RotFuchs 192 – Januar 2014

Briefmarken offenbaren den Charakter eines Staates

Philatelistische Visitenkarte der DDR
(Teil 8)

Rainer Albert

Irgend jemand warf unlängst in einer Diskussion die Frage auf: Tragen Briefmarken eigentlich Klassencharakter? Sie besitzen diesen ebensowenig wie Eisenbahnen, Busse oder Flugzeuge. Aber natürlich kommt es darauf an, wer den meisten Nutzen aus solchen jedermann zugänglichen Transportmitteln oder – auf Briefmarken bezogen – aus den für Geld erhältlichen Stückchen bedruckten und gummierten Papiers zu ziehen vermag. Bei Postwertzeichen kommt noch etwas hinzu, was sie von Beginn an aus jeglicher Indifferenz heraushebt und von beliebigen Vehikeln deutlich unterscheidet: Während die Briefmarke selbst gewissermaßen neutral ist, kann man das von den jeweils gewählten Motiven, die eine durchaus an Klasseninteressen orientierte Absicht verfolgen, nicht sagen. Diese und mit ihnen verbundene Vokabeln drücken immer eine bestimmte Absicht zur Beeinflussung des Benutzers wie auch zur Selbstdarstellung des sie editierenden Staates aus. So wäre es unvorstellbar gewesen, daß die BRD plötzlich eine Serie mit den Porträts herausragender Kommunisten oder anderer profilierter Kämpfer gegen den Kapitalismus herausgebracht hätte, während andererseits eine Sondermarken-Reihe der DDR mit den Konterfeis von Adenauer und Globke, Krupp und Flick ebenso fern jeder Realität gewesen wäre.

Obwohl in ihrer technischen Funktion und in ihrem Gebrauchswert klassenneutral, sind Briefmarken andererseits in ihrer inhaltlichen Aussage unverzichtbare Instrumente in der politischen Auseinandersetzung wie im Klassenkampf zwischen Ausbeutern und Ausgebeuteten, Bourgeoisie und Proletariat, Kapitalismus und Sozialismus.

Dieses Bild wird noch plastischer, wenn man sich die soziale Orientierung, den Klassenbezug der Editionen beider deutscher Staaten bis 1989 ansieht. An ihm läßt sich unschwer auf jene Kräfte schließen, die in der DDR wie der BRD die politische Herrschaft ausübten. Keineswegs zur Selbstbeweihräucherung, sondern als Ausdruck der Realität bezeichnete sich der sozialistische deutsche Staat als Arbeiter-und-Bauern-Macht. Diese beiden Klassen spielten bis zum Ende der staatlichen Existenz der DDR die dominierende Rolle in der Gesellschaft. So war es durchaus kein Zufall, daß zahlreiche DDR-Postwertzeichen das offenbarten. Nicht etwa in Gestalt einer abstrakten Verkündung, sondern durch die Darstellung konkreter Bereiche des Wirkens Arbeitender in Stadt und Land, in verschiedenen Produktionssphären und Wirtschaftszweigen.

Heute wollen wir unsere Leser mit Editionen zu zwei industriellen Schwerpunkten vertraut machen. Es handelt sich um kleine Serien der Post der DDR zum Thema „750 Jahre Mannsfelder Kupferschieferbergbau“ (1950) und zum „Tag des Chemiearbeiters“ (1960).

Anders als in der BRD, wo die Hundts und Henkels schon immer den Ton angaben und den Gewerkschaften – besonders seit dem Wegfall der DDR als dem unsichtbaren dritten Tarifpartner am Verhandlungstisch – die Flügel gestutzt wurden, verfügte der Freie Deutsche Gewerkschaftsbund (FDGB) über weitreichende Rechte und Vollmachten. Er besaß nicht nur unzählige Ferienheime, sondern war sogar in der Volkskammer – dem DDR-Parlament – durch eine eigene Fraktion vertreten. Diese Machtfülle drückte sich nicht zuletzt auch in etlichen Briefmarkenserien aus. Wir vervollständigen daher unsere diesmalige Präsentation durch zwei von bekannten DDR-Künstlern gestaltete Editionen zum 10. und zum 11. FDGB-Kongreß – landesweit beachteten Veranstaltungen, die 1982 und 1987 stattfanden.