RotFuchs 225 – Oktober 2016

Ptitschka oder Dank an
einen verstorbenen Freund

Fritz Klier

Es gibt schon merkwürdige Sachen im Leben! Da liege ich bei der Dialyse mit einem Mann zusammen, der in seinem früherer Leben Dolmetscher war, also einen sehr schönen Beruf hatte, bei dem man überall dabei war, ohne jedoch inhaltlich irgendeine Verantwortung zu haben. Dieser Mitpatient hat aber die Fähigkeit, mit großer Neugier alle Menschen, die in seine Nähe kommen, zu befragen. So traf er auch auf den Chefredakteur des „RotFuchs“, Klaus Steiniger. Er fragte den gründlich aus und erzählte ihm natürlich alles Wissenswerte auch über seine Zimmerkollegen, darunter auch den Fakt, daß einer seiner Gefährten eine Frau hatte, die zu DDR-Zeiten Richterin am Obersten Gericht war, nämlich eine gewisse Frau Klier.

„Mädchen mit Taube“ von Walter Womacka

Da wurde Klaus Steiniger hellhörig und erkundigte sich, ob das etwa die Ptitschka (vom russischen Ptak = Vogel) war, die er aus der Studienzeit kenne, wenn er nicht sogar mit ihr schon auf die Schinkelschule gegangen sei. Den Spitznamen Ptitschka hätte sie dort erhalten, weil sie nicht nur ein ausgesprochen hübsches Mäd­chen war, sondern liebend gerne und sehr schön gesungen habe. Mich habe er nie persönlich kennengelernt, wußte aber von unserer ehelichen Beziehung.

Als mein Mitpatient mir das erzählte, ich weiß nicht, wie mir da geschah. Mir wur­de ganz heiß ums Herz, und ich mußte mich schon sehr beherrschen, um nicht in Freudenrufe auszubrechen ob dieser völlig unerwarteten Begegnung mit der Frau, mit der ich nicht nur fast fünfzig Jahre verheiratet war, sondern die meine Kampf­gefährtin für ein ganzes Leben gewesen ist. Ich verbarg mich unter meiner Decke und mußte erst einmal verarbeiten, was mir soeben geschehen war.

Es stimmte ja alles, aber daß ein für mich „wildfremder“ Mann sich noch an seine Schulzeit erinnerte und in dieser Erinnerung meine geliebte Frau eine Rolle spielt, war doch wirklich sehr wunderbar.

Wir hatten uns im Chor der Humboldt-Universität kennengelernt und gemein­sam gesungen. Aber weit über diese Zeit hinaus gehörte das Singen zu unserem Le­ben. Damals hatten wir im Auto noch kein Radio, aber sobald wir eingestiegen waren, um zum Beispiel nach Rauchfangswerder in unseren Garten zu fahren, fielen uns unsere schönen Lieder aus der Chorzeit, aber auch Schlager aus dem Alltag ein, und wir trällerten fröhlich los. Vor allem wenn wir längere Fahrten zu meiner Mutter nach Rastenberg in Thüringen unternahmen, haben wir unsere „Konzerte“ gegeben, später schon unter Mitwirkung unseres Töchterchens Kristina, die auch auf diese Weise mit der Musik vertraut gemacht wurde und bald selbst im Schulchor eifrig mit­sang. Ich muß gestehen, während ich diese Zeilen schreibe, umfängt mich das Glücks­gefühl eines guten gemeinsam erfüllten Lebens, das ich niemals vergessen möchte. Nun gibt es einen Grund mehr, mir jeden Abend das Bild meiner Irmgard anzusehen und einfach dankbar zu sein.

Ich habe schon daran gedacht, mich vor Freude an Klaus Steiniger zu wenden, werde das aber lassen, um nicht aufdringlich zu sein. Doch es ist wunderschön – wenn auch um drei Ecken herum –, solche Freunde zu haben, von denen man sagen kann: „Uns vereint gleicher Sinn, gleicher Mut!“ Danke, unser gemeinsamer – wenn auch mir unbekannter – Freund Klaus!

Aus Horst Jäkel (Hrsg.): Heimat DDR
GNN-Verlag, Schkeuditz 2015, 374 Seiten, 19,00 €.
(Redaktionell bearbeitet)