RotFuchs 229 – Februar 2017

Über den Syrien-Krieg
und das russische Eingreifen

Arnold Schölzel

Ralf Rudolph / Uwe Markus: Warum Sy­rien?

Die jüngsten Quellen des Buches von Ralf Rudolph und Uwe Markus „Warum Syrien?“ stammen aus dem September 2016. Die Autoren konnten also die US-Präsidentschaftswahlen noch nicht kommentieren. Gültig bleibt aber über den Wechsel in Washington hinaus ihre Bewertung der Hintergründe des Syrien-Krieges: Er sei „ein neuer Akt der Auseinandersetzung vor allem zwischen den USA und Rußland um die Regeln, die zukünftig in den internationalen Beziehungen gelten sollen“. Anders gesagt: In Syrien wird bewußt mit dem dritten Weltkrieg gespielt. Und wer das ist, der vom Faustrecht in den internationalen Beziehungen nicht lassen kann, das belegen Rudolph, Oberst a. D. und Absolvent des Moskauer Instituts für Luft- und Raumfahrt, sowie der Soziologe Markus in diesem Buch mit Zahlen und Fakten: Es sind die USA, die NATO mit der Türkei an der Spitze sowie die Feudaldiktaturen Saudi-Arabiens und Katars.

Der Band enthält eine nüchterne, in erster Linie auf militärische Daten gestützte Untersuchung des Kriegsverlaufs. Im Mittelpunkt steht zunächst neben einem Blick in die Geschichte Syriens die von Rußland und der syrischen Armee verwendete Waffentechnik. Geschildert werden danach größere militärische Operationen wie die Schlachten um Kobani oder um Palmyra, die weitgehende Zerstörung des Erdölgeschäfts zwischen dem „Islamischen Staat“ (IS) und der Türkei (vor allem der Familie Erdoğan), die innere Struktur der nach Hunderten zählenden Milizen, die gegen die syrische Regierung kämpfen, sowie die militärischen Leistungen der kurdischen Kräfte. Die Beziehungen Rußlands und Syriens zu den Ländern der Region von Israel bis zum Iran werden in einem umfangreichen Abschnitt beleuchtet. Diesem Buch Vergleichbares hat es bislang nicht gegeben.

Ihm vorangestellt ist ein Zitat des ehemaligen Generalinspekteurs der Bundeswehr, Harald Kujat: „Die Russen haben mit ihrem militärischen Eingreifen in Syrien den Friedensprozeß erst ermöglicht.“ Rudolph und Markus weisen nach, daß die westlichen Interventen und ihre Bodentruppen, die dschihadistischen Milizen, zusammen mit den „gemäßigten“ Aufständischen, nach dem 30. September 2015, als die russische Armee ihre Aktionen begann, eine schwere Niederlage erlitten. Nur durch die finanzielle und materielle Hilfe aus der Türkei, Saudi-Arabien, Katar, den USA und die militärische Unterstützung auch aus der Bundesrepublik – die Autoren schreiben von Spezialkräften der Bundeswehr im Bodenkrieg – konnte offenbar eine Niederlage vermieden werden.

Kritisch beurteilen die Verfasser allerdings auch die moralische Stärke der syrischen Armee. Sie habe nach umfangreichen Rüstungslieferungen Rußlands 2015 „zu den am besten ausgerüsteten“ der Region gehört. Den 80 000 Soldaten hätten u. a. 4700 Panzer, 3800 Schützenpanzer, 2600 Geschütze und rund 600 Flugzeuge und Hubschrauber zur Verfügung gestanden – zu 98 Prozent aus russischer Produktion. Warum dann „die durchschlagenden Erfolge der verschiedenen bewaffneten Rebellengruppen und des IS, die in kurzer Zeit 80 Prozent des syrischen Staatsgebietes besetzen und die syrischen Streitkräfte in die strategische Defensive drängen konnten“? Die Verfasser weisen auf die sogenannten moralischen Faktoren im modernen Krieg hin. Die „entscheidenden Schwachstellen“ der syrischen Truppen hätten dort gelegen– vom Ausbildungsstand der Soldaten bis zum Niveau der Truppenführung. Außerdem habe sich bei allen Nahostkriegen gezeigt: Der „im Islam unterschwellig stets präsente Fatalismus“ führe bei Soldaten in extremen Belastungssituationen „oft zu einer kollektiven Gleichgültigkeit“ und „Passivität im Gefecht“. Hinzu komme: Präsident Baschar Al-Assad habe das Staatsgefüge, das er von seinem Vater übernahm, „beschädigt“. Erstmals in der Geschichte Syriens habe „eine alawitische Minderheit das Ruder der Staatsführung in der Hand, und Sunniten hatten kein Mitspracherecht mehr“.

Die Autoren halten fest, daß sich die syrische Führung nach den ersten militärischen Erfolgen auf Grund des russischen Eingreifens Ende 2015 nicht mehr an Absprachen hielt und politische Lösungen ablehnte. Der am 14. März angeordnete Teilabzug der russischen Streitkräfte aus Syrien sei als „ein ernsthaftes Signal an Assad“ gedacht gewesen, sich verhandlungsbereit zu zeigen, und zugleich eine Botschaft an alle Seiten, nach einer Friedenslösung zu suchen. Die Bedingungen dafür, das zeigen die Autoren überzeugend, wurden durch Rußland geschaffen. Ärgerlich sind die leider zahlreichen Fehler wie etwa die Verwechslung des russischen Verteidigungsministers Sergej Schoigu mit Ministerpräsident „Metwedjew“. Immer mehr Verlage verzichten auf qualifizierte Lektoren und Korrektoren – entsprechend steigt die Fehlerhäufigkeit.

Ralf Rudolph / Uwe Markus:

Warum Syrien?

Phalanx-Verlag, Berlin 2016, 334 Seiten
ISBN 978-3-00-054080-6

19,20 €