RotFuchs 207 – April 2015

Empörung über Katzbuckeln, doch Bekenntnis zum Programm

Warum ich in der Linkspartei bleibe

Dr. sc. Rosemarie Griese

Den Artikel des Genossen Gnant habe ich mit großem Interesse gelesen. Ich teile seine Empörung über Gregor Gysi völlig. Mehr katzbuckeln kann man vor den heute Herrschenden wohl kaum.

Ich bin Historikerin. Seit 1956 gehörte ich der SED an und arbeitete bis zur Abwicklung 1990 als Hochschullehrerin an der TU Dresden. Wie Genosse Gnant bin ich Mitglied der Linkspartei. Das Abwägen – bleiben oder gehen – war ein sehr langer und schwieriger Denkprozeß.

Das Ergebnis möchte ich zu Papier bringen. Vielleicht kann daraus eine fruchtbare Diskussion im „RotFuchs“ entstehen.

Zunächst sei festgestellt, daß sich die PDS nach ihrem Parteitag im Dezember 1989 trotz vieler Diskussionen und verschiedener Strömungen nicht zu einer sozialistischen Partei entwickelt hat. Sie betrieb kontinuierlich eine Abkehr vom Marxismus und verfolgte permanent einen Kurs auf Annäherung an den Staat BRD, wenn man von Sahra Wagenknecht, Hans Modrow und anderen absieht. Wie man es auch dreht und wendet: Die Linkspartei zeigt sich uns heute als eine Art sozialdemokratische Wahlpartei. Daraus resultiert das Ziel, nicht bei den Herrschenden anzuecken und möglichst überall mitzuregieren.

So hat sie keine Bereitschaft gezeigt, die Geschichte der DDR kritisch, aber zugleich auch objektiv aufzuarbeiten. Sie hat sich Lügen und Verleumdungen über sie kritiklos zu eigen gemacht. Ich war entsetzt, daß sich führende Genossen für alles mögliche entschuldigten, statt auf das Wirken der BRD gegen die DDR hinzuweisen. Eine Relativierung der Ereignisse wäre wohl das mindeste gewesen. Ich denke auch an die Behauptung, 1946 habe eine „Zwangsvereinigung“ von SPD und KPD stattgefunden, was so nicht zutrifft. Oder denken wir an die Erklärungen zur „Mauer“. Ich habe keinen Verantwortlichen der Linkspartei gehört, der auf die Ziele der BRD hingewiesen hätte, die DDR durch den Schwindelkurs der DM-Mark wirtschaftlich auszubluten. Auch, daß wir 40 Jahre lang unter Wirtschaftsembargos der BRD leben mußten, soll aus dem Gedächtnis gestrichen werden.

Hat je ein Funktionsträger der Linkspartei bei der Verurteilung der Russen wegen des Anschlusses der Krim an die Russische Föderation darauf hingewiesen, daß Bonn 1989/90 die DDR der BRD angeschlossen hat? Die Einverleibung der DDR durch die BRD war der eklatanteste Bruch des Völkerrechts, den der westdeutsche Staat beging. Nach Öffnung der Grenzen mischte sich die BRD unter Kohl skrupellos in die inneren Angelegenheiten der Noch-DDR ein. Das erklärte Ziel bestand in der Vernichtung dieses souveränen Staates, der von über 80 anderen Staaten anerkannt und Mitglied der UNO war. Doch in einer Diskussionsrunde mit Maybrit Illner wiederholte Gysi die These, die Russen hätten das Völkerrecht gebrochen. Also Vereinigung nur dort, wo es den Herrschenden in Europa und Übersee in den Kram paßt?

Was aber spricht trotz allem für mein Verbleiben in der Linkspartei?

Bei einer nichtsozialistischen Partei darf bezweifelt werden, daß sie programmatisch einen Systemwechsel anstrebt. Aber dieser steht ja gegenwärtig auch nicht zur Debatte. Weder objektiv noch subjektiv sind dafür die erforderlichen Bedingungen vorhanden. Als gebildete Marxisten gehen wir davon aus, daß es wohl auch künftig – zumindest nach jetzigem Erkenntnisstand – keine klassische Revolution wie 1917 in Rußland mehr geben dürfte. Schon in der DDR haben wir Hochschullehrer den Studenten vermittelt, daß bei Systemgefährdung die Bündnismechanismen der NATO sofort in Kraft treten würden.

In den 70er Jahren wurde auf einer internationalen Beratung der kommunistischen und Arbeiterparteien in Auswertung der chilenischen Erfahrungen hervorgehoben, daß der Übergang zum Sozialismus unter bestimmten Voraussetzungen auch auf parlamentarischem Wege erfolgen könne. Das aber setzt ein breites Bündnis aller an gesellschaftlichen Veränderungen interessierten politischen Kräfte, Organisationen und Parteien voraus.

Ich verfolge mit Interesse die Arbeit der Koalition in Thüringen unter Bodo Ramelow. Lassen sich dort linke Positionen durchsetzen? Wird das Bündnis halten? Solche Fragen sind berechtigt. Wenn ein Ministerpräsident der Linken schon unmittelbar nach Amtsantritt die DDR-Geschichte „aufarbeiten“ will, sich nicht als verlängerten Arm seiner eigenen Partei versteht und dieser auch nicht gestatten will, auf Entscheidungen im Bundesrat Einfluß zu nehmen, sind Zweifel an dieser Politik angebracht.

Die derzeitige Linkspartei hat es sich zur Aufgabe gestellt, zunehmenden Auswüchsen des Kapitalismus entgegenzuwirken. Da steht an erster Stelle das Bemühen um soziale Gerechtigkeit, Eintreten für sozial Schwache und andere benachteiligte Schichten der Bevölkerung. Dazu liegt ein akzeptables Programm vor. Erinnert sei an den seit Januar 2015 eingeführten Mindestlohn. Initiator war vor vielen Jahren die Linkspartei. Damals verlacht von CDU und SPD, ist er inzwischen Realität. Oder nehmen wir das Bemühen der Linkspartei um bezahlbaren Wohnraum – für viele Menschen eine Existenzfrage.

Unter den Bedingungen des ausufernden Kapitalismus ist die Verbesserung der Lebensverhältnisse der Mehrheit der Menschen eine elementare und partiell auch lösbare Aufgabe.

Stellen wir uns vor, es gäbe – aus welchen Gründen auch immer – die Linkspartei nicht mehr. Welch ein Jubel, welch ein Aufatmen wäre dann bei anderen zu vernehmen!

Unter den heute bestehenden Bedingungen hat die Linkspartei nach meiner Überzeugung eine historische Berechtigung. Ihre politische Wirksamkeit hängt neben ihrer Programmatik auch von ihrer zahlenmäßigen Stärke ab. Deshalb traf ich die Entscheidung, in ihr zu bleiben. Trotz allem!

Genosse Gnant schreibt im RF: „Wir sollten vielmehr daran arbeiten, ein eigenständiges, unverwechselbares sozialistisches Profil unserer Partei zu schärfen.“Da pflichte ich ihm bei. Doch mit der Linkspartei wird es aus zwei Gründen nicht gelingen. Erstens sterben wir alten, sozialistisch erzogenen Mitglieder aus. Viele können schon heute nicht mehr am Parteileben teilnehmen. Zweitens unternimmt die Partei bewußt nichts, um junge Mitstreiter zu Sozialisten heranzubilden. Als Mitglied und zeitweilige Vorsitzende des Ältestenrates der PDS/Linkspartei beim Stadtvorstand Dresden weiß ich, daß alle diesbezüglichen Vorschläge ohne Echo geblieben sind.

Dennoch müssen wir uns entscheiden: Die Linkspartei bei der Bewältigung ihrer aktuellen Aufgaben zu unterstützen – oder eine neue sozialistische Partei anzustreben. Daß wir dazu die Kraft haben, bezweifle ich.