RotFuchs 211 – August 2015

Der Freie Radio-Bund kämpfte gegen eine
antikommunistische Äther-Blockade

Mikrofon frei für Ernst Thälmann!

Ullrich Brurein

Am 31. Juli 1932 hält zum ersten Mal ein prominenter Nazi, der „Reichsorganisationsleiter“ Gregor Strasser, eine beinahe halbstündige Rede im Rundfunk. Am nächsten Morgen leuchtet es in meterhohen Buchstaben weithin sichtbar von der Außenfront des neuen Berliner Funkhauses in der Masurenallee: „Thälmann vor das Mikrophon!“

Die Freigabe des Rundfunks für die Nazigrößen, nicht aber für die Partei der deutschen Arbeiterklasse, entsprach dem Gesicht dieser „Republik ohne Republikaner“, wie sie Kurt Tucholsky mit spitzer Feder klassifizierte.

Doch das deutsche Proletariat fand sich damit nicht ab. Ich entsinne mich noch heute daran, wie ich 1927 als blutjunger Redaktionsvolontär der „Hamburger Volkszeitung“ die Kampagne für den Antrag der KPD-Bezirksleitung Wasserkante auf Benutzung des Rundfunks vor den Bürgerschaftswahlen zu führen hatte, um das Mikrofon auch für den Spitzenkandidaten Ernst Thälmann freizukämpfen. Leider blieb diese Aktion erfolglos, trug aber zur Bloßstellung des bürgerlichen Rundfunkmonopols bei. In Zukunft sollte die Losung „Mikrophon frei für Ernst Thälmann!“ bei jeder Wahl in ganz Deutschland erklingen.

Der KPD-Vorsitzende erhielt allerdings nie die Möglichkeit, die Vorstellungen seiner Partei Rundfunkhörern zu erläutern. Doch an Ideen fehlte es nicht. Karl Grünberg schilderte, wie selbst eine von der Regierung Preußens im Reichstag veranstaltete „Kulturkundgebung“ mit geladenen Gästen genutzt werden konnte. Bombastisch rief Carl Severing aus: „In keinem Land der Erde werden so viele Bücher gedruckt wie bei uns“, worauf aus der Mitte des Saales der ergänzende Zwischenruf kam: „… und so viele Bücher verboten! … Warum haben Sie die Aufführung von ‚Giftgas über Berlin‘ verboten?“ Und nun ging es Schlag auf Schlag. Überrumpelt, vergaß man sogar die Rundfunkübertragung abzubrechen. Der erste, der nach dem Zwischenruf von uniformierten Reichstagsangestellten aus dem Saal gewiesen wurde, war Johannes R. Becher.

Doch bei Aktionen dieser Art blieb es nicht. Nach einem Bericht der Oberpostdirektion Berlin vom 12. November 1932 wurde ihr durch Anrufe von Rundfunkhörern bekannt, daß auf der Berliner Welle ein Sender zu hören gewesen sei, der „kommunistische Wahlreden“ verbreitete. Nach der Lage der Empfangsstellen mußte dieser im Norden Berlins zu suchen sein. Ein Radiobesitzer in der Pankstraße stellte für die Beobachtung des Senders einen Raum zur Verfügung. Von dort wurden besondere Leitungen über das Fernamt zur Funkstunde geschaltet, um die Sendung auf Wachsplatten festzuhalten, während Beamte mit Suchgeräten die verdächtigen Häuserviertel beobachteten. Die Kriminalpolizei stand für eine Beschlagnahme des Senders bereit.

In den Dezembertagen 1932 meldete sich der unbekannte Sender erneut, um – wie die Polizei verstört registrierte – abermals „kommunistische Wahlpropaganda“ zu betreiben. Das Aufnahmeprotokoll der Polizei verzeichnete die Ankündigung der Sendung mit echt preußischer Gründlichkeit, so daß ihr Text erhalten blieb.

Er lautete: „Hier ist der Rote Sender für das Rote Berlin! Wir danken allen bürgerlichen Blättern für die Aufmerksamkeit und die gewiß ungewollte Propaganda, die sie durch ihre Berichterstattung über unsere bisherigen Sendungen geleistet haben. … Keine Knebelung der Presse, kein Redeverbot, keine Rundfunksperre können uns davon abhalten, regelmäßig unsere Meinung in die Lautsprecher werktätiger Hörer zu funken. Ganz besonders bedanken wir uns bei der Politischen Polizei. Die Welt würde lachen, wenn sie erführe, wie deren Schergen uns dabei geholfen haben, unsere Apparate zu transportieren. Es ist nicht so einfach, Schwarzsender unschädlich zu machen wie eine Klebekolonne festzunehmen. Also: Bahnfrei für unseren Roten Sender!“

In den letzten Jahren vor dem Machtantritt der Faschisten wurden Leitungen angezapft, um in offizielle Reden – z. B. die Neujahrsansprache Hindenburgs 1931 – antifaschistische Losungen und treffsichere Zwischenrufe einzublenden. Illegale antifaschistische Sender – Vorläufer des „Freiheitssenders 29,8“ in Spanien, der Sender des „Nationalkomitees Freies Deutschland“ sowie des Funkverkehrs der „Roten Kapelle“ traten wirkungsvoll in Erscheinung. Aus einem vertraulichen Schreiben des Oberpräsidenten der Rheinprovinz an den preußischen Minister des Innern vom 9. Februar 1933 geht hervor, daß allein im Ruhrgebiet und am Niederrhein sechs illegale Kurzwellensender arbeiteten. Wenige Wochen nach der „Machtergreifung“ Hitlers am 30. Januar 1933 hieß es in einem Polizeibericht: „In der Rundfunkübertragung der Rede des Reichskanzlers aus der Stadthalle auf dem Sender Mühlacker trat um 21.15 Uhr plötzlich eine Unterbrechung ein. Seine Rede war um 21.45 Uhr zu Ende, ohne daß es möglich gewesen wäre, die Übertragung wiederaufzunehmen, da sämtliche Leitungen zur Stadthalle unterbrochen waren.“

Mit der Gründung des Freien Radio-Bundes im Jahre 1929 hatte ein frischer Wind in der Arbeiter-Radio-Bewegung zu wehen begonnen. Am 26. September 1931 suchte eine von Borsig-Arbeitern und Erwerbslosen gewählte Delegation das Funkhaus auf, um dem überraschten Intendanten des Deutschlandsenders vorzuwerfen, er lasse nur „ausgesuchte Rußlandgegner“ ans Mikrofon.

Eine Form des ideenreich geführten Kampfes um den Hörfunk waren Vorschläge für Gegenprogramme, wie sie namhafte deutsche Schriftsteller – unter ihnen Johannes R. Becher, Ludwig Renn, Anna Seghers und F. C. Weiskopf – an die Deutsche Welle richteten, um der offiziellen Antisowjethetze im Rundfunk, die von den Faschisten bis weit in die SPD hinein betrieben wurde, entgegenzutreten. Ein anderes Mittel des Widerstandes waren Massenkritik-Abende, an denen bestimmte Rundfunksendungen gemeinsam abgehört und anschließend eingeschätzt wurden. Nach jahrelangen Bemühungen hatten die Organisationen der Arbeiterschaft 1927 endlich erreicht, daß der Rundfunk wenigstens dazu bereit war, vom 1. Mai Notiz zu nehmen. Doch als der linke Sozialdemokrat Siegfried Aufhäuser mitten in seiner Mai-Rede war, ereignete sich eine „technische Störung“. So steckte viel Wahrheit in der Mahnung des Freien Radio-Bundes: „Vergiß es keinen Tag, Prolet, daß hinter Deinem Funkgerät, ob Spiel, ob Ernst, von früh bis spät der Gegner Deiner Klasse steht.“

Worte, die ihre Gültigkeit – mit Blick auf die Medien der BRD – nicht verloren haben.

aus „FF dabei“, Nr. 27/1972