RotFuchs 236 – September 2017

„Rechter Populismus“

Joachim Bischoff

Die Lage ist unübersichtlich. Die Mobilisierung der Rechtspopulisten ist auch 2017 immer noch begrenzt und bei glaubwürdiger sozialer Politik in Deutschland und Europa einzudämmen. Aber angesichts der Entwicklung der Rechtspopulisten in Österreich, Frankreich, den Niederlanden und des Populismus in Italien bestehen Gefahren, daß sie bei einer erfolgreichen Strategie des Euro-Austritts etwa in Italien eine unkontrollierbare ökonomische und soziale Kettenreaktion ökonomischer und politischer Turbulenzen auslösen können, wenn demokratische Politik sich nicht beizeiten dem Trend entgegenstellt.

Bei der Parteigründung im Februar 2013 war die AfD europa- und eurokritisch, profi­lierte sich durch eine nationale Orientierung einer entschiedenen neoliberalen Politik und wies zugleich einen nationalkonservativen Flügel auf. Seither ist die AfD nach rechts gedriftet. Ein zentraler Meilenstein war der Parteitag in Essen Anfang Juli 2015. Dort wurde der damalige Vorsitzende Bernd Lucke durch das Duo Petry und Meuthen ersetzt und der Rechtsruck der Partei auch personell sichtbar.

Der Rechtstrend ging seither weiter. Die AfD ist heute eine rechtspopulistische Partei mit einem starken völkisch-nationalistischen Flügel. Diese Einfärbung existiert nicht überall, auch nicht alle an der Parteispitze verfolgen diese Linie. Aber das dynami­sche Zentrum der Partei um Björn Höcke und André Poggenburg ist auf diesem Kurs.

In fast allen Bundesländern toben Machtkämpfe zwischen rechts und extrem rechts. Der Vorstand scheiterte wiederholt mit der Abgrenzung gegen die, die mit Neonazis der NPD wie im Saarland kooperieren, an der Schiedskommission. Die Partei ist weit­hin in der Hand des rechten Flügels und – ein deutsches Spezifikum, das ihre Aus­dehnung auch begrenzt – vielfach verflochten mit extremen neuen Rechten, aber auch, wie in Thüringen, mit breiten Gewaltszenen.

Die modernen rechtspopulistischen Bewegungen zeichnen sich in Absetzung von der extremen Rechten durch drei zentrale Merkmale aus:

Sie bündeln und artikulieren die in breiteren Bevölkerungsschichten vorhandenen Ängste und Ressentiments, die sich in erster Linie auf künftige Statusverluste, aber auch auf kulturelle Verunsicherungen gründen.

Der Rechtspopulismus sieht die einheimische Bevölkerung als Opfer gegenüber Frem­den (Migranten, Flüchtlingen). Die Benachteiligten seien angeblich von politischer Mit­wirkung ausgeschlossen, müßten jedoch die Folgen in puncto Finanzierung und Sicherheit ausbaden.

Die moderne Rechte grenzt sich unter Berufung auf das Volk radikal gegen die „herr­schende politische Klasse“ ab, der eine Politik der schleichenden Auswechslung der Bevölkerung unterstellt wird. Die rechtspopulistischen Bewegungen fordern die Ein­richtung einer autoritärcharismatisch gelenkten „Bürgerdemokratie“. Grundlage der politischen Mobilisierung sind Anti-Establishment-Affekte. Populistische Parteien sind Anti-Establishment-Parteien, die vorgeben, für das wirkliche Volk zu stehen.

Auch die AfD versteht und inszeniert sich als Gegenstimme zu den „Alt-Parteien“. Ge­genüber der auf Affekt gestützten radikalen Ablehnung des politischen Establish­ments und der Medien („Lügenpresse“) tritt die Programmatik der AfD in den Hinter­grund. Die Partei selbst entwickelt und verändert ihre Ziele; die marktradikalen, neo­liberalen Forderungen und Begründungen verlieren an Bedeutung. Dem Großteil der Wählerinnen und Unterstützerinnen der AfD sind die programmatischen Bausteine im Detail unbekannt. Ihnen genügt das öffentliche Bild, das über die AfD im Umlauf ist: gegen Einwanderung, gegen den Islam, gegen die EU. Die Wähler lassen sich wenig davon beeinflussen, daß die Parteiführung in politische und personelle Konflikte über den weiteren politischen Kurs verstrickt ist.

Seit der deutlichen Ausweitung der Bewegung von Zuflucht Suchenden nach Deutschland im Spätsommer 2015 hat die AfD ihren politischen Schwerpunkt von der Euro- und Europakritik auf die Asylpolitik und vor allem auf eine Abgrenzung gegen­über Migranten aus islamischen Ländern ausgerichtet. Sie stützt sich auf Befürch­tungen und Vorurteile in großen Teilen der Bevölkerung, die der Zuwanderung skep­tisch oder ablehnend gegenüberstehen. Die AfD unterstützt und instrumentalisiert ein einseitiges und negatives Bild vom Islam.

Die wachsende soziale Polarisierung, das Gefühl, daß sich die individuellen Anstren­gungen nicht mehr lohnen und die Zukunftsperspektiven der Kinder verbaut sind, sowie der Eindruck, daß die politische Klasse sich darum nicht kümmert, sind we­sentliche Faktoren für den Aufstieg des Rechtspopulismus. Gesellschaftliche Basis für den Rechtspopulismus ist ein historisch-spezifisches Ressentiment, d. h. den Einstellungen und Handlungen liegt das Gefühl chronischer Ohnmacht gegenüber erlittener Benachteiligung zugrunde. Das Ressentiment im Wortsinne ist ein Re-Sentiment, ein bloßes Wieder-Fühlen der Selbstwertverletzung.

Die neoliberale Politik hat einerseits eine Aufwertung der Subjektivität in der gesell­schaftlichen Wertschöpfung gefördert und gefordert. Andererseits sind weder die Leistungsansprüche noch der Selbstwert befriedigt worden. Mehr noch: Technologi­scher Wandel, Globalisierung sowie die Schwächung von „Arbeitnehmer“rechten haben in den letzten Jahrzehnten mit all ihren zerstörerischen Folgen die Basis für die Entstehung und Verbreitung sozialer Ungleichheit geschaffen, die sich in ein antistaatliches, gegen das Establishment gerichtetes Ressentiment umsetzt.

Das Ressentiment ist kein spontaner Reflex auf ein erlittenes Unrecht. Das Gefühl der Kränkung ermöglicht die Ausprägung und das Bedienen ethnozentrisch-frem­denfeindlicher, nationalistischer oder antisemitischer Ideologieelemente und poli­tisch-psychologischer Bedürfnisse. Die rechtsnationale Mobilisierung gründet in der unzureichenden Partizipation an der allgemeinen Wohlstandsentwicklung. Die Ent­fesselung des Ressentiments erstreckt sich über bewußt miteinander verknüpfte Themen wie Einwanderung, Kriminalität, Globalisierung, innere Sicherheit und nationale Identität.

Die häufig vorgebrachte Hypothese, daß vor allem die unterste soziale Schicht für diesen massiven Legitimitätsverlust des politischen Systems verantwortlich sei, ist fragwürdig. Der Sachverhalt ist komplizierter: Auch die untere soziale Schicht ist von dem Establishment enttäuscht, verspricht sich aber von Wahlen keine Besserung mehr. Europaweit gilt: Je prekärer die sozialen Lebensverhältnisse, desto geringer ist die Wahlbeteiligung.

Schlußfolgerung: Die sinkende Wahlbe-teiligung ist in Europa Ausdruck einer sozialen Spaltung der Wählerschaft. Die demokratische Willensbildung wird zu einer immer ex­klusiveren Veranstaltung der Bürgerinnen und Bürger aus den mittleren und oberen Sozialmilieus der Gesellschaften, während die sozial schwächeren Milieus deutlich unterrepräsentiert bleiben.

Sie beteiligen sich nicht mehr an der politischen Willensbildung. Langzeituntersu­chungen in westlichen Demokratien belegen: Mit der sozialen Ungleichheit wächst die politische Ungleichheit, zu-nächst im Sinne ungleicher Partizipation. Es kommt zu einer Wirkungskette aus wachsender sozialer Ungleichheit, ungleicher politischer Partizipation und schließlich Entscheidungen zugunsten der politisch Aktiven, in deren Folge die Nichtbeteiligten benachteiligt werden.

Ohne einen grundlegenden Politikwechsel mit deutlichen Kurskorrekturen bei sozialer Sicherheit und Eingriffen in die Verteilungsstrukturen wird sich weder dauerhaft die Sozialdemokratie auf ihre frühere Stärke erholen, noch der Rechtspopulismus einge­hegt werden können. Werden die Verschiebungen in den Verteilungsverhältnissen als Grund für Enttäuschungen und Wut anerkannt, folgt daraus die Notwendigkeit – in Auseinandersetzung mit den „abgehängten“ Teilen der Bevölkerung – eines tiefgrei­fenden Programms der gesellschaftlichen Veränderung.

Gekürzt aus „FriedensForum“ 3/2017

Joachim Bischoff ist Ökonom und Sozialwissenschaftler in Hamburg.