RotFuchs 195 – April 2014

Warum ich auf meinen Enkel stolz bin

Erna Ziegler

Als Großmutter von sechs Enkeln im wehrfähigen Alter heißt es für mich, wachsam zu sein. Es war 1998, als meine Tochter angeheult kam. Sie erzählte mir, daß sich mein ältester Enkel freiwillig zum Auslandseinsatz im Kosovo verpflichtet habe. Er käme am Wochenende ein letztes Mal vom „Bund“ auf Urlaub.

Als Kind mußte ich den Zweiten Weltkrieg miterleben. So weiß ich, was Krieg bedeutet. Deshalb war ich über seinen Entschluß entsetzt.

Damals wußte ich vor Schreck nicht gleich, wie ich mich verhalten sollte. So bat ich meine Tochter, mir den Jungen am Wochenende einmal vorbeizuschicken.

Er kam auch ganz fröhlich zu mir und fragte mich: „Na Oma, was haste denn mit mir zu meckern?“ Wütend fauchte ich ihn an und fragte, ob er denn noch bei Sinnen sei. Er lachte mich aus und erwiderte nur: „Ach Oma, ich bekomme für diese Zeit 25 000 DM, davon kann ich mir vieles kaufen, auch ein Motorrad. Du weißt doch, daß das mein großer Wunsch ist.“

Nun fragte ich ihn, was er mache, wenn er da unten auf eine Mine träte oder eine Granate ihm Arme und Beine wegrisse. Seine Antwort war unbekümmert: „Mensch Oma, reg Dich nur nicht auf, so schlimm wird es schon nicht werden.“

Ich merkte, daß ich auf diese Weise an meinen Enkel nicht herankam. Bei Kaffee und Kuchen erzählte ich ihm dann ein Erlebnis, das ich 1944 als achtjähriges Kind hatte, als ich mich mit meiner Mutter in Stuttgart aufhielt. Von deren Freundin waren wir für den Nachmittag eingeladen worden. Weil es damals aus Gründen der Verdunkelung wegen drohender Luftangriffe keine Straßenbeleuchtung gab, bat uns die Freundin, doch bei ihr zu bleiben.

In dieser Nacht mußte ich den ersten schweren Luftangriff auf die Stadt miterleben. Wir Kinder saßen im Keller, hörten die Bomben fallen und hatten große Angst. Alle weinten, auch unsere Mütter. Als dann ein Volltreffer das Haus erwischte, versperrten Trümmer sämtliche Ausgänge. 24 Personen waren unter der Erde eingeschlossen, darunter fünf Kinder.

Als die Luft stickig und knapp wurde, brach Panik aus. Es war sehr schlimm. Nach mehrstündiger mühevoller Arbeit hatten drei beherzte ältere Männer einen Spalt freigelegt, so daß wir unter großer Anstrengung rauskriechen konnten. Doch es empfing uns ein Inferno. Kilometerweit standen Gebäude und Anlagen in Flammen. Es gab kaum Luft zum Atmen, beißender Qualm, einstürzende Häuserwände, links und rechts Tote und um Hilfe schreiende Verletzte, dazwischen verzweifelte Menschen. Heute bin ich 77, aber niemals werde ich diese Bombennacht vergessen.

Als ich all das meinem Enkel geschildert hatte, wurde er sehr nachdenklich und sagte auf einmal: „Oma, das habe ich so bisher nicht gesehen. Am Bildschirm spielt sich alles ganz anders ab.“

Er bereute seinen Entschluß, sich freiwillig gemeldet zu haben. Alles andere ging dann recht schnell. Er kehrte in seine Einheit zurück, meldete sich krank, so sehr, daß man ihn sofort nach Zschopau brachte. Im Krankenhaus wurde er gründlich untersucht, wobei man ihm auf die Schliche kam. Sein Flunkern hatte zur Folge, daß er bei seinem Kompaniechef und bei Kameraden in Ungnade fiel. Er wurde in Unehren aus der Bundeswehr entlassen. Ein halbes Jahr lang bekam er keine Arbeit. Meinem Enkel geht es heute gut. Er ist gesund und hat sich auf Kredit ein Motorrad gekauft.

Ich bin stolz auf ihn!