RotFuchs 228 – Januar 2017

Sind Bücher noch zeitgemäß?

Edda Winkel

Bücher sind für mich echte Werte, die zu meinem Leben gehören, es bereichern und die ich nicht missen möchte!

Weißt Du, was ein Book Reader ist? Richtig, das ist Englisch und heißt Buch-Leser, so wie du und ich oder Tante Anna. Aber Steffi sagt, es wäre so ein neumodernes Ding mit Bildschirm, auf dem man die Bücher elektronisch lesen kann. Es soll welche geben mit 240 Leseproben. Nun kann ich Leseproben nicht ausstehen. Ich lese ein Buch ganz, fange vorn an und höre hinten auf, damit ich neugierig bleibe. Nur wenn es mir nicht gefällt, leg ich es beiseite.  Manche Leute haben ganze Schrankwände voller Prachtbände mit Leseproben. So können sie überall ein bißchen mitreden und ihr Halbwissen gut tarnen. Sogar ihr Zimmer macht einen gebildeten Eindruck.

Steffi liest Bücher, weil die gut riechen, liest sogar ihrem Liebsten laut vor. Ist sie dann auch ein Book Reader, weil das Wort Reader auch Vorleser bedeutet? Aber nein, sie ist keine elektronische Erfindung mit Bildschirm. Sie strahlt Wärme aus, darin ähnelt sie einem echten Buch.

Ich habe meine Bücher seit Jahrzehnten. Meinen ersten Strittmatter bekam ich vor einem halben Jahrhundert. Seitdem habe ich alles gesammelt, was ich von ihm erwischen konnte. Ich wünsche mir nicht, daß er nun digitalisiert daherkommt. Ich will in seinen Werken herumblättern, nach seiner Weisheit Ausschau halten, schon vor Jahren Angestrichenes wiederfinden und mich freuen übers schon vergessen Geglaubte. Meine alten Bücherregale, selbstgefertigt aus Bambus, habe ich gegen stabilere getauscht, von den vertrauten Büchern aber mag ich mich nicht trennen. Und wie sähe das dann aus, leere Regale und darin ein Book Reader, daneben ein Ladegerät, denn das brauchst du dazu, hat Steffi gesagt.

Ich stell mir vor, ich fahre mit der U-Bahn, lese in dem Ding – sowas habe ich schon bei anderen gesehen und gedacht, das sei ein übergroßes Handy – und dann ist gerade an spannender Stelle der Akku leer. Das schöne Rascheln beim Umblättern ist nicht mehr zu hören. Da lasse ich mich lieber von der gewünschten Haltestelle unterbrechen und lege ein Lesezeichen ins Buch.

Es gibt Leute, die kennzeichnen ihre Lesestelle mit dem Fingernagel, ritzen den Absatz an und kniffen ein Eselsohr in die Seite. Das muß ich ablehnen, Bücher sind Freunde. Meine Freunde graviere ich nicht, verpasse ihnen keine Eselsohren, höchstens baue ich ihnen manchmal eine Eselsbrücke, aber das ist etwas anderes.

Was passiert eigentlich, wenn dieses Elektrogerät herunterfällt? Sind dann alle 240 Leseproben und die inzwischen selbstgespeicherten Bücher verschwunden? Das kann passieren, sagt Steffi, da mußt du vorsichtig sein. Ein richtiges Buch mit Seiten ist robuster. Man könnte es sogar trocknen, wenn es ins Wasser gefallen wäre, so wie meine Chornoten, über die ich meine Seltersflasche auslaufen ließ.

Bei dem Book Reader mußt du aufpassen, kannst dir aber für ihn eine extrafeine Tasche besorgen.

Und das ist dann alles? Nee, Kopfhörer brauchst du auch noch!

So, so und das soll Fortschritt sein? Wo ist der Vorteil? Papier wird gespart, und Bäume bleiben verschont! Aha, ja, das ist wirklich gut! Das schont die Umwelt! Aber was ist mit der Energie …

Nun ist für mich alles klar, ich bleibe Buch-Leser!

Denken Sie mal hundert Jahre weiter: Ihr Urenkel findet auf dem Dachboden ein Buch, daneben einen digitalen Datenträger. Vom Buch muß er nur den Staub wegpusten, um es zu lesen. Das Kästchen ist ramponiert, das Programm für die Daten weg. Festplatte gibt es nicht, wo ist die nächste Steckdose? Also: wegwerfen.

Klaus Wagenbach (Verleger)