RotFuchs 187 – August 2013

Über platzende Blasen und wunde Zinsfüße

Rettungsschirme sind keine Rettungsanker

Dr. oec. Werner Kulitzscher

Es ist schon verblüffend, wie treffend und umfassend Karl Marx die Zusammenhänge der mit der kapitalistischen Produktionsweise verbundenen Krisen nachgewiesen hat. Er schreibt im Abschnitt „Zinstragendes Kapital“: „Wenn man die Umschlagszyklen betrachtet, worin sich die moderne Industrie bewegt: Zustand der Ruhe, wachsende Belebung, Prosperität, Überproduktion, Krach, Stagnation, Zustand der Ruhe etc., so wird man finden, daß meist niedriger Stand der Zinsen den Perioden der Prosperität oder des Extraprofits entspricht. Der Zinsfuß erreicht seine äußerste Höhe während der Krisen, wo geborgt werden muß, um zu zahlen, was es auch koste.“

Das geht so lange, bis die Banken nicht mehr können, dann muß man Rettungsschirme aufspannen. Auch die hohen Zinsen für die Überziehung der Girokonten können das Manko nicht ausgleichen.

Marx verweist auf zwei Tendenzen zum Fallen des Zinssatzes. Erstens schreibt er: „Denn wie ein Volk fortschreitet in der Entwicklung des Reichtums, entsteht und wächst immer eine Klasse von Leuten, die durch die Arbeiten ihrer Vorfahren sich im Besitz von Fonds befinden, von deren bloßem Zins sie leben können. Diese beiden Klassen haben eine Tendenz, mit dem wachsenden Reichtum des Landes sich zu vermehren; denn die, die schon mit einem mittelmäßigen Kapital anfangen, bringen es leichter zu einem unabhängigen Vermögen, als die, die mit wenigem anfangen.“

Die von der Merkel-Regierung beschlossene Erbschaftssteuersenkung, die angeblich zur Konjunkturbelebung erfolgt, wird dazu beitragen, daß diese Schicht der parasitär lebenden Reichen wächst und die Schere zwischen diesen und der zunehmend unter den Druck der Ausbeutung geratenen Bevölkerung weiter auseinanderklafft. Es ist ein Irrtum anzunehmen, daß man mit „Geldzuführungen“ an die reiche Oberschicht Investitionen fördert. Wie und wo man investieren kann, hängt ausschließlich vom übermächtigen Markt ab. Und wenn der Markt verstopft ist, wird jede „Geldzuwendung“ verpraßt. Selbst der kleine Teil, der tatsächlich zur Förderung der Produktion eingesetzt wird, verstärkt die Überproduktionskrise. Mit solchen Maßnahmen erreicht man genau das Gegenteil dessen, was man eigentlich bezweckt.

Und zweitens schreibt Marx: „Die Entwicklung des Kreditsystems und die damit beständig wachsende, durch die Bankiers vermittelte Verfügung der Industriellen und Kaufleute über alle diese Geldersparnisse aller Klassen der Gesellschaft, und die fortschreitende Konzentration dieser Ersparnisse zu den Massen, worin sie als Geldkapital wirken können, muß ebenfalls auf den Zinsfuß drücken.“

Mit anderen Worten: Die angelegten hohen Geldbeträge der Bevölkerung führen immer dann zum Sinken der Zinsen, wenn sie durch die Banken nicht weiter gewinnbringend ‚untergebracht’ werden können. Und das verhält sich in Krisenzeiten generell so.

Diese Zusammenhänge verursachen beim Verstehen der Sache oftmals Schwierigkeiten. In seinem Kapitel über den „tendenziellen Fall der Profitrate“ verweist Marx ausdrücklich auf die Tatsache, daß in der Regel trotz sinkender Profitrate die Masse des Profits steigt. Und das ist das Geheimnis der Wirkung des Kreditsystems.

Sinkende Zinsen machen Kredite billiger. Die Produktions- und Bautätigkeit wird dadurch angekurbelt. Der Gewinn steigt, und dann kommt der Punkt, an dem die Produktion keinen Absatz mehr findet. Die Kredite können nicht zurückgezahlt werden. Die Blase platzt, alles andere ist uns noch gut bekannt. Nun ist der Rettungsschirm dran, die Bevölkerung zahlt.

Eines steht fest: Alle Regierungs- und EU-Bemühungen zur Zügelung des Bank- und Finanzkapitals dürften mit Sicherheit dazu führen, daß die vorübergehend ausgesonderten ‚faulen Kredite’ bald wieder aktiviert und zur Ankurbelung der Produktion zur Verfügung stehen werden. Es erfolgen dann eine weitere Konzentration des Kapitals, die Bildung von Superkonzernen verbunden mit erneuten Arbeitsplatzstreichungen, Preissteigerungen und der Erzielung von Maximalprofiten.

Je stärker die Schwellenländer ihren Rückstand aufholen und je geringer die Kaufkraft der Bevölkerung entwickelt ist, desto mehr sind die Absatzmöglichkeiten der exportbezogenen kapitalistischen Mutterländer erschöpft. Dann kommt wieder der Punkt, wo die Blase platzt. Doch diesmal geschieht das mit mehr Wucht und noch negativeren Auswirkungen auf die Bevölkerung. Das ist die unausweichliche, von Marx nachgewiesene Gesetzmäßigkeit der kapitalistischen Produktionsweise, an der niemand etwas zu ändern vermag. Die einzige Alternative zu dieser trostlosen Perspektive für die einfachen Menschen ist der Sozialismus von internationaler Dimension. Nur er kann und wird die Losung der bürgerlichen Revolution in Frankreich, die gleichzeitig die Sehnsucht fast der ganzen Erdbevölkerung ist – „Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit“ – tatsächlich verwirklichen können. Allein der Sozialismus schafft die politisch-ökonomischen Bedingungen zur Aufhebung der genannten Widersprüche.