RotFuchs 192 – Januar 2014

Aus der Chronik des antifaschistischen Widerstandes
im Zuchthaus Luckau

Wo Karl Liebknecht einsaß

Günter von Bloh

Vor seiner Hinrichtung durch die Faschisten im Zuchthaus Brandenburg schrieb der Kommunist Robert Uhrig am 21. August 1944 im Abschiedsbrief an seine Frau Charlotte: „Mein Leben hat doch viel Schönes und Lebenswertes gehabt, und vor allem hatte ich ein Ziel vor den Augen.“ Er schloß mit den Worten: „Mein letzter Gedanke gilt Dir und einer freien Menschheit.“

So aufrecht und stolz gingen viele Widerstandskämpfer gegen den Faschismus in den Tod. Sie waren Wegbereiter für eine Zukunft ohne Ausbeutung und Unterdrückung, in der für alle Menschen ein Leben in Frieden und materieller Sicherheit gewährleistet ist. Lang und opferreich war dieser Weg für unser Volk, bis wir dieses Anliegen in der DDR verwirklichen konnten.

Auch das Zuchthaus Luckau war über viele Jahre hinweg eine Station zahlreicher Bahnbrecher für eine bessere Zukunft. Schon in der Zeit von 1916 bis 1918 hielt der deutsche Imperialismus hier den herausragenden Führer der deutschen Arbeiterbewegung, Karl Liebknecht, gefangen, weil er für Frieden und einen sozialistischen Staat auf deutschem Boden stritt.

Als 1933 über Deutschland die Nacht des Faschismus hereinbrach, wurde auch das Luckauer Zuchthaus zu einer Stätte der Verfolgung von Gegnern der faschistischen Gewaltherrschaft. Besonders aus dem Raum Berlin-Brandenburg verschleppte man bereits 1933/34 Hunderte Kommunisten, aber auch Sozialdemokraten und andere Gegner der Nazi-Diktatur dorthin.

Stellvertretend für viele in Luckau eingekerkerte antifaschistische Widerstandskämpfer beschreibt Günter Wackernagel den Weg, den er 1936 nach Luckau gehen mußte so: „Der Transport in das Zuchthaus erfolgte vom Anhalter Bahnhof in Berlin aus in einem Gefangenensammelwagen der Reichsbahn. Wir waren etwa 40 Mann, als wir auf dem Luckauer Bahnhof ankamen und dort von drei Wachtmeistern und einem Hauptwachtmeister in Empfang genommen wurden. Jeweils zwei Gefangene wurden mittels einer als Acht bezeichneten Handfessel aneinandergeschlossen, und durch alle zog man eine lange Stahlkette, deren Enden jeweils mit einem Vorhängeschloß gesichert wurden. Wie Galeerensträflinge trieb man diese aneinandergekettete Menschentraube unter Ketten- und Handfesselgeklirr zu Fuß vom Bahnhof durch die belebten Straßen der Stadt dem Zuchthaus entgegen. Niemand von den Passanten zeigte Erstaunen oder gar den Schimmer einer Anteilnahme mit dem sich langsam dahinbewegenden Menschenknäuel. Es schien mir, daß sie durch die Häufigkeit derartiger faschistischer Prozessionen in ihrem Innern so abgestumpft waren, daß sie diese Elendszüge gar nicht mehr zur Kenntnis nahmen und sich gegenüber dem Schicksal der Gefangenen gleichgültig verhielten.“

Die Bedingungen, unter denen die politischen Häftlinge im Zuchthaus Luckau vegetieren mußten, waren sehr unterschiedlich. Wer das „Glück“ hatte, in einem der vielen Außenkommandos arbeiten zu dürfen, wurde zwar ebenfalls geschunden und gehetzt, hatte aber wenigstens täglich frische Luft und konnte eventuell sogar ab und zu etwas Eßbares ergattern. Im Zuchthaus waren die Gefangenen in Gemeinschafts-, aber auch in Einzel- oder Zellenhaft untergebracht und mußten mit dem Hunger als ständigem Begleiter nach dem dort herrschenden Zwangsregime leben. Das erschwerte die Informations- und Organisationsarbeit der auch unter diesen Bedingungen ihre Arbeit fortsetzenden Funktionäre der KPD.

Darüber berichtet Günter Wackernagel: „Trotz der zunehmenden Tendenz einer Durchsetzung des Beamtenapparats mit faschistischen Elementen und der ständigen ideologischen Beeinflussung der alten Aufseher, blieb die Wirksamkeit der Partei auch angesichts des zunehmenden Terrors im Zuchthaus erhalten. Dafür sorgten die Atmosphäre, die unter den politischen Gefangenen herrschte, ihre gegenseitige Solidarität und ihr Optimismus, mit dem sie die ihnen von den Faschisten auferlegten Strafen ertrugen. Wir verkörperten durch die hohe Konzentration von Kommunisten im Zuchthaus die Partei. Jede Phase unseres Handelns – ob im eigenen Interesse oder zum Nutzen aller Gefangenen – war Ausdruck aktiver Parteiarbeit.“ Heute wissen wir, daß über einen längeren Zeitraum hinweg die illegale Arbeit der KPD im Zuchthaus Luckau von Hans Jendretzky, Herbert Dünow, Robert Siewert, Willy Sägebrecht, Hans Seigewasser, Willy Rumpf, Karl Fischer und Robert Uhrig geleitet wurde.

Hier schlossen sich Genossen zu-sammen, um erste Absprachen zu treffen, wie sie gemeinsam nach der Haftentlassung den Kampf gegen den Faschismus weiterführen könnten. Etliche „Politische“ setzten nach ihrer „Strafverbüßung“ in einer Widerstandsgruppe unter der Leitung des Genossen Robert Uhrig bis zu ihrer Festnahme und Ermordung im August 1944 den Kampf gegen die Faschisten fort. In der Schulze-Boysen/Harnack-Organisation arbeiteten ebenfalls Kommunisten, die in den ersten Jahren der faschistischen Diktatur in Luckau eingekerkert waren. Organisiert wurde diese Arbeit von der KPD Berlin-Brandenburg, in deren Operativleitung Robert Uhrig und Wilhelm Guddorf eine maßgebliche Rolle spielten. Viele ehemalige „Luckauer“ leisteten bis zu ihrer erneuten Festnahme mutig Widerstand und gingen im Glauben an eine bessere Zukunft in den Tod.

Und auch das sollte nicht unerwähnt bleiben: Nicht wenige Genossen nutzten die Zeit ihres Zuchthausaufenthaltes, um unter Mühen, Opfern und Gefahren ihr Wissen ständig zu erweitern und einen festen Klassenstandpunkt zu erwerben. So gab es illegale Zirkel, in denen sehr intensiv gelernt wurde, um den Faschisten jederzeit entschlossen entgegentreten zu können. Im Mittelpunkt vieler Debatten stand die Frage, wie man die Einheit der Partei, die Volksfrontpolitik der KPD stärken könne. Oft ging es auch um aktuelle Probleme wie den Kampf gegen Franco, Hitler und Mussolini in Spanien. Solche Diskussionsrunden ließen sich besonders gut in den Gemeinschaftszellen durchführen. Als hervorragende Propagandisten und Zirkelleiter betätigten sich u. a. die Genossen Willi Rumpf, Hans Seigewasser, Wilhelm Guddorf, Robert Siewert, Karl Fischer und Dr. Philipp Schaeffer. Zur illegalen Arbeit gehörte auch ein System ständiger Information der im Zellenhaus untergebrachten politischen Gefangenen. Diese erfolgte vor allem über jene Mitstreiter, welche als Kalfaktoren Zutritt zu deren Zellen hatten.

Genosse Degen berichtet über kleine handschriftliche Lehrmaterialien, die im Verborgenen geschrieben und nachts als „Strippenpost“ von Fenster zu Fenster oder über Kalfaktoren zu jungen Häftlingen weitergeleitet wurden: „Zur Zeit meiner Einlieferung im Jahr 1935 existierte ein gut organisierter illegaler Informationsdienst. Von den neueingelieferten Genossen wurden Lage- und Situationsberichte eingeholt und abschriftlich an die anderen Genossen herangetragen. Durch eine Unvorsichtigkeit gelangte ein Exemplar davon in die Hände der Anstaltsleitung. Es setzte sofort eine hektische Fahndung nach den Verfassern dieser Schriften ein. Alles wurde durchsucht und durcheinander- gewürfelt. So verlegte man den Genossen Großkopf in meine Zelle. Er war von Beruf Kartograph und ein Talent im Anfertigen von Druckschriften. Wir beschlossen nach einer Zeit des Abwartens, die illegale Arbeit wieder aufzunehmen. Schreibmaterialien besorgten wir über unseren Flurkalfaktor von einem einsitzenden ehemaligen Bankier, der die Bibliothek verwaltete und große Freizügigkeit genoß. Schwierig war es, diese Dinge in der Zelle zu verbergen. Nach intensivem Suchen entschlossen wir uns, im Türrahmen eine Leiste zu lösen und von dort aus eine Höhlung in das Mauerwerk einzuarbeiten. Unsere Werkzeuge waren lediglich ein Tischmesser aus Blech und eine große Schere, die wir für die Häftlingsarbeit in der Zelle besaßen. Mit der Schere wurden reihenweise Löcher in den Stein gebohrt und Stückchen für Stückchen herausgebrochen. Das war eine harte Knochenarbeit. Außerdem waren wir davon abhängig, welcher Wachtmeister gerade Dienst hatte. Es gab solche unter ihnen, die auf leisen Sohlen von Tür zu Tür schlichen und horchten oder durch den Spion die Häftlinge beobachteten. Zum Glück war unser ständiger Stationswachtmeister ein toleranter und geruhsamer Beamter, der jeden Tag ein ausgedehntes Schlummerstündchen einlegte.

Es war für uns ein Triumph, daß trotz zahlreicher Durchsuchungen der Zellen und Abklopfen der Wände, Möbel und Türen unser Versteck niemals entdeckt wurde.“ Auch die von den Faschisten bis 1936/37 in Luckau noch geduldeten „Kultureinrichtungen“ wie ein Chor, den Genosse Rumpf dirigierte, das Anstaltsorchester, das zuletzt vom Komponisten und späteren DDR-Nationalpreisträger Kurt Schwaen geleitet wurde, sowie die für die jungen Gefangenen angeordneten ,Wehrsportübungen‘, die Bücherei und das Krankenrevier wurden genutzt.“

Es war fast eine Regel, daß zu bestimmten Höhepunkten oder Anlässen kleine Feierstunden durchgeführt wurden, darunter die Lenin-Liebknecht-Luxemburg-Feiern im Januar, der 1. Mai und die Jahrestage der Oktoberrevolution.

Werner Seiffert berichtet von einer Veranstaltung, die einen besonders feierlichen Charakter trug. Hier legten KPD- und SPD-Genossen den Schwur ab, nie wieder Parteienhader zuzulassen, den Faschismus vereint zu schlagen und mit ganzer Kraft dafür einzutreten, in einer gemeinsamen Arbeiterpartei aus Kommunisten und Sozialdemokraten ein besseres Leben aufzubauen.

Die Materialien für die gesamte Agitations-, Propaganda- und Bildungsarbeit, besonders jene zu Informationszwecken, gelangten auf vielfältige Art und Weise in die Hände der politischen Gefangenen. Gleich mehrere Exemplare der Reden und Beschlüsse der Brüsseler Konferenz der KPD fanden ihren Weg über das Außenkommando Grünswalde, ein Versteck in der „Beamtensiedlung“ am Hause des 1. Hauptwachtmeisters Meyer und den Lagerplatz für Korbweiden in das Zuchthaus. Hans Seigewasser, der später viele Jahre Staatssekretär für Kirchenfragen der Regierung der DDR war, berichtet dazu: „Immer versuchten wir, Verbindung zur Außenwelt herzustellen, um an neue Informationen heranzukommen und andererseits Berichte über unsere eigene Tätigkeit nach draußen gelangen zu lassen. Das geschah oftmals über Kassiber oder in Form ausführlicher Berichte, die Genossen als persönlicher Auftrag der Parteileitung bei ihrer Entlassung mitgegeben wurden.“

Über das landwirtschaftliche Außenkommando in Grünswalde stellte Robert Uhrig die Verbindung mit uns „Luckauern“ her. Es gelang ihm und den Genossen dieses Kommandos, wertvolles Parteimaterial ins Zuchthaus zu schleusen. Unsere Freude war um so größer, als auch noch ein kleiner Detektor – in Einzelteile zerlegt – zu den Materialsendungen gehörte, so daß wir nun dazu in der Lage waren, in unserer Schlafstelle Nachrichten zu empfangen. Was diese konspirative Leistung in ihrer moralischen Wirkung auf die Genossen bedeutete, läßt sich schwer beschreiben. Jeder von uns war stolz darauf, einer solchen Partei anzugehören, die in lebensbedrohender Illegalität derartige Initiativen entwickelte.

Meine Zuchthauszeit vom Februar 1935 bis zum April 1937 haftet mir am stärksten im Gedächtnis. Damals bewiesen die in Luckau eingekerkerten Genossen, daß sie – wie es Karl Liebknecht kurz vor seiner Ermordung ausdrückte – als Kommunisten ihrer Partei und der Arbeiterklasse „trotz alledem“ in jeder Situation die Treue zu halten bereit waren.

Dieser redaktionell bearbeitete Beitrag erschien 1980/81 im „Luckauer Heimatkalender“. Sein Autor gehörte der Arbeitsgruppe Luckau beim Komitee der antifaschistischen Widerstandskämpfer der DDR an.