RotFuchs 202 – November 2014

148 Juristen unter 637 Bundestagsabgeordneten
von CDU/CSU, FDP und SPD

Rechtskenner demontierten Rechtsstaat

Ing.-ök. Carl-Franz Lembke

Im Oktober brachten Fernseh- und Rundfunkstationen sowie die Tagespresse ohne Unterlaß Beiträge zum 24. Jahrestag der „deutschen Wiedervereinigung“. Verstärkt wurden Schüler dazu veranlaßt, Eltern und Großeltern über ihr Leben in der DDR, ihre Einstellung zum Staat, zu befragen.

Bundestagsabgeordnete nahmen sich seit 1991 die Freiheit heraus, Teile des BRD-Sozialrechts in Strafrecht umzuwandeln und gegen ihnen unliebsame DDR-Bürger anzuwenden. Erinnert sei nur an das Rentenüberleitungsgesetz (RÜG) vom 25. Juli 1991.

Wenige Tage später – am 1. August – trat das Anspruchs- und Anwartschafts-Überführungs-Gesetz (AAÜG) in Kraft. Damit wurde die Eingliederung der DDR-Renten und -Rentenanwartschaften in die gesetzliche Rentenversicherung der BRD geregelt. Wie es hieß, sollten alle Personen, die in der DDR versichert gewesen waren, grundsätzlich gleich behandelt und die Rentenhöhe unter Beachtung der jährlichen Beitragsbemessungsgrenze errechnet werden.

Die Bundespolitiker fanden unter Gleichen aber sofort und gewollt auch Ungleiche heraus. Ihr politischer Auftrag lautete, die DDR zu delegitimieren. Sie erfüllten ihn gegen geltendes Recht. Die Order hierzu erteilte ihnen der seinerzeitige Justizminister Klaus Kinkel mit den Worten: „Sie, meine Damen und Herren, haben als Richter und Staatsanwälte bei dem, was noch auf uns zukommt, eine ganz besondere Aufgabe, und Sie müssen einen sehr wesentlichen Teil davon leisten. Das, ohne jede andere Alternative. Es muß gelingen, das SED-System zu delegitimieren!“

Das war ein ungesetzlicher Eingriff in die Freiheit richterlicher Entscheidungen. Zur Schande vieler Juristen wurde dann ihr Tätigwerden in dieser Sache: Sie erfüllten Kinkels Weisung mit Eifer, insbesondere die Richter der Sozialgerichte, und verurteilten frühere DDR-Bürger, die nichts anderes getan hatten, als ihre Arbeits- oder Eidespflicht in Treue zu ihrem Staat zu erfüllen.

Für Angehörige von Zusatz- und Sonderversorgungssystemen im Rentenrecht der DDR wurden spezielle Regelungen getroffen. Danach erfolgten bei Generaldirektoren, LPG-Vorsitzenden, Mitarbeitern des Staatsapparates, der GST, des FDGB, der SED und der anderen Blockparteien sowie bei Angehörigen der NVA, der Volkspolizei, des MfS/ANS, der Feuerwehr, des Strafvollzugs und der Zollorgane erhebliche gesetzeswidrige Verminderungen ihrer Renten bzw. Rentenansprüche.

In den neuen Bundesländern formierte sich gegen dieses Rentenstrafrecht organisierter Widerstand. Den Parlamentariern, die diese diskriminierenden Normen beschlossen hatten, wurde im weiteren Verlauf der juristischen Auseinandersetzungen am 28. April 1999 vom Bundesverfassungsgericht nachgewiesen, daß sie grundgesetzwidrig gehandelt hatten. Ihre Gesetzesbasteleien wurden als Verstöße gegen das Grundgesetz und das Sozialgesetz sowie als nichtige Rechtsentscheidungen bezeichnet.

Bei der Lesung und Abstimmung über RÜG und AAÜG bestand der Bundestag aus 662 Abgeordneten. Davon hatten 22,36 % eine juristische Ausbildung. 148 Abgeordnete – Professoren, Doktoren, Notare, Rechtsanwälte sowie Rechts- und Sozialrechtswissenschaftler – waren keineswegs als Unkundige zu betrachten. Sie machten indes bei der Beugung des Rentenrechts mit, verstießen bewußt und gewollt gegen das GG und das Sozialgesetz der BRD.

Von 319 CDU/CSU-Abgeordneten waren 89 (27 %), von 79 FDP-Abgeordneten 21 (26,6 %) und von 239 Mandatsträgern der SPD 38 (15,9 %) Mitmacher, die an der gewollten Abstrafung ausgewählter DDR-Bürger trotz besseren Rechtswissens teilnahmen.

Erst der Widerstand der Betroffenen aus der DDR zwang die aufeinanderfolgenden Bundesregierungen zur Entschärfung des Rentenunrechts. Doch auch die Reparaturversuche durch das Rentenüberleitungs-Änderungsgesetz von 1991 und Rentenüberleitungs-Ergänzungsgesetz von 1993 sowie das Anspruchs- und Anwartschaftsüberführungsgesetz von 1996 waren Fehlleistungen.

Das Bundesverfassungsgericht stellte am 28. April 1999 fest, „daß das Rentenüberleitungsgesetz und spätere Änderungen dazu in vielen Punkten verfassungswidrig oder nichtig waren“. Die Renten der mit Abzug Bestraften mußten in fast allen Fällen neu berechnet werden, was zu Rentennachzahlungen führte.

Es gibt indes noch immer DDR-Personengruppen, für die der Kampf gegen das Rentenunrecht nicht beendet ist.

Ich betreute und beriet in den Jahren des Rechtskampfes unentgeltlich Hunderte Strafrentner. All jene, welche meinen Hinweisen, Ratschlägen, Mustern von Widersprüchen und Klagen gegen ihren Rentenbescheid oder die Entgeltbescheide folgten und ihren Widerspruch oder ihre Klage aufrechterhielten, bekamen Rentennachzahlungen und damit verbundene Zinsen.

Übrigens hat Bundeskanzlerin Angela Merkel am 17. Juni 2013 in Berlin allen, die für Rentengerechtigkeit kämpfen, einen wertvollen Rat erteilt, als sie verkündete: „Wir sollen und müssen unsere Stimme immer und überall erheben und aktiv einschreiten, wenn Menschen ausgegrenzt, diskriminiert und verfolgt werden!“