RotFuchs 233 – Juni 2017

Politkrimi oder Provokation?

Prof. Dr. Horst Schneider

Am 13. Juni 1947 starb der Oberbürgermeister Dresdens und Sachsens Minister­präsident Dr. Rudolf Friedrichs an Herzversagen.

Gemeinsam mit zwei anderen „Grauköpfen“ – Otto Buchwitz, dem sächsischen SPD-Vorsitzenden und Landtagspräsidenten, und Hermann Matern, dem KPD-Vorsitzenden – hatte er sich beim Neuaufbau Sachsens und vor allem der Elbmetropole unver­gäng­liche Verdienste erworben.

Für seine nach dem Ende des 2. Weltkrieges erbrachten übermenschlichen Leis­tungen ist er in der DDR hoch gewürdigt worden, zuletzt 1989 in der „Deutschen Geschichte“ und der Benennung einer Dresdner Elbbrücke nach ihm. In meiner Biographie über Dr. Friedrichs sind seine Aktivitäten, um das Leben in Dresden wieder in Gang zu bringen, sowie sein persönlicher Beitrag zum Gelingen des Volksent­scheids über die Enteignung der Kriegs- und Naziverbrecher am 30. Juni 1946 festgehalten. Nach dem Ende der DDR sah man sich am Hannah-Arendt-Institut veranlaßt, dieser „Diktaturdurchsetzung in Sachsen“ nachzugehen. So geriet Friedrichs in die Schußlinie derer, die heute genau wissen, was damals demokratisch gewesen wäre. Ein Spezialist auf diesem Gebiet ist Mike Schmeitzner, der nicht verstehen kann, warum Friedrichs für die Arbeitereinheit – also die Zusammenarbeit mit Kommunisten – eintrat. Einen tadelnden Satz hat Schmeitzner auch für die Zustimmung Friedrichs’ zum Volksentscheid in Sachsen, dessen Motor er war, übrig. Arbeitereinheit und Volksentscheid bleiben Ruhmesblätter in der Geschichte der sächsischen Arbeiterbewegung und der antifaschistisch-demokratischen Revolution in der DDR.

Um Ehre und Würde eines ungewöhnlichen Menschen zu verteidigen, will ich hier über eine Episode aus meinem Leben berichten, in deren Mittelpunkt sein Tod steht. Sie begann mit einer Gedenkveranstaltung am 50. Todestag von Friedrichs am 13. Juni 1997 im Dresdner Rathaus. Der Kreml-Astrologe Wolfgang Leonhard sprach in seinem Beitrag die Vermutung aus, daß der sächsische Ministerpräsident von seinem Innenminister vergiftet worden sei und brachte lächerliche „Indizien“ vor. Sein Kronzeuge war Robert Bialek (KPD), nach 1945 führender FDJ-Funktionär, zuletzt in britischen Diensten. Mein verehrter politischer Lehrer, Otto Buchwitz, sollte von dem angeblichen Mord gewußt haben. Bialek hatte ich 1945/46 als Prahlhans und Lügenbold kennengelernt. Zudem war mir bekannt, daß Ministerpräsident Kurt Biedenkopf schon 1992 (!) den bürgerlichen Experten für sächsische Geschichte, Professor Dr. Blaschke, aufgefordert hatte, eine Studie zum „Giftmord“ an Friedrichs anzufertigen. Blaschke konnte Biedenkopf nichts bieten, weil nichts da war. Aus der Vermutung Leonhards wurde dank „unabhängiger“ Medien plötzlich Gewißheit: Fischer habe Rudolfs vergiftet, wurde behauptet. Meine Empörung zwang mich zum Handeln. Ich begann zu recherchieren und hatte Ende August 1997 eine 30seitige Studie auf dem Tisch. Professor Dr. Justus, der als junger Arzt an der Obduktion des Toten beteiligt gewesen war, hatte mir die Krankenakte kopiert. Daraus ging hervor, daß Friedrichs seit Jahren herzkrank gewesen war, es aber damals keine Möglichkeit zur erfolgreichen Behandlung gab.

1997 lebten auch noch Friedrichs’ Chefsekretärin und einige seiner Mitarbeiter, die den Zusammenbruch ihres Chefs miterlebt hatten. Schließlich blieben noch Kriminal­kommissar Adler und der Staatsanwalt, die den „Giftmord“ bearbeiteten. Der Krimi­nalist hatte die Untersuchungen abgeschlossen. Der Staatsanwalt war in Urlaub. Ich schickte meine Recherche per Post an ihn. An einem späten Abend Mitte September erhielt ich seinen Anruf: „Ihre Recherche stimmt.“ Daraufhin versandte ich dreißig Exemplare an die bis dahin Beteiligten, u. a. an Biedenkopf, Leonhard, Schmeitzner und Richter und einige Zeitungen, welche die Lüge verbreitet hatten. Ich hoffte, daß der Spuk damit zu Ende sei. Ich hatte mich getäuscht.

Die Mitarbeiter des Hannah-Arendt-Instituts für Totalitarismusforschung in Dresden, Dr. Michael Richter und Dr. Mike Schmeitzner, die Verfasser der „Giftmordstory“, bestätigten ihre Kenntnis meiner Recherche: „Die erste Fassung der Arbeit von Professor Schneider erschien am 15. 9. 1997 in maschinenschriftlicher Form (,Die Giftmordstory des Stalinismus-Experten Wolfgang Leonhard‘, eine zweite, ebenfalls in maschinenschriftlicher Form (,Ein in sich gespaltenes Land kann nicht bestehen‘).“

Ich stelle fest: Die Verfasser der „Giftmordstory“ wußten von Anfang an, daß sie Lügen verbreiten. Daraus ergeben sich Fragen, die von prinzipieller Bedeutung sind: Welches Interesse konnte Biedenkopf daran haben, einen „Giftmord“ von Totalitaris­musforschern untersuchen zu lassen, ein lügnerisches Ergebnis zu prämieren und bei der öffentlichen Präsentation der Story dabeizusein? Warum überließ er die Unter­suchung eines von Leonhard behaupteten Verbrechens nicht den zuständigen Staatsorganen? Wie ist erklärbar, daß Politiker und Historiker sich nicht an das halten, was tatsächlich gewesen war, sondern daß sie ein erlogenes Feindbild verbreiten? Wie kam es dazu, daß der SPD-Chef Jurk bei diesem schäbigen Spiel mitmachte? Warum mußten die Biographien Friedrichs’ und Fischers in das Schema der Totalitarismusdoktrin gezwängt werden? Warum wurde das 318seitige Buch mit Hilfe der Landeszentrale für politische Bildung gedruckt und noch jahrelang ver­breitet, als die „Giftmordstory“ längst als Lügengebäude zusammengefallen war?

Der 70. Todestag Rudolf Friedrichs’ könnte eine Gelegenheit sein, dem Ehrenbürger und seinen Mitstreitern den Platz in der Geschichte Dresdens zuzuweisen, der ihnen gebührt.