit auf dem rechten Auge unübersehbar ist, beweist nicht nur der NSU-Skandal. Es gehört inzwischen zur „demokratischen Kultur“, daß Anschläge auf Parteibüros, vorwiegend der Linken, verübt werden. Im Chemnitzer Sonnenberg, die Rechten bezeichnen ihn als Nazi-Kietz, gab es allein in 17 Monaten 22 Anschläge auf ein Büro einer Abgeordneten der PDL, ohne daß dies verhindert werden konnte. Inzwischen existieren in zahlreichen Städten solche „Kietze“, in denen eine rechte Subkultur entstehen konnte. In den ersten drei Quartalen des vergangenen Jahres wurden 921 rechte Straftaten gegen Flüchtlinge, darunter 66 Brandanschläge, verübt, doch als „Gefährder“ werden vom Bundeskriminalamt mehr Linke als Rechte ausgemacht.

Wenn eine „kleine“ Partei wie die NPD laut Auffassung des Bundesverfassungs­gerichts keine Gefahr für den „Rechtsstaat“ darstellt, könnte ich doch als einzelner auch im FDJ-Hemd und unter Absingen des Weltjugendliedes über den Leipziger Markt spazieren. Wie lange müßte ich warten, bis mir ein Ermittlungsverfahren ins Haus schwebte? Eigentlich bin ich doch tausendfach ungefährlicher als eine so kleine Partei wie die NPD. Befürchten die Richter des Bundesverfassungsgerichts nicht, daß mit diesem Urteil die NPD für Rechtsradikale wieder attraktiver wird und daß diese Partei aktiver und aggressiver auftritt? Brennt es noch nicht häufig genug in diesem Land? Haben sie nicht mitbekommen, daß nach dem gescheiterten ersten Verbotsversuch längst Ausweichorganisationen entstanden? Möglicherweise wird die AfD schon bei den Landtagswahlen 2017 in einem der Bundesländer stärkste Partei sein. Nicht zuletzt wird das Urteil der AfD weiter Auftrieb geben. Die Dresdner Rede des Herrn Höcke ist wohl schon ein erstes Anzeichen.

Wie die Praxis zeigt, ist Antifaschismus unabdingbar für eine tatsächliche Demokratie. Und natürlich ist Anti-Faschismus das Gegenteil von Faschismus! Heute sind solche Mahnungen wie „Der Schoß ist fruchtbar noch, aus dem das kroch“ und „Menschen, seid wachsam!“ immer noch hochaktuell, um die Menschen zu warnen und aufzurütteln.