RotFuchs 187 – August 2013

Wie ein klassischer Renegat gegen einen Klassiker zu Felde zieht

Schütt contra Lenin

Werner Hunger

Hans Dieser Schütt und Ulrich H. Kasten haben sich in einem Filmchen an dem theoretischen und praktisch-organisatorischen Wegbereiter der Oktoberrevolution, dem Begründer des Sowjetstaates Wladimir Iljitsch Lenin versucht. Was dabei herausgekommen ist und dem Fernsehpublikum zugemutet wurde, war eine peinlich-groteske Geschichtsklitterung. Ein aufmerksamer Berliner RF-Leser hat sich der Mühe unterzogen, einige „besonders markante“ Aussagen des Textes zusammenzustellen und knapp zu kommentieren. Hier das Resultat:

Wer ist dieser Mensch, der mit dem eisernen Panzer seines Willens zur Macht kommt?

Vertreter einer kleinen linksradikalen Abspaltung der Sozialdemokraten, der Bolschewiki, aber einflußlos. Nie war ihm diese eindringliche bittere Wahrheit seines Lebens bewußt.

Er ist von seiner Bedeutung überzeugt.

Von der Welt sieht er jenes Licht, das auf die Bücher fällt.

Jeden Tag entwirft er eine glückvolle Menschheit, aber in der Schwermut der Abende ist er ein leidender Mensch.

14 Monate später wird es Lenins Sowjetmacht sein, die die Zarenfamilie erschießt und verscharrt.

Lenin fiebert … eine weitere Revolution darf er nicht versäumen.

Das Gehirn dieses Russen ist eine geladene Pistole, schreibt ein Schweizer Genosse.

Der deutsche Kaiser weiß, daß dieser Mann seinem eigenen Land eine Niederlage im Krieg wünscht.

Zurückgekehrt nach Rußland, wird er also die Kriegsmüdigkeit schüren.

Der Brest-Litowsker Frieden wurde von den Deutschen mit Gold für die durchreisenden Bolschewiki erkauft.

Immer wieder wird ihm fehlende Nähe zum einfachen Volk nachgesagt, er war privilegiert, adelig.

Hungersnöte, die Lenin verursachen wird. …

Zum Bild einer Statue des jungen Lenins: Dieser Blick, als gehöre ihm die Welt, so steht heute Lenin noch in seiner Geburtsstadt. (Leider ???)

Er war Klassenbester, nur im Fach Logik hatte er Schwierigkeiten.

Später war das Lenins Logik: Wer nicht für uns ist, ist gegen uns.

In Kukuschkino: Das Leben der Bauern interessiert ihn nicht, nicht ihre soziale Lage. Er führt das Leben eines Sommerfrischlers. Zur Arbeit spürt er keinen Drang. Er machte den Rücken nur über beschriebenem Papier krumm, findet die Bibel seines künftigen Glaubens – das Kommunistische Manifest.

Wieder dieser Blick, als könnte ihm nichts geschehen. So steht Lenin immer noch vor der Universität von Kasan. (Die Filmschöpfer hoffen offenbar: nicht mehr lange!)

Es folgt ein Vergleich des Marxismus mit einem Virus. Samara: Sogar eine Dampferanlegestelle wurde zum heiligen Boden, nur weil der Heiland vorüberhuschte.

Zu einem weiteren Denkmal für Lenin: Er muß auf erhöhter Position den Blick aushalten auf etwas, das er auch nicht ändern konnte, den ewigen Gleichlauf der Zeiten. (Im Bild Kühe und Schafe.)

Petersburg 1893: In den sechs langen kurzen Jahren nach der Hinrichtung seines Bruders hatte sich der künftige Lenin geformt: führungssüchtiger Charakter, marxistisches Weltbild, rigoroser Tatwille.

Er durchstreift die tristen Arbeiterviertel. Er will wissen, wie die Arbeiter leben. (Weiter oben interessiert er sich nur für Bücher!) Auf die Idee, mit ihnen zu arbeiten, kommt er nicht. Die Welt der Mächtigen und Mondänen haßt er, die Welt der Arbeitenden bleibt ihm fremd.

Mit der gleichen Verachtung (die er gegen den westlichen Parlamentarismus empfindet) wird er in Rußland die Demokratie zerschlagen.

Lenin und Krupskaja leben in Genf im noblen Quartier vom Geld der Organisation, das Stalin durch Banküberfälle beschaffen muß.

In Rußland wird das Volk nie die Freiheit spüren. Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit bleiben Träume.

Lenins Revolution: Mit dem Ausmaß ihres Anspruchs wird das Unmaß Blutschuld wachsen … ein Weg durchs Höllentor.

Zu Wachsfiguren von Lenin und Marx: Am Ende ist jedes Wachs fürs Gruselkabinett der Geschichte.

Zu den Aprilthesen: Eine Schrift wie der ganze Lenin, intelligent, jäh, eisig, selbstgerecht, unverschämt und machtgierig.

Im April 1917 vor dem finnischen Bahnhof (Aprilthesen): Lenin schwingt eine Rede vom Panzerwagen, ein Dämon der klaren Schlachtordnung. Er schreibt Dekrete an alle, über den Boden, den Frieden usw. – ein Mann, ein Ziel.

Das Land wird von Kriegen aufgezehrt, Kriege, die von außen hereindringen (Nicht Kriege dringen ein, sondern die Armeen von 14 imperialistischen Staaten) und Bürgerkrieg, der von innen frißt.

Lenins Revolution kennt nur noch Schlachtfelder. (Bis hin zum Sieg über den deutschen Faschismus ???)

Kommentar des Betrachters: Der gesamte Text wird in arrogantem, abfälligem, verleumderischem, schäbigem Ton vorgetragen. Nichtbelegte Vermutungen, heimliche Gedankengänge und Motivationen Lenins, die nur die Autoren kennen (als hätten sie seinen wiederauferstandenen Geist interviewt), werden in der „Dokumentation“ als historische Wahrheiten serviert. Der Film zeigt ein unbändiges Maß von Haß des hds auf Lenin, Marx und den Kommunismus. Verglichen damit ist sogar Schabowski beinahe ein Waisenknabe!

Mein Kommentar: „Ei ei, der Mops, das ist ein Held, er hat den Elefanten angebellt!“

Als nächstes Opfer seiner Anfeindungen empfehle ich hds die Attacke auf Karl Marx. Die bürgerlichen Medien würden den Feuilletonisten dann gewiß zum größten Philosophen des 20. und 21. Jahrhunderts ernennen. Ist das alles vielleicht nur ein Ausdruck des Selbsthasses, den der ehemalige Chefredakteur der „jungen Welt“ auf sich in seinem früheren Leben empfindet?

Besonders befremdet mich auch, daß Gunnar Decker in einer ND-Rezension den Film der beiden Lenin-Schmäher wärmstens empfohlen hat.