RotFuchs 187 – August 2013

Ein Klassenkämpfer, an dem die heutige SPD zu messen ist

Vor 100 Jahren starb August Bebel

Dr. Ehrenfried Pößneck

Geboren wurde Ferdinand August Bebel am 22. Februar 1840 in Deutz bei Köln. Die Schulzeit beendete er 1854 als Vollwaise, eine dreijährige Drechslerlehre schloß sich an. Nach deren Abschluß begab sich August Bebel auf die Wanderschaft nach Süddeutschland und Österreich. In seinem erlernten Beruf fand er 1860 Arbeit in Leipzig. Vier Jahre später eröffnete er in der Messestadt als selbständiger Meister eine Drechslerwerkstatt. Mit dem Eintritt in den Gewerblichen Bildungsverein begann 1861 auch seine politische Tätigkeit. 1865 wählten ihn die Mitglieder seines Arbeitervereins zu ihrem Vorsitzenden.

Vor 150 Jahren – am 23. Mai 1863 – gründete Ferdinand Lassalle in Leipzig den Allgemeinen Deutschen Arbeiterverein (ADAV). Er forderte die Arbeiter auf, sich unabhängig von der Bourgeoisie als selbständige politische Kraft zu organisieren. August Bebel schloß sich dem ADAV nicht an, weil er die Lösung der Arbeiter von der liberalen Bourgeoisie für verfrüht hielt. Ihm mißfiel vor allem, daß Ferdi-nand Lassalle mit Bismarck verhandelte, um Bedingungen zu vereinbaren, unter denen sich der ADAV für Preußens Weg zur Einheit Deutschlands einsetzen konnte. Er lehnte auch die autoritäre Führung des Vereins durch Lassalle und dessen Geringschätzung von Gewerkschaften ab. Die staatssozialistischen Vorstellungen Lassalles erschwerten auch nach dessen Tode – er starb am 31. August 1864 – den gemeinsamen Kampf der Arbeiter gegen die Bourgeoisie und das Junkertum.

1865 lernte August Bebel in Leipzig Wilhelm Liebknecht kennen, mit dem ihn in den folgenden Jahrzehnten eine enge Freundschaft verband. Liebknecht verfügte über Erfahrungen aus den Klassenkämpfen seit der bürgerlichen Revolution von 1848/49. Er besaß Kenntnisse auf dem Gebiet der marxistischen Theorie, die er sich während seines 12jährigen Exils in England angeeignet hatte. Durch ihn wurde August Bebel mit Traditionen der internationalen und der deutschen Arbeiterbewegung, mit Werken von Friedrich Engels und Karl Marx, aber auch mit den Grundsätzen der Internationalen Arbeiterassoziation (I. Internationale) vertraut gemacht, der er 1866 beitrat.

Nach dem Sieg Preußens im Krieg gegen Österreich (16. Juni bis 26. Juli 1866) betrachteten es Bebel und Liebknecht als ihre Aufgabe, gegen das militaristische Vorgehen Preußens anzukämpfen, zur Entstehung eines demokratischen Deutschland beizutragen und dafür die Arbeiterklasse sowie kleinbürgerliche Schichten zu gewinnen. Dem diente auch die Gründung der Sächsischen Volkspartei am 19. August 1866 in Chemnitz. Es waren vor allem Arbeiter und Kleinbürger, die sich in ihr zusammenschlossen.

1867 war August Bebel der erste Arbeitervertreter im Norddeutschen Reichstag. Von 1867 bis 1881 sowie zwischen 1883 und 1913 war er Mitglied des Reichstags. Von 1881 bis 1890 gehörte er dem Sächsischen Landtag an. Die Erfahrungen, die er in beiden Gremien sammelte, und die engen Kontakte zu seinen Wählern ermöglichten es ihm, eine revolutionäre Parlamentstaktik der Sozialdemokratie zu entwickeln.

Gemeinsam mit Wilhelm Liebknecht rang August Bebel um die Vereinigung der nicht im ADAV organisierten Arbeitervereine. Am 7./8. Juni 1863 nahm er am ersten Vereinstag Deutscher Arbeitervereine in Frankfurt a. M. teil, der sich – als Antwort auf die Bildung des ADAV – zum Gründungskongreß des Verbandes Deutscher Arbeitervereine (VDAV) erklärte. 1864 wurde er Mitglied des Ständigen Ausschusses des Verbandes, und 1867 wählten ihn die Delegierten zum Präsidenten des VDAV. August Bebels Wahl trug entscheidend zur Überwindung des Einflusses der Bourgeoisie auf die Führung des Verbandes bei.

Auf seinen Antrag hin erklärte sich der Nürnberger Vereinstag des VDAV 1868 für den Anschluß an das Programm der Internationalen Arbeiterassoziation. Das war ein bedeutsamer Schritt zur Anerkennung marxistischer Positionen durch die Mitglieder des Verbandes. Die Initiatoren bezogen in ihre Bestrebungen zur Bildung einer revolutionären Arbeiterpartei auch Mitglieder des ADAV ein, die mit der Politik seines Präsidenten – Johann Baptist von Schweitzer – nicht einverstanden waren.

Für die entstehende Sozialdemokratische Arbeiterpartei (SDAP) entwarf August Bebel das Programm, zu dem er 1869 auf dem Eisenacher Gründungskongreß sprach. Später erklärte Friedrich Engels dazu in seiner Schrift „Der Sozialismus in Deutschland“: „Und so entstand bald, dank vor allem den Bemühungen Liebknechts und Bebels, eine Arbeiterpartei, die die Prinzipien des 1848er „Manifests“ offen proklamierte.“ (MEW Bd. 22, S. 249)

Nach der Zielstellung „Errichtung des freien Volksstaates“ verpflichtete das Programm jedes Parteimitglied, mit ganzer Kraft für die nachstehenden Grundsätze einzutreten:

  • die heutigen politischen und sozialen Zustände sind in höchstem Grade ungerecht und daher mit der größten Energie zu bekämpfen;
  • der Kampf für die Befreiung der arbeitenden Klassen ist nicht ein Kampf für Klassenprivilegien und Vorrechte, sondern für gleiche Rechte und gleiche Pflichten und für die Abschaffung aller Klassenherrschaft;
  • die ökonomische Abhängigkeit des Arbeiters von dem Kapitalisten bildet die Grundlage der Knechtschaft in jeder Form, und es erstrebt deshalb die sozialdemokratische Partei unter Abschaffung der jetzigen Produktionsweise (Lohnsystem) durch genossenschaftliche Arbeit den vollen Arbeits-ertrag für jeden Arbeiter;
  • die politische Freiheit ist die unentbehrlichste Voraussetzung zur ökonomischen Befreiung der arbeitenden Klassen. Die soziale Frage ist mithin untrennbar von der politischen, ihre Lösung durch diese bedingt und nur möglich im demokratischen Staat;
  • die politische und ökonomische Befreiung der Arbeiterklasse ist nur möglich, wenn diese gemeinsam und einheitlich den Kampf führt, deshalb gibt sich
  • die Sozialdemokratische Arbeiterpartei eine einheitliche Organisation …
  • die Befreiung der Arbeit ist weder eine lokale noch nationale, sondern eine soziale Aufgabe, welche alle Länder, in denen es moderne Gesellschaft gibt, umfaßt. Darum betrachtet sich die Sozialdemokratische Arbeiterpartei, soweit es die Vereinsgesetze gestatten, als Zweig der internationalen Arbeiterassoziation und schließt sich deren Bestrebungen an. (Vgl. Revolutionäre deutsche Parteiprogramme, Berlin 1967, S. 45 f.)

Obwohl das Eisenacher Programm noch Reste von Glaubenssätzen Lassalles enthielt, bewahrte es den proletarischen, internationalistischen, antimilitaristischen und revolutionären Charakter des Manifests der Kommunistischen Partei. Es stellte eine günstige Bedingung für die politische Organisation der Arbeiterklasse sowie für den künftigen Vereinigungsprozeß der SDAP mit dem ADAV zu einer einheitlichen marxistischen Partei der deutschen Arbeiterklasse dar.

August Bebel befaßte sich in den Jahren vor der Parteigründung vor allem mit Werken von Friedrich Engels, Karl Marx und Ferdinand Lassalle. Die erste Schrift von Marx, die er las, war die „Inauguraladresse der Internationalen Arbeiterassoziation“. Band I des „Kapitals“ war ihm eine Hilfe bei der Auseinandersetzung mit dem Lassalleanismus.

Neben Wilhelm Liebknecht gehörte August Bebel in den Jahren des Sozialistengesetzes (1878–1890) zu den am meisten verfolgten Sozialdemokraten. Insgesamt erhielt er 57 Monate Festungs- und Gefängnishaft aufgebürdet, die er zu Studienzwecken auszunutzen suchte. So wurden staatliche Strafanstalten zu seinen „Universitäten“. August Bebel verfaßte eine Reihe eigener Werke. Hervorhebenswert sind vor allem seine Autobiographie „Aus meinem Leben“ sowie „Unsere Ziele“, „Der Leipziger Hochverratsprozeß vom Jahre 1872“, „Die Sozialdemokratie im Deutschen Reichstag … 1871–1893“ sowie „Die Frau und der Sozialismus“. Diese Schrift sollte zu den in Arbeiterkreisen am meisten gelesenen marxistischen Werken gehören. Wenn seitens der SPD heute geurteilt wird, Bebel sei kein Marxist, sondern lediglich Anhänger der Marxschen Schule der Sozialdemokratie gewesen (H. Grebing: Deutsche Sozialdemokratie in Bewegung, 2012, S. 103), so zeugt das davon, daß man dem Ringen der alten Sozialdemokratie um die Herausbildung einer marxistischen Arbeiterpartei und sogar deren jahrzehntelangem Kampf gegen Krieg und Militarismus die verdiente Wertschätzung verweigert.

Im Einsatz für ein einheitliches, demokratisches Deutschland stellten Bebel und Liebknecht Bismarcks „Revolution von oben“, die sich in Kriegen gegen Dänemark, Österreich und Frankreich manifestierte, die Volksrevolution „von unten“ entgegen.

Die Sozialdemokratische Arbeiterpartei solidarisierte sich mit der Pariser Kommune. So erklärte August Bebel am 25. Mai 1871 im Reichstag: „Meine Herren, mögen die Bestrebungen der Kommune in Ihren Augen auch noch so verwerfliche … sein, seien Sie fest überzeugt, das ganze europäische Proletariat, und alles, was noch ein Gefühl für Freiheit und Unabhängigkeit in der Brust trägt, sieht auf Paris … und … ehe wenige Jahrzehnte vergehen, (wird) der Schlachtenruf des Pariser Proletariats: ,Krieg den Palästen, Friede den Hütten, Tod der Not und dem Müßiggange!‘ der Schlachtruf des gesamten europäischen Proletariats werden …“

Im Krieg 1870/71 lehnte es der Abgeordnete Bebel ab, für die geforderten Kriegskredite zu stimmen. Er wandte sich dagegen, daß der Krieg gegen Frankreich zu einem Eroberungskrieg wurde und warnte davor, daß die beabsichtigte Annexion Elsaß-Lothringens zur Ursache für einen kommenden europäischen Krieg werden könnte. Nach dem Grundsatz „Diesem System keinen Mann und keinen Groschen!“ verwarf die Sozialdemokratie auch in den Jahren nach der Gründung des Deutschen Kaiserreichs dessen Kriegs- und Rüstungspläne.

In der Zeit des Sozialistengesetzes setzten sich die Arbeiterorganisationen mutig gegen ihre Unterdrückung zur Wehr. Die Herrschaft Bismarcks unterlag letzten Endes dem Widerstand der Arbeiterbewegung. 1890 wurde er als Reichskanzler seines Amtes enthoben.

So zeigten sich in den 90er Jahren zweierlei Resultate des Klassenkampfes:

  1. Bismarck wurde gestürzt, und das Sozialistengesetz wurde überwunden.
  2. Trotz der programmatischen Schwächen, die sich beim Zusammenschluß von ADAV und SDAP zur „Sozialistischen Arbeiterpartei Deutschlands“ auf dem Gothaer Vereinigungsparteitag 1875 zeigten, war die Partei in der Konfrontation mit dem Kapital gereift. Die früheren Mitglieder des ADAV und der SDAP lernten in der Sozialistischen Arbeiterpartei Deutschlands gemeinsam zu kämpfen. Die Partei betrieb eine an den Interessen der Arbeiterklasse orientierte Politik und nahm auf dem Erfurter Parteitag 1891 ein marxistisches Programm an. An dessen Ausarbeitung war August Bebel beteiligt. 1892 wurden er und Paul Singer auf dem Berliner Parteitag zu Parteivorsitzenden gewählt. Seit 1900 war Bebel dann Mitglied des Internationalen Sozialistischen Büros der II. Internationale.

In der Auseinandersetzung mit dem Revisionismus Eduard Bernsteins und Georg von Vollmars legte August Bebel auf dem Dresdener Parteitag 1903 seine persönliche Schlußfolgerung aus dem jahrzehntelangen Streit mit dem Opportunismus dar. Sie lautete: „Solange ich atmen und schreiben und sprechen kann, soll es nicht anders werden. Ich will der Todfeind dieser bürgerlichen Gesellschaft und dieser Staatsordnung bleiben, um sie in ihren Existenzbedingungen zu untergraben und sie, wenn ich kann, zu beseitigen.“

August Bebel starb am 13. August 1913 in Zürich. Seinem Sarg folgten Zehntausende. Mit ihrer Anteilnahme würdigten sie einen Arbeiterführer, der sein ganzes Leben für die Erfüllung der weltgeschichtlichen Aufgabe des Proletariats, der Befreiung der Menschheit vom Kapitalismus mit seiner Ausbeutung, seinen Krisen und seinen Kriegen, eingesetzt hatte.

Eines der beim Parteivorstand der SPD eingegangenen Telegramme lautete: „Teilen Ihren Schmerz wegen Verlust größten Führers der internationalen revolutionären Sozialdemokratie.“ Es kam von Lenin.

August Bebels Vermächtnis zu erfüllen, ist eine Aufgabe aller geblieben, die sich den Idealen der Arbeiterklasse – Frieden, Sozialismus und Kommunismus – verbunden fühlen.