RotFuchs 236 – September 2017

Vom Mythos der Zwangsvereinigung

Johann Weber

Unmittelbar nach dem Vereinigungsparteitag von SPD und KPD im April 1946 herrschte in den Zeitungen der Westzonen noch keine antikommunistische Stim­mung. Die Berichte waren, wie der Bericht meiner Lokalzeitung, der „Passauer Neuen Presse“ (PNP), zeigt, unbelastet von Hetze gegen die Menschen in der „Ostzone“. Dieses Blatt ist heute neben dem „Bayernkurier“ die größte antikommunistische Zei­tung in Bayern. Am 23. April 1946 berichtete sie schlicht vom Manifest der Einheits­partei: „Der Vereinigungsparteikongreß der Kommunistischen Partei und der Ver­schmelzungsanhänger der Sozialdemokratischen Partei vollzog Ostermontag in der ,deutschen Staatsoper‘, dem früheren Admiralspalast, feierlich die endgültig Verei­nigung zur neuen ,Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands‘. Der Parteikongreß, der Ostersonntag begonnen hatte, war insgesamt von 1055 Delegierten besucht, von denen 507 die frühere Kommunistische Partei und 548 die Verschmelzungsanhänger der Sozialdemokraten vertraten. 380 Kommunisten und 445 Sozialdemokraten kamen aus der russischen Zone, 127 Kommunisten und 103 Sozialdemokraten aus den west­lichen Zonen.“

Auch der Bericht in der Wochenzeitung „Die Zeit“ vom April 1946 unter der Über­schrift „Umstrittene Einheit“ überraschte mich. Kein Wort über Zwang. Details dieses Berichts über die Vereinigung von KPD und SPD zur SED sucht man heute in den Ge­schichtsbüchern vergebens:

„Es ist erstaunlich, festzustellen, daß die täglich massiver gewordenen Debatten um den Nutzen oder die Abwegigkeit der Verschmelzung der beiden Arbeiterparteien die politische Beweglichkeit der um Essen und Heizen besorgten Millionenmasse Berlins zum ersten Male erreicht haben. Und das sowohl für wie gegen die beschlossene und zu Teilen wohl schon durchgeführte Verschmelzung […] Ein demokratischer Akkord, wie man an der Zulassung der vier Parteien erkennen konnte, die von den Kommunis­ten über die Sozialdemokraten, die Christlich-Demokratische Union bis zu den Libe­raldemokraten reichte. Die sowjetischen Behörden, die zu einem so frühen Zeitpunkt wie in keiner anderen deutschen Zone diese Parteien zu reger Tätigkeit ermunterten, sparten sichtlich nicht mit allen Formen der Unterstützung, gerade auch gegenüber den nichtkommunistischen Parteien. Es ist selbstverständlich, daß diese Haltung auf ein Volk, das der Zwangsjacke des Einparteienstaates (des Hitlerfaschismus) eben entschlüpft war, wohltuend wirkte. (…)

So erklärt es sich, daß die grundsätzliche Bereitschaft der SPD zu einer Sozialisti­schen Einheitspartei gerade in den Wochen und Monaten einer heftigen psycholo­gischen Belastung ausgesetzt war, als die Notwendigkeit der Einheitspartei, nunmehr von den bis dahin zögernden Kommunisten mit aller Leidenschaft forciert, zum fast einzigen Thema kommunistischer Politik wurde. (...)

Über alle diese äußeren Erscheinungen hinweg hat dieser Kampf freilich ein demokra­tisches Prinzip überhaupt von allen Begriffsverwirrungen freigelegt – und das ist es, was die außerordentliche politische Bewegtheit Berlins in diesen Wochen, gerade auch die der Nichtmitglieder der in Frage stehenden Parteien, charakterisiert: Es geht um das Recht, entscheiden zu dürfen, ein erstes wirklich demokratisches Urteil fällen zu dürfen. Die Gegner der sofortigen Vereinigung argumentieren ständig, ihre Beför­derer wendeten ein diktatorisches und totalitäres Prinzip an, um eine angeblich de­mokratische Sache zu erreichen. Sie wittern, nach Hergang und Methode, eine Verge­waltigung.“

Tatsächlich läßt der Gegenangriff nicht lange auf sich warten. Bereits im Februar 1946 führte die West-SPD unter Kurt Schumacher in einem Berliner Restaurant in Tempelhof eine Sonderberatung der leitenden Funktionäre der SPD durch, an der rund 40 Personen teilnahmen. Die gesamte Tätigkeit des „Leitenden Ausschusses“ erfolg­te gemäß den Anweisungen der Amerikaner und Engländer. Schon im März 1946, also im Monat nach der Gründung des „Leitenden Ausschusses“, führte der Mitarbeiter der amerikanischen Militäradministration, Morriss, eine Beratung mit dem Ausschuß in Berlin-Zehlendorf durch, an der auch der Lizenzträger und Redakteur des „Tages­spiegels“, Erik Reger, die Amerikaner Wiesner, Morriss und Silver sowie der Engländer Albu teilnahmen. Aufgabe dieses Ausschusses war, die Sozialdemokraten in der Ost­zone so zu beeinflussen, daß die Vereinigung scheitert. Dieser Ausschuß mündete dann in die Gründung der Terror- und Sabotageorganisation SPD-Ostbüro.

Den Startschuß zu den antikommunistischen Hetzorgien gab der SPD-Vorsitzende Kurt Schumacher auf dem ersten SPD-Parteitag vom 9. Mai 1946 in Hannover. Er schäumte geradezu vor Haß gegen die SED und die sowjetische Besatzungsmacht, wie die Quellen belegen:

  • „Man braucht nur daran zu denken, wie ungeheuerlich die Propaganda vor der Vereinigung war, …. ihr müßt Kommunisten werden, dann werdet Ihr Eure Industrie behalten.“ … „Und dann ist die Vereinigung zwangsweise erfolgt, und die Aus­schlachtung der deutschen Industrie hat in einem Maße eingesetzt, das alles Vorhergehende übertrifft. Wir im Westen lassen uns nicht dumm machen.“
  • „Wir haben in den Westzonen erhebliche Teile der alten politischen Klassen, und wir haben in der Ostzone ein Bild der Klassen der neureichen Profiteure der poli­tischen Situation genauso wie im Dritten Reich. Wir haben dort das Bild, daß Beamte Kommunisten und Kommunisten Beamte sind, trotzdem beide dazu nicht tauglich waren, wir haben das Bild einer Fäulnis und Korruption wie im Dritten Reich.“
  • „Der neue Nationalismus, wie er heute aus dem Osten zu uns herüberdrängt, fin­det seinen stärksten Ausdruck bei den vereinigten Kommunisten, die sich jetzt Sozialistische Einheitspartei Deutschlands, SED, nennen.“

Erstes Opfer dieses Antikommunismus Schumachers war Hans Venedey aus der SPD in Hessen. Innenminister Hans Venedey mußte wegen seines Engagements für die SED im Frühjahr 1946 sowohl die Regierung als auch die SPD verlassen.

Fazit: Für mich hat sich der Mythos einer Zwangsvereinigung aufgelöst. Pure anti­kommunistische Propaganda!