RotFuchs 210 – Juli 2015

Wer in Wahrheit für die
deutsche Einheit kämpfte

Eberhard Rehling

Seit dem 22. April 1945 hatte Marschall Shukow am Ufer der Dahme in der Waldgaststätte Wendenschloß sein Hauptquartier aufgeschlagen. Am 5. Juni kam es dort zu einem Treffen mit den Oberkommandierenden der anderen alliierten Armeen General Eisenhower, Feldmarschall Montgomery und General de Lattre de Tassigny. Im Saal des beliebten Ausflugslokals wurde die Berliner Deklaration über die Niederlage Deutschlands und die Übernahme der höchsten Autorität durch die Regierungen der vier alliierten Staaten unterzeichnet.

In diesem Dokument wurde festgestellt: „Es gibt in Deutschland keine zentrale Regierung oder Behörde, die fähig wäre, die Verantwortung für die Aufrechterhaltung der Ordnung, für die Verwaltung des Landes und für die Ausführung der Forderungen der siegreichen Mächte zu übernehmen.“ Damit war die Existenz des Deutschen Reiches faktisch beendet.

Die Waldgaststätte Wendenschloß – später Klubhaus Freundschaft – wurde inzwischen abgerissen. Eine dort 1985 aufgestellte Gedenktafel verschwand in den Wirren der Jahre 1989/1990. Sie wurde später auf einem Gartengrundstück entdeckt und 2005 zum 60. Jahrestag der Befreiung auf Initiative des Bürgervereins Wendenschloß – Kietzer Feld – Gartenvorstadt auf dem Gelände der neu entstandenen Wohnanlage wieder angebracht.

Das Territorium Deutschlands teilte man in Besatzungszonen auf, in denen sich Länder mit eigenen Verfassungen, Parlamenten und Regierungen wieder konstituierten oder neu bildeten. Die Regierungsgewalt wurde vom Alliierten Kontrollrat ausgeübt, der mit der Berliner Erklärung gegründet worden war. Das Kontrollratsgesetz Nr. 46 vom 25. Februar 1947 löste Preußen als Staat auf.

Die insgesamt 15 Artikel der „Berliner Erklärung“ betrafen vor allem die Übernahme aller Waffen samt Munition sowie sämtlicher Schiffe, Luftfahrzeuge und Nachrichtenmittel der deutschen Faschisten und die Festnahme aller durch die Alliierten als solche bezeichneten Kriegs- und Naziverbrecher, nicht aber das zivile Verwaltungssystem. So waren Bemühungen zur Gründung eines neuen deutschen Staates legitim.

Am 6. Dezember 1947 trat in Berlin auf Initiative der SED der Deutsche Volkskongreß zusammen. An ihm nahmen Delegierte aus ganz Deutschland teil. Seine wichtigste Forderung war die Bildung einer zentralen deutschen Regierung.

Die geplante Errichtung eines westdeutschen Separatstaates wurde abgelehnt. Der Kongreß entsandte eine 17-köpfige Delegation zur Londoner Außenministerkonferenz, die vom 25. November bis zum 5. Dezember 1947 stattfand. Die Abordnung wurde jedoch nicht empfangen.

Am 17. und 18. März 1948 tagte der Zweite Deutsche Volkskongreß. An ihm nahmen 1898 Delegierte teil, davon 512 aus den Westzonen. Beschlossen wurden die Ablehnung des Marshallplans, die Anerkennung der Oder-Neiße-Linie als Grenze zu Polen sowie ein Volksbegehren zur deutschen Einheit.

Vom Ersten Deutschen Volksrat, der 400 Mitglieder zählte – davon 100 aus Westdeutschland –, wurde ein Verfassungsausschuß gewählt, der unter Leitung Otto Grotewohls stand. Das Volksbegehren wurde in den Westzonen verboten. In Berlin Ost und West trugen sich 35 %, in den Ländern der Sowjetischen Besatzungszone rund 90 % der Einwohner in die Listen ein.

Der Dritte Deutsche Volkskongreß wurde von der Bevölkerung der Sowjetischen Besatzungszone am 15. und 16. Mai 1949 gewählt. Zur Abstimmung stand die Aussage:

„Ich bin für die Einheit Deutschlands und einen gerechten Friedensvertrag. Ich stimme darum für die nachstehende Kandidatenliste zum Dritten Deutschen Volkskongreß.“

Mit ja stimmten 55 %, mit nein 32 % der 12,5 Millionen Stimmberechtigten. Der Kongreß tagte am 29. und 30. Mai 1949. An ihm nahmen 1400 Delegierte aus der Sowjetischen Zone und 610 aus den Westzonen teil. Der Verfassungsentwurf des Volksrates wurde am 30. Mai bei einer Gegenstimme angenommen. Gleichzeitig wurde der Zweite Deutsche Volksrat gewählt.

Am 1. September 1948 trat der in den westlichen Besatzungszonen sowie vom Westberliner Abgeordnetenhaus gebildete Parlamentarische Rat zusammen. Er bestand aus 65 stimmberechtigten und 5 nicht stimmberechtigten Mitgliedern, welche aus Westberlin kamen. Er beschloß am 8. Mai 1949 das Grundgesetz, welches dann von den drei westlichen Militärgouverneuren bestätigt wurde und am 23. Mai 1949 in Kraft trat.

Unter dem Eindruck der Gründung der Bundesrepublik Deutschland bei Ausschluß der Länder der Sowjetischen Besatzungszone bildete sich der Deutsche Volksrat am 7. Oktober 1949 zur Provisorischen Volkskammer um. Der von ihm vorgelegte Entwurf wurde als Verfassung der DDR bestätigt. Diese erfüllte in vollem Maße die von den Siegermächten sowohl in der Berliner Erklärung vom 5. Juni 1945 als auch im Potsdamer Abkommen vom 2. August 1945 geforderte Abkehr deutscher Politik von Krieg und Faschismus.

In den Westzonen und dann auch in der BRD gerieten die Forderungen der Berliner Erklärung recht bald in Vergessenheit. Wie wäre es sonst zu erklären, daß noch im Sommer 1945 komplette Einheiten der faschistischen Wehrmacht auf dem Gebiet des Landes Schleswig-Holstein unterhalten wurden und dort ein Nazi-Kriegsgerichtsrat Filbinger, der später CDU-Ministerpräsident des Landes Baden-Württemberg wurde, Todesurteile gegen deutsche Soldaten wegen Fahnenflucht fällen konnte? Wo war die Legitimation dafür zu suchen, daß der Kommentator der Nürnberger Rassengesetze Globke 1949 an die Spitze des Bundeskanzleramtes gestellt wurde?

Durch die bald nach Kriegsende offen aufgebrochenen Widersprüche zwischen den Besatzungsmächten blieb ein erneuertes Gesamtdeutschland unerfüllte Hoffnung. Der Weg zur Veränderung der politischen Machtverhältnisse in Gesamtdeutschland wurde blockiert.

In den Zonen sammelten sich jeweils die deutschen Kräfte, die entsprechend ihren ideologischen und politischen Prägungen mit Unterstützung durch die dortige Besatzungsmacht rechnen konnten. In den Westzonen gewannen Träger und Förderer des faschistischen Systems schnell wieder an wirtschaftlicher Stärke und politischem Einfluß. Im Zusammenwirken mit den Westmächten nahmen sie Kurs auf einen westdeutschen Staat. Bereits 1948 erfolgte die Einführung einer separaten Währung für die Westzonen.

In zeitlicher Parallelität zu den Vorgängen dort entwickelten sich in der SBZ demokratische Verwaltungen bis zur Ebene der Landesregierungen und in Ansätzen auch für die gesamte Zone. Unter dem Schutz der UdSSR wurde es möglich, die Konzernherren und Großagrarier wirtschaftlich zu entmachten. Die Bodenreform wurde demokratisch beschlossen und vollzogen. Ebenso verhielt es sich mit dem Volksentscheid über die Enteignung der Nazi- und Kriegsverbrecher sowie der Überführung ihrer Unternehmen in Volkseigentum. Es zeichnete sich eine echte Alternative zu jener Ordnung ab, welche das deutsche Volk seit den Zeiten des Kaiserreichs in immer neues Unglück gestürzt hatte. Deshalb schlossen sich Kommunisten, Sozialdemokraten, bürgerliche Demokraten und viele Menschen, die einfach aus dem Elend heraus wollten, zusammen, brachten das wirtschaftliche Leben in Gang und engagierten sich in den Selbstverwaltungsorganen.

Man muß die Entwicklung zwischen 1945 und 1949 Jüngeren und Jungen übermitteln, weil sie von der offiziellen Geschichtsschreibung der BRD völlig anders dargestellt oder ganz verschwiegen wird.

Wenn der 3. Oktober 1990 als Zeitpunkt der Wiedervereinigung Deutschlands ausgegeben wird, dann widerspricht das der Realität. An diesem Tag ist ein deutscher Staat, die DDR, von einem anderen deutschen Staat, der BRD, annektiert worden.