RotFuchs 190 – November 2013

Vom Mut einer slowakischen Kommunistin

RotFuchs-Redaktion

Die nicht gerade „linker“ Sympathien verdächtige auflagenstarke slowakische Zeitung „Sme“ brachte auf ihren Internetseiten ein Interview mit Dr. Viera Klimentová, stellvertretende Vorsitzende der Kommunistischen Partei der Slowakei, zu den im August 1968 von den Staaten des Warschauer Vertrages ergriffenen Maßnahmen. Sie waren auf die Vereitelung eines schon damals drohenden konterrevolutionären Umsturzes in der ČSSR gerichtet.

Das Interview wurde von „Sme“ natürlich nicht ohne Hintergedanken gebracht. Seitdem sieht sich die prominente Genossin einer Schmähkampagne der Medien des Kapitals gegenüber. Sie geht, wie Äußerungen in mehreren Interplattformen erkennen lassen, bis zu Morddrohungen. Mit „Kommunisten wie der Klimentová“ müsse „endlich Schluß gemacht werden“, hieß es dort. Im folgenden bringen wir Auszüge aus dem „Sme“-Beitrag. Kursive Textstellen stammen von der Interviewerin, die das Inkognito vorzog.

Unveränderte Ansichten überdauerten auch bei der 62jährigen Viera Klimentová. Anstelle von Okkupation spricht sie bewußt von brüderlicher internationalistischer Hilfe. Überzeugt weist sie auf eine alte Ausgabe eines Weißbuches hin, das sie von ihrem Vater, einem ehernen Kommunisten, erhalten hatte.

Ihr Kommentar:

So etwas finden Sie heute nur noch im Museum, wenn überhaupt. Darin werden die Ereignisse der Konterrevolution in Ungarn dargestellt.

Es sind suggestive Fotografien, herausgegeben von der ungarischen kommunistischen Partei, ergänzt mit einem Kommentar über die bestialische Ermordung von Kommunisten.

Wären die Soldaten des Warschauer Vertrages nicht gekommen, hätten wir das gleiche Szenarium erleben müssen wie in Ungarn. Lange schon hatten sie für uns Kommunisten die Laternenpfähle ausgesucht. Die Soldaten des Warschauer Vertrages waren keine Aggressoren. Der Warschauer Vertrag wurde sechs Jahre nach Gründung der NATO geschaffen – als Instrument der Verteidigung mit dem Ziel des Schutzes des sozialistischen Aufbaus vor den unablässigen Bemühungen der westlichen Staaten, der äußeren Bedrohung und der Infiltration der kommunistischen Partei, um sie von innen zu zersetzen.

Zu ihrer Weltanschauung führten sie ihre Eltern, beides überzeugte Kommunisten. Der Vater trat der Kommunistischen Partei noch während des Krieges bei, die Mutter 1948. Ihre Zuversicht über die Rechtmäßigkeit des Kommunismus ist auch nach 50 Jahren unerschütterlich.

Es war die Zeit des Aufbaus des sozialistischen Staates. Es gab Agenten, die dagegen kämpften und das heute nicht verhehlen. Unverhüllt bekennen sie sich zu ihrer antisozialistischen Tätigkeit und ihrer Doktrin zur Beseitigung des Sozialismus mit all seinen historischen Wurzeln.

Der junge Staat mußte sich dagegen wehren, sagt Viera, die 1951 gerade geboren war, resolut. Ebensowenig berührten sie die Reformideen des Prager Frühlings.

Ich schätzte Svoboda und dessen heldenhaften Weg während des Krieges mit dem 1. Tschechoslowakischen Armeekorps von Buzuluka bis Prag. Er wußte mit Problemen umzugehen – menschlich wie taktisch. Mit Dubček traf mein Vater als politischer Mitarbeiter der KSČ-Bezirksleitung von Banská Bystrica zusammen – gut hat er über ihn nicht gesprochen. Mein Vater äußerte sich über Dubček wie über einen Menschen, der bereit ist, für seine Karriere alles zu tun, der die Medien und die Kameras liebt, innerlich aber klein und schwach gewesen sei.

Vieras Vater, früher Offizier der Tschechoslowakischen Volksarmee, wurde kurz vor dem 21. August 1968 gegen seinen Willen entlassen.

Schon im Frühjahr 1968 begann Vater darüber zu sprechen, daß sich die Verhältnisse in der Gesellschaft und in der Partei sehr schwierig und schlecht entwickeln. Die ganze Situation weise in eine falsche Richtung. Unter seinen Kollegen wurde er zum schwarzen Schaf. Einer von ihnen richtete sogar die Waffe auf Vater. Deshalb schickten sie ihn, der die Kommunistische Partei in allen Lebenslagen stets verteidigt hatte, erst einmal in Urlaub.

Noch einen Tag vor dem Einmarsch des Militärs besuchte sie ein sowjetischer Freund.

Wir wohnten damals in Žilina. Am 21. Au-gust gegen 5 Uhr früh ertönte aus dem Lautsprecher an der Straßenecke die Meldung, ausländische Truppen hätten die Grenzen der Tschechoslowakei überschritten. Die Menschen sollten Ruhe bewahren. Damit weckte ich Vater, der mich direkt fragte: „Wer, die Deutschen?“ Ich denke, die Russen, antwortete ich. „Dann ist es gut.“ Bis heute erinnere ich mich genau an seine Antwort, auch, wie er es sagte.

Noch am gleichen Tag fuhren sie ins Krankenhaus nach Martin, in dem sich damals die Mama befand. Als sie unterwegs protestierende Menschen sah, bewertete sie dies als manipulierten Lärm.

Dort befanden sich Provokateure, die eine Hysterie auslösten. Hätten uns nicht die Truppen des Warschauer Vertrages geholfen, es wäre zur physischen Liquidierung der Kommunisten gekommen. Wir wurden damals als Kollaborateure gebrandmarkt, weil wir die Ankunft von Truppen des Warschauer Vertrages begrüßten. Das ging so weit, daß man uns die Fensterscheiben einschlug. Ich war gerade im Wohnzimmer, als die Steine flogen.

Zu Schulbeginn am 1. September forderte die Lehrerin alle auf, gemeinsam das Lied „Bez domu Ivane!“ (Iwan, scher dich nach Hause!) zu singen. Ich war 17 Jahre alt – aber das wollte ich nicht singen. Věrko, warum singst Du nicht, fragte mich unsere Lehrerin, eine Tschechin. Voller Überzeugung antwortete ich ihr, daß ich ein solches Lied nicht singen werde.

Sie sagt, sie werde niemals ihre Fahne nach dem Winde drehen.

Die gesamte Zeit danach traf ich auf ganz entgegengesetzte Ansichten, die häufig verdeckt waren. Man drohte mir, ich könne das Studium nicht beenden. In der Kommission, vor der ich meine Jahresarbeit über Aufbau und Rolle der Tschechoslowakischen Volksarmee zu verteidigen hatte, war in jener Zeit ein Major, der mich aufforderte, nicht so konsequent meine Ansichten zu vertreten, sonst bräuchte ich die Schule gar nicht erst zu beenden.

1972 wurde sie – 21jährig – Mitglied der Partei. Nach 1968 hatten etwa 400 000 Personen bei Überprüfungen ihre Parteimitgliedschaft verloren. Bis 1989 war Viera dann als Sekretär für ideologische Arbeit in Lučenec tätig.

Seit 1990 war ich fünfmal beim Arbeitsamt. Das, was sie 1968 nicht erreicht hatten, gelang ihnen 1989.

Den Beitrag übersetzte Uwe Klaus, Leitungsmitglied des dem RF eng verbundenen slowakischen Verein „Červená Líška“ („RotFuchs“).


„Wir, der Kern der ökonomischen Reformer, versuchten in Prag damals eben nicht den Kommunismus zu reformieren. Unser eigentliches Ziel war es, ihn abzuschaffen …“

Ota Šik in „Die Welt“, 5. 11. 1990

Šik gehörte dem ZK der KPČ an und war während des konterrevolutionären „Prager Frühlings“ stellvertretender Ministerpräsident.