RotFuchs 219 – April 2016

Vom schweren und gerechten
Kampf der Sorben

Kurt Peukert

Minderheitenrecht ist Menschenrecht – Sorbische Denkanstöße zur politischen Kultur in Deutschland und Europa

Unter dem Titel „Minderheitenrecht ist Menschenrecht – Sorbische Denkanstöße zur politischen Kultur in Deutschland und Europa“ hat der auf diesem Gebiet seit langem erfolgreich forschende Kenner der Materie Dr. Peter Kroh jetzt ein Buch vorgelegt, das Gegnern großdeutscher Fremdenfeindlichkeit zu weiterer Klarheit verhilft. Es ist mindestens aus drei Gründen äußerst lesenswert.

Erstens: Der Autor erörtert eindrucksvoll ein bisher stiefmütterlich behandeltes Feld der Historiographie: den Kampf ethnischer Minderheiten um ihre Rechte in Deutschland zwischen 1925 und 1945. Dazu analysiert er die „Kulturwehr“, Zeitschrift des Verbandes der nationalen Minderheiten – einer Allianz von Dänen, Friesen, Polen und Sorben. Anfangs informiert er über Leben und Tod des sorbischen Journalisten Jan Skala. Dessen Wirken als Chefredakteur von der Gründung der Zeitschrift im Jahre 1925 bis zum 1936 über ihn verhängten Berufsverbot wird ausführlich behandelt. Programmatisch schrieb Skala im Heft 1: „Die Vertreter des klassischen deutschen Humanismus Herder und Goethe sind auch uns, die wir Staatsbürger des Deutschen Reiches, aber keineswegs Deutsche im völkischen Sinne sind, Vertreter eines Ideals, von dem sich ihre Epigonen leider so weit entfernt haben, daß wir in der Minderheit Befindlichen heute unsere Ideen verteidigen müssen. Wahrer Humanimus ist frei von jedem Unterdrückungswillen.“

Dr. Peter Kroh

Zuerst nahm die „Kulturwehr“ die nationalistische und klerikale Minderheitenpolitik der Weimarer Republik ins Visier, weil diese kaiserliche Traditionen der Unterdrückung fortsetzte, die mit der Gründung der konspirativ arbeitenden „Wendenabteilung“ im Januar 1920 (!) eine neue Stufe erreichten. Mit präzisen Analysen zum Alltag aller nach dem 1. Weltkrieg entstandenen Minderheiten ergriff die „Kulturwehr“ Partei für deren friedliches Zusammenleben mit den jeweiligen Mehrheiten sowie für entsprechende Gesetze. Allein vom Recht Verbesserungen zu erwarten, hielt Skala allerdings für ebenso lebensfremd wie die völlige Ignorierung des Rechts. Er erfuhr Recht als Unterdrückungsinstrument für Machtsicherung. Minderheitenrecht erklärte er in seinen Artikeln als Recht des einzelnen bzw. von Gruppen gegen Repression und Willkür. Dafür haßten ihn Nationalisten und Chauvinisten, die eine grenzrevisionistische „Minderheiten“-Politik betrieben. Der Autor zeigt, wie intensiv sie deshalb gegen die „Kulturwehr“ und Skala hetzten, logen und Verleumdung betrieben.

In der ersten Hälfte der 30er Jahre spitzten sich die Konflikte weiter dramatisch zu. Die solide recherchierten Artikel der „Kulturwehr“ entlarvten völkische Gesinnung und kritisierten den Nazi-Terror. Weil die Zeitschrift aber europaweit Beachtung fand, wollten sie Nazis mit und ohne Parteibuch durch einen Kurs des „Teile und herrsche!“ unter Mithilfe sorbischer Renegaten zum Schweigen bringen. Endgültig gelang das jedoch erst mit dem Berufsverbot für Skala. Sehr informativ zu dessen minderheitspolitischen Grundsätzen und seiner aufrechten antifaschistischen Haltung ist die Analyse der ihn betreffenden Gestapo-Protokolle, die während seiner „Schutzhaft“ zur Vorbereitung eines Hochverratsprozesses gefertigt wurden.

Zweitens: Der Autor wagte einen neuen Blick auf das komplizierte und umstrittene Thema „Menschenrechte“. Neu ist nicht, daß er die inzwischen in der BRD übliche außenpolitische Instrumentalisierung kritisiert. Wirklich innovativ ist dabei aus meiner Sicht der Ansatz, die im Art. 1 der UN-Menschenrechtserklärung vom 10. Dezember 1948 festgeschriebene Ebenrangigkeit von Freiheit und Gleichheit aller Menschen konsequent zu beachten und die Zuständigkeit von Politik, Wirtschaft und Medien für eine auf Gerechtigkeit und Toleranz beruhende Gesellschaftsstruktur einzufordern.

Sofort könnte man einwenden, hierbei bliebe die Aktivität der von Diskriminierung Betroffenen unbeachtet. Aber: Der Autor formuliert Alternativfragen, die direkt auf deren Nachdenken und Antworten zielen, z. B.: Stärken die in Politik, Wirtschaft und Medien Verantwortlichen mit ihrem Tun Selbstbestimmung oder Ohnmacht der Menschen; Teilhabe am oder Ausgrenzung vom gesellschaftlichen Reichtum; Mündigkeit und Urteilsfähigkeit oder Gehorsam und Anpassung? Bewirken sie, daß individuelle Freiheitsrechte, politische Mitwirkungsrechte und wirtschaftlich-soziale Grundrechte realisiert oder im Kontrast dazu völlig oder zum Teil verhindert werden? Handeln sie so, daß die Wirtschaft als Mittel für Ziele, als gesellschaftspolitischer Zweck oder als Selbstzweck betrachtet wird; Gewaltenteilung im Alltag funktioniert oder eingeschränkt wird; Medien die politische Macht demokratisch kontrollieren oder kritiklos verherrlichen?

Je nach Antwort sind Menschenrechte für den Autor entweder Norm, zumindest akzeptierter Anspruch oder Illusion zur eigenen Irreführung und der Täuschung anderer.

Dieser Ansatz wird praktisch-politisch, wenn er sodann verpaßte Chancen einer minderheitenfreundlichen politischen Kultur in Deutschland (vor und nach dem Anschluß der DDR) ebenso erörtert wie aktuelle Aspekte einer Neuausrichtung bundesdeutscher Politik gegenüber den Sorben. Dabei geht es um das Grundgesetz, den Einigungsvertrag, die Staatsbürgerschaft, um „Leitkultur“, um Schaffung eines sorbischen Parlaments sowie um Folgen des Abbaggerns sorbischen Heimatbodens. 

Drittens halte ich das Buch deshalb für sehr lesenswert, weil jeder Abschnitt umfangreiche Anmerkungen, Quellen und Angaben zu Personen enthält. Sie ergänzen die Inhalte eindrucksvoll, verweisen auf zahlreiche, oft unbekannte Querverbindungen zur deutschen Geschichte und charakterisieren insbesondere Freunde, Widersacher und Feinde der „Kulturwehr“ wie ihres Chefredakteurs.

Peter Kroh:

Minderheitenrecht ist Menschenrecht

Beggerow-Verlag, Berlin 2015, 486 S.
ISBN 978-3-936103-42-7

16,90 €