RotFuchs 208 – Mai 2015

Wie von den Taxi-Unternehmern der Mindestlohn unterlaufen wird

Warum ich als Fahrer gekündigt habe

Kay Strathus

Am 7. Februar erhielt ich Gelegenheit, in einem Interview mit der „Thüringer Landeszeitung“ ein paar den Unternehmern unangenehme Wahrheiten über die Taxibranche nicht nur in Weimar auszusprechen. Das Blatt war durch die Lese-Empfehlung eines Weimarer Onlineportals auf mein Blog aufmerksam geworden, aus dem ja auch der „RotFuchs“ Erlebnisse und Geschichten eines Taxifahrers veröffentlicht hat.

Angesichts des „neuen Zeitalters“ für den Niedriglohnsektor und in realistischer Einschätzung der Lachnummer „Mindestlohn“ hatte ich mir rechtzeitig eine andere Lohnarbeit gesucht. Die düstere Vorahnung wurde durch das „großzügige Angebot“ meines Taxiunternehmers bestätigt, fortan für 41 statt wie bisher für 40 % Umsatzbeteiligung zur Vermehrung seines Reichtums beizutragen. Einziger Fahrer, der auf der Bezahlung der Zeitstunde mit 8,50 EUR bestand, waren meine Tage in Diensten dieses marktwirtschaftlichen Vorzeigebürgers gezählt.

Alle anderen Kollegen fühlen sich gezwungen, das schäbige Spiel mitzumachen und sich zu denselben Konditionen wie zuvor, nun aber unter Fingierung reduzierter Arbeitsstunden, zähneknirschend weiter ausbeuten zu lassen. Da werden Arbeitszeitkonten gefälscht, Fahrtenbucheinträge untersagt oder der nun als „Überstunden“ zu deklarierende Anteil der Arbeitszeit einem fiktiven Überstundenkonto gutgeschrieben. Dieses soll angeblich am Jahresende – also am Sankt-Nimmerleins-Tag – ausgeglichen werden. Etwa 250 Stunden im Monat waren die Regel und sind es immer noch. Nur werden jetzt 100 davon als „Überstunden“ deklariert. Kein Fahrer glaubt daran, daß „sein“ Unternehmer ihm nach einem Jahr mehrere tausend Euro auszahlen oder ihn ersatzweise 3 bis 4 Monate bei Weiterbezug des Lohns freistellen wird.

Eine pikante Extranote erhält die Angelegenheit durch die drastische Tariferhöhung von beinahe 100 % pro gefahrenem Kilometer (3,00 € statt bisher 1,60 €), die sich Weimars Taxi-Unternehmerschaft schon im Dezember 2014 von der Stadt hatte genehmigen lassen. Die nun spürbar verteuerten Fahrten sorgen für deutlich mehr Umsatz, und das sogar in den traditionell „schwachen“ Monaten Januar und Februar. Die Fahrer aber müssen mit ansehen, wie von diesem Mehrerlös nichts bei ihnen hängenbleibt.

Selbst eine derart dreiste Nummer der „Arbeitgeber“, als Begründung für die Tariferhöhung den ihnen drohenden Mindestlohn anzugeben und sich die dadurch gesteigerten Mehrumsätze in die eigenen Taschen zu stecken, wird von der Mehrzahl der Fahrer entweder nicht zur Kenntnis genommen oder mit resignierendem Achselzucken verbucht. Die Vereinzelung, das Gegeneinander und die Reduzierung jedes Fahrers auf eine beliebig ausnutzbare Einkommensquelle für den jeweiligen Unternehmer ist ungebrochen.

Es ist überflüssig zu erwähnen, daß ich nach Erscheinen des Interviews in der „Thüringer Landeszeitung“ erst recht keine Chancen mehr hatte, von irgendeinem Taxibetreiber jemals wieder gefragt zu werden, ob ich nicht ein paar Schichten fahren wolle. Allerdings war das auch nicht meine Absicht, obwohl ich die Arbeit wegen der Fahrgäste und mancher Kollegen gerne gemacht habe. Meine Hoffnung war, daß durch die Publikation eines Artikels mit klar geäußerten Hinweisen auf den branchenüblichen Versuch der Umgehung des Mindestlohns vielleicht die eine oder andere Behörde aufmerksam und den „Arbeitgebern“ etwas genauer auf die Finger und in die Bücher geschaut würde.

Ich denke nicht, daß sich diese Hoffnung erfüllen dürfte. Zu sicher sind sich die Bosse, daß ihre Masche nicht auffliegt, sondern sogar auf verständnisvolles Wohlwollen bei politischen Sachwaltern stößt. Immerhin ist ja – wenige Monate nach Einführung des „flächendeckenden Mindestlohns“ – schon wieder die Rede davon, den Firmenchefs solche Zumutungen wie eine genaue Zeiterfassung zu ersparen. Das aber wäre die einzige Maßnahme, die eine wirksame Kontrolle darüber ermöglichen würde, ob der Mindestlohn tatsächlich auch gezahlt wird.

Wenn es noch eines Beispiels zur Illustration der Schaumschlägerei sozialdemokratischer Kapitalistenversteher dafür bedurft hätte, um klarzustellen, wer hierzulande das Sagen hat und die Gesetze macht – der „Mindestlohn“ öffnet einem die Augen. So man es denn will.

Wenn aber schon weitaus „größere“, für das Überleben der Menschheit spürbar gefährlichere Entwicklungen wie der immer kriegslüsternere Expansionsdrang des Imperialismus nicht in der Lage sind, eine Mehrheit der Bevölkerung gegen die Lügen der herrschenden Klasse zu mobilisieren, wie soll dann erst irgendein Hund durch den marktwirtschaftsüblichen Betrug an den Arbeitern in einer peripheren Niedriglohnbranche wie dem Taxiwesen hinterm Ofen hervorgelockt werden?

Die Aufgabe von Kommunisten, Sozialisten und anderen Humanisten kann angesichts der gegebenen Verhältnisse nur darin bestehen, geduldig aufzuklären und die Ursachen von Not, Ausbeutung, Arbeitslosigkeit und Krieg zu benennen. Man darf die Hoffnung nicht verlieren, daß sich eines Tages genügend Menschen zusammentun, die mit der nötigen Konsequenz die Eigentumsfrage stellen. Für mich heißt das nicht – wie für die Partei Die Linke –, den Kapitalismus ein bißchen erträglicher machen zu wollen und dafür in bürgerlichen Wahlen Stimmen zu sammeln, sondern aus dem Kapitalstandort BRD ein Land zu machen, wo eine bedürfnisorientierte Planwirtschaft den immensen Reichtum von Land und Leuten allen zugute kommen läßt.