RotFuchs 200 – September 2014

Vom Antisowjetismus zur Russophobie

Prof. Dr. Georg Grasnick

Seit dem Frühjahr sorgt der Ukrainekonflikt in ganz Europa für Angst und Schrecken. Hetze und Lüge kennen keine Grenzen. Politiker und Massenmedien der BRD behaupten, das „russische Imperium“ setze auf „Expansion“. Putin wolle die Sowjetunion wiedererrichten. Der russische Präsident wurde in paranoidem Haß als „Ratte“ und „Raubtier“ verunglimpft. BRD-Finanzminister und EU-Sparkommissar Schäuble wagte es sogar, Putin mit Hitler zu vergleichen. Vizekanzler Gabriel (SPD) behauptete, Rußland sei bereit, „Panzer über europäische Grenzen rollen zu lassen“. Die von der Bundeskanzlerin hochgeschätzte und durch die CSU sogar für den Friedensnobelpreis vorgeschlagene ukrainische Oligarchin Timoschenko wollte „zur Maschinenpistole greifen“, um Putin eigenhändig „in die Stirn zu schießen“. Man müsse „die ganze Welt mobilisieren“, damit „von diesem Rußland nicht mal mehr ein verbranntes Feld übrigbleibt“.

Die antirussische Hysterie folgt dem Motto „Haltet den Dieb!“ Es geht um das Ablenken von eigenen Plänen. Seit fast einem Jahrzehnt haben die USA, die NATO und die EU nicht wenig Kraft aufgewendet, die Ukraine in ihren Machtbereich hineinzuziehen. Sie wollen die mit der Osterweiterung des eigenen Paktsystems verfolgte Einkreisung Rußlands weiter vorantreiben. Die Ukraine soll dabei Vorposten und Frontstaat werden. Ziel ist es, das an Ressourcen und „Menschenmaterial“ reiche Land imperialistischen Interessen dienstbar zu machen.

Als Präsident Janukowitsch trotz massiven Brüsseler Drucks an dem Gedanken festhielt, der Ukraine eine „Brückenfunktion“ zwischen der EU und der von Moskau damals bereits ins Auge gefaßten Eurasischen Wirtschaftsunion zu geben, setzten Washington und Berlin den Kiewer „Regimewechsel“ auf die Tagesordnung. Der Oligarch Janukowitsch, ein ethnischer Russe, wurde per Putsch abserviert und durch ultranationalistische, antirussische und offen faschistische Kräfte ersetzt.

Im Auftrag Obamas mischte sich US-Vizepräsident Biden, dessen Sohn Hunter dem Aufsichtsrat des ukrainischen Energieunternehmens Burisma angehört, offen in die von außen herbeigeführte Krise ein. Wie ihn sah man auch andere US-Spitzenpolitiker, darunter Außenminister Kerry und mehrere Senatoren, am Ort des Geschehens.

Die BRD und ihr Außenminister Steinmeier waren ebenfalls nicht untätig. „Der Tagesspiegel“ vermerkte, in der Ukraine habe sich gezeigt, „was deutsche Diplomatie erreichen kann, wenn sie selbstbewußt auftritt“. Endlich könne man sich ausmalen, was die große Koalition unter einer „aktiveren deutschen Rolle in der Welt“ versteht.

Die Ukraine besaß in den Vorherrschaftsplänen des deutschen Imperialismus schon immer einen besonderen Stellenwert. Nachdem am 1. August 1914 die deutsche Kriegserklärung an Rußland erfolgt war, umriß der Staatssekretär im Berliner Auswärtigen Amt von Jago, um was es gehe: „Die Insurgierung nicht nur Polens, sondern auch der Ukraine erscheint uns sehr wichtig – 1. als Kampfmittel gegen Rußland; 2. weil im Falle glücklichen Kriegsausgangs die Bildung mehrerer Pufferstaaten zweckmäßig würde, um Rußland möglichst nach Osten zurückzudrängen.“ Der im selben Ministerium tätige Paul Rohrbach hatte mit seiner antirussischen Position bereits Vorarbeit geleistet: „Ohne die Ukraine ist Rußland nicht Rußland, hat es kein Eisen, keine Kohle, kein Korn, keine Häfen.“ Als Kriegsziel nannte er, Rußland „sowohl von der Ostsee als auch vom Schwarzen Meer abzuschließen“.

Das kaiserlich-imperialistische Deutschland hielt an dieser Zielsetzung auch nach der Oktoberrevolution fest. Sein Kalkül bestand darin, mit dem Brester Friedensvertrag und einem zusätzlichen, noch weitaus erpresserischen Abkommen die sozialistische Revolution zu zerschlagen. Gestützt auf konterrevolutionäre Gruppierungen wurden weite Teile Rußlands von deutschen Truppen okkupiert. In der Ukraine war nach der Februar-Revolution 1917 eine Zentral-Rada von Berliner Gnaden konstituiert worden. Wilhelm II. jubelte: „Ukraine autonom mit Freistellung, sich später uns anzuschließen.“ Die kaiserlichen Truppen drangen bis Charkow und Rostow vor. Die Ukraine wurde von Rußland losgerissen und ausgeplündert. Man zwang den jungen Sowjetstaat, drei Milliarden Goldrubel Kontribution an Deutschland zu zahlen. Es folgte die Intervention von 14 kapitalistischen Mächten mit dem proklamierten Ziel, „die Welt vor der bolschewistischen Gefahr zu retten“. Die Rote Armee aber jagte in schweren und opferreichen Kämpfen „das Pack zum Teufel“, wie es im Lied heißt. Später wollten die deutschen Faschisten der Sowjetunion durch die Okkupation der Ukraine den Todesstoß versetzen. Hitlers Chefideologe Goebbels wurde sehr direkt: „Wir kämpfen nicht um Ideale, … wir wollen uns gesundstoßen.“ Gemeint waren Kohle, Stahl und Korn der Ukraine.

Zbigniew Brzezinski, Strategieberater mehrerer US-Präsidenten, konstatierte 1997: „Die Ukraine, ein neuer und wichtiger Raum auf dem eurasischen Schachbrett, ist ein geopolitischer Dreh- und Angelpunkt, weil ihre bloße Existenz als unabhängiger Staat zur Umwandlung Rußlands beiträgt. Ohne die Ukraine ist Rußland kein eurasisches Reich mehr.“

2013 spekulierte der als „Schatten-CIA“ bekannte US-Nachrichtendienst Stratfor: „Die Ukraine ist ein Gebiet, das tief in das Kernterritorium Rußlands reicht. Und wenn es die Ukraine aus seinem Einflußbereich verlöre, wäre Rußland nicht mehr zu verteidigen. … Für die USA stellt die Unterstützung politischer Kräfte in der Ukraine das wirksamste Mittel dar, um Rußland zurückzudrängen.“

Die strategische Akzente setzende BRD-Zeitschrift „Internationale Politik“ verkündete: Die Ukraine „könnte für den Westen insgesamt zum Tor für eine schrittweise Demokratisierung des riesigen, vormals sowjetischen Territoriums im nördlichen Eurasien werden“.

Um ihre eigenen Ziele im Ukrainekonflikt zu verschleiern, haben die Imperialisten und deren Medien die alte antirussische Platte mit der Bedrohungslüge wieder aufgelegt. Sie soll nach Überwindung der schmählichen Gorbatschow-Jelzin-Ära und der Rückkehr Rußlands in die Weltpolitik Moskau auf infame Weise in Verruf bringen. Der Kalte Krieg, der auf militärischem Gebiet im Rahmen der NATO-Ost-Erweiterung nie unterbrochen war, findet mit dem Ukrainekonflikt auch auf ideologischem Terrain eine besonders heimtückische Fortsetzung. Stereotype dazu wurden aus dem Arsenal der Nazipropaganda entnommen und „modernisiert“. Vom Antisowjetismus ging man nahtlos zur Russophobie – der mit Haß gepaarten Angst vor den Russen – über. Urheber und Ziele aber sind die alten geblieben.