RotFuchs 231 – April 2017

Retten wir Mumia Abu-Jamal!

Jürgen Heiser

Retten wir Mumia Abu-Jamal!

Am 24. April begeht der politische Gefangene Mumia Abu-Jamal in einem Gefängnis im US-Bundesstaat Penn­sylvania seinen 63. Geburts­tag. Im Alter von 27 Jahren war er am 9. De­zem­ber 1981 verhaftet und im Juli 1982 wegen der von Polizei und Staatsanwaltschaft behaupteten Ermordung des Streifenpolizisten Daniel Faulkner in Philadelphia zum Tode verurteilt worden. Der Kampf um Mumias Freiheit schloß deshalb auch immer die Forderung nach der allgemeinen Abschaffung der Todesstrafe ein.

Die Gefahr, als politischer Gefangener von der Hand der Henker des US-Justiz­ministeriums zu sterben, besteht für Mumia nicht mehr, seit die internationale Solidaritätsbewegung in enger Zusammenarbeit mit seinen Verteidigungsteams erreicht hat, daß das gegen ihn ausgesprochene Todesurteil von einem US-Bundesgericht für verfassungswidrig erklärt und in lebenslange Haft umgewandelt wurde. Seit dem 17. Dezember 2011 befindet er sich aus diesem Grund nicht mehr im Todestrakt, sondern im Normalvollzug des Staatsgefängnisses Mahanoy in Frackville. Nach dem Willen seiner politischen Gegner soll sich daran auch nichts ändern, denn seine Freilassung zur Bewährung wurde ausgeschlossen.

Viele hatten gehofft, daß dem mutigen Journalisten, organisierten Gewerkschafter, Antifaschisten und Kämpfer gegen Krieg und Rassismus unter dem ersten schwarzen US-Präsidenten Barack Obama endlich Gerechtigkeit widerfahren würde. Doch dessen verheißungsvoller „Yes we can“-Slogan löste sich bald in Luft auf. Die Mehrheit der schwarzen US-Bevölkerung hatte darauf gebaut, daß „ihr“ Präsident dem institutionellen Rassismus, der sich vor allem in brutaler Polizeigewalt, einer willfährigen rassistischen Justiz und Masseninhaftierungen von Schwarzen und Latinos zeigt, wenigstens den Kampf ansagen würde. Doch am Grundsatz dieser seit dem offiziellen Ende der Sklaverei bestehenden Unterdrückungsverhältnisse hat sich in den acht Jahren, in denen Obama vom Weißen Haus aus das Land regierte, nichts geändert. Und so ist es kein Wunder, daß auch das in der BRD seit 1989 von einer breiten gesellschaftlichen Bewegung unterstützte Ringen um ein neues faires Verfahren für Mumia und um seine unversehrte Freilassung noch keinen Erfolg zeitigen konnte.

Die Sorge um Mumias Leben ist in den letzten beiden Jahren wieder gewachsen, seit er infolge der fast 30 Jahre andauernden Isolierung im Todestrakt, einem unbehandelten Diabetes und einer von den Gefängnisbehörden ignorierten Hepatitis-C-Infektion in Lebensgefahr schwebte. Zwar haben seine Anwälte durch einen zähen Kampf gegen die Gefängnisbürokratie erreicht, daß ein US-Bundesrichter im Januar 2017 endlich Mumias umgehende Behandlung mit einem neuen Medikament anordnete, mit dem jeder, der es rechtzeitig erhält, eine 95prozentige Heilungschance hat. Aber die Gefängnisbehörde von Pennsylvania hintertreibt Mumias medizinische Behandlung mit immer neuen juristischen Winkelzügen. Ein Grund mehr also, die Anstrengungen um Mumias Freilassung zu verstärken, damit nicht durch die Hintertür doch noch ein Todesurteil durch unterlassene medizinische Versorgung an ihm vollstreckt wird.

Daß Mumia noch lebt und wenigstens nicht mehr legal hingerichtet werden kann, verdankt er nach eigenen Worten der seit über drei Jahrzehnten andauernden internationalen Solidaritätsbewegung. Das war sehr wichtig, denn Polizei und Justiz haben seit seiner Verhaftung und dem Terrorurteil von 1982 keine Gelegenheit ausgelassen, dem schwarzen Radiojournalisten einen jahrzehntelangen Leidensweg zu bereiten. Als Krücke mußte dafür dienen, daß Mumia von seinem fünfzehnten Lebensjahr an Mitglied der Black Panther Party (BPP) war. Allerdings nur für wenige Jahre, bis sich die 1966 gegründete Partei unter dem Druck staatlicher Repression, unter der auch gezielt innere Zerwürfnisse geschürt wurden, Anfang der 70er Jahre wieder auflöste. In dieser Zeit erschossen Polizei und gedungene Mörder über drei Dutzend militante Mitglieder der Partei, was den Staatsapparat nicht daran hinderte, die Dinge auf den Kopf zu stellen: Allein die Tatsache, daß die BPP die schwarze Bevölkerung ermutigt hatte, sich gegen rassistische Polizeigewalt zur Wehr zu setzen, reichte aus, alle Panthers als „Cop killer“ zu diffamieren.

So kam auch Mumia in die Todeszelle, obwohl er nur seinem von einem weißen Polizisten mißhandelten Bruder Billy zu Hilfe eilte und dabei selbst von einer Polizeikugel getroffen wurde und beinahe gestorben wäre. Doch diese Methode, die Opfer staatlicher Gewalt zu Tätern zu erklären und zum Abschuß freizugeben, wie es unzählige Oppositionelle, Sozialisten und Kommunisten in der Geschichte der Arbeiterbewegung am eigenen Leib erfahren mußten, wirkte auch hier. Und so sitzt unser Genosse Mumia bis heute hinter Gittern und kämpft um sein Leben und seine Freiheit.

Wir sollten uns fragen, ob wir alles getan haben, daran etwas zu ändern. Vergessen wir nicht, daß wir nach Mumias Verlegung aus dem Todestrakt den erwarteten Abschwung der Kampagne nicht haben auffangen können. Der Druck der Todesstrafe war weg, und so zogen sich auch viele zurück, die vorher dafür einstanden, Mumias Leben zu retten. Vor allem in den Jahren 1995 bis zur Umwandlung der Todesstrafe war es uns gelungen, in Gewerkschaften, Parteien, Basis-, Antifa- und Menschenrechtsorgani­sationen, im P.E.N. und anderen Vereinigungen von Autoren und Journalisten, unter Medien- und Kulturschaffenden bis hin zu aufrechten Christen eine wirklich breite Kampagne auf die Beine zu stellen, die Tausende in Bewegung und auf die Straße brachte. Mumia wurde Ehrenbürger von Paris und vielen weiteren Städten, Gewerkschaften wie die dju Berlin-Brandenburg und die VVN/Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten machten ihn zum Ehrenmitglied.

Heute müssen wir uns eingestehen, daß wir von der damaligen Stärke der Bewegung weit entfernt sind. Das muß nicht so bleiben, denn wir können von anderen Kampagnen lernen, die ihre Ziele am Ende erreicht haben. Vielen ist in diesem Zusammenhang die große Solidaritätsbewegung für die Freiheit der Bürgerrechtskämpferin Angela Davis zu Beginn der 70er Jahre in Erinnerung.

Unser Genosse Klaus Steiniger bedauerte in seiner Kolumne „Von Angela zu Mumia“ am 11. Mai 2015 in der „jungen Welt“: „Leider können wir heute nicht so schwere Geschütze auffahren wie zu DDR-Zeiten, als die Solidarität mit Angela Davis Sache der gesamten Bevölkerung und aller Medien war.“ Klaus erinnerte daran, wie „die FDJ Kinder und Jugendliche der DDR dazu aufrief, Angela eine Million selbstgemalter Rosen in das Gefängnis zu schicken“. Und er schloß mit den Worten: „Den erfolgreichen Ausgang der weltweiten Schlacht für Angela Davis vor Augen wissen wir, welche Kraft bereits entwickelt werden konnte, um ein drohendes Fehlurteil abzuwenden und einen unschuldigen Menschen dem Kerker zu entreißen. Auch unter wesentlich ungünstigeren Bedingungen hat die internationale Solidarität bereits dazu beigetragen, Mumia vor dem Henker zu retten. Jetzt geht es darum, den Schwerkranken aus den Ketten seiner Peiniger zu erlösen und seine Freilassung zu erkämpfen. Als einer der Organisatoren der Angela-Davis-Kampagne und Autor eines Buches über den Davis-Prozeß unterstütze ich aus ganzem Herzen die Forderung: ,Retten wir Mumia Abu-Jamal!‘ “

Als jetzt der puertoricanische Unabhängigkeitskämpfer Oscar López Rivera, der wie Mumia im Jahr 1981 verhaftet worden war und wie er seit 36 Jahren in der Zelle eines US-Knasts saß, vom scheidenden Präsidenten Obama begnadigt wurde, war das nicht Obama zu verdanken, sondern der in den USA und in Puerto Rico unermüdlich für die Freiheit ihres Compañeros wirkenden und breite gesellschaftliche Schichten einbeziehenden Unabhängigkeitsbewegung. Mumia könnte zwar nicht von diesem oder einem anderen US-Präsidenten begnadigt werden, weil er nicht nach Bundesgesetz, sondern nach dem Strafrecht des Staates Pennsylvania verurteilt wurde, aber aus der Kampagne für Oscar López läßt sich lernen, daß man den politischen Preis für die weitere Inhaftierung eines Genossen öffentlich so hochtreiben kann, daß seine Kerkermeister in Politik und Justiz ihn lieber freilassen, als weiter Anlaß für Unruhe und internationale Kritik zu bieten. So sollten wir auch Klaus Steinigers Worte verstehen und überlegen, was zu tun ist!