RotFuchs 204 – Januar 2015

Jeder Vergleich der DDR mit Nazi-Deutschland
ist entschieden zurückzuweisen

Wortmeldung eines SPD-Genossen
aus Niederbayern

Johann Weber

Das Wort „DDR-Unrechtsstaat“ vernahm ich zum ersten Mal im hessischen Landtagswahlkampf 2008, als Andrea Ypsilanti mit einer verabscheuungswürdigen Kampagne vieler Politiker (leider auch aus der SPD) und der Medien zu Fall gebracht wurde. Der Begriff „Unrechtsstaat“ war bei mir mit den Genozid-Verbrechen Nazi-Deutschlands verbunden. Aber „Unrechtsstaat“ DDR? Für mich stand damals fest: Die haben mit Gewißheit Menschen ermordet!

Am 21. November 2013 las ich in der FAZ, „ein gut getarntes Terrorkommando der britischen Armee soll auf dem Höhepunkt des Bürgerkriegs in Nordirland gezielt IRA-Kämpfer liquidiert haben. Zwischen Ende der 60er und Ende der 90er Jahre kamen etwa 3500 Menschen ums Leben, die meisten durch die militanten Untergrundorganisationen auf katholischer und protestantischer Seite. Etwa elf Prozent sollen von britischen Sicherheitskräften getötet worden sein.“ Für mich unfaßbar, 380 Menschen wurden von einem Terrorkommando der britischen Regierung getötet.

Ich dachte sofort, das sind doch Verbrechen eines Unrechtsstaates! Warum verwendet da keiner diesen Begriff? Und ich erinnerte mich wieder an die „DDR-Unrechtsstaats-Kampagne“ im hessischen Landtagswahlkampf. Die müßten doch auch solche Verbrechen auf ihrem Konto haben mit Hunderten von Toten …

Ich überlegte, wer mir hier kompetent Auskunft geben könne. Mir fielen nur die „Landesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR“ ein. Also schrieb ich an sie in Berlin, Brandenburg, Thüringen, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen und Sachsen-Anhalt. Ich wies auf den Bericht in der FAZ hin und bat sie: „Bitte teilen Sie mir mit, ob vergleichbare Terroranschläge mit Tötung von Menschen durch die Stasi ausgeführt wurden. Wenn ja, bitte ich um Mitteilung, wie viele es belegbar gewesen sind.“

Zu meiner Überraschung bekam ich von allen Landesbeauftragten Antwort. Zwei von ihnen konnten keine Auskunft geben und verwiesen mich an den Bundesbeauftragten.

Einer schrieb: „Tatsächlich war die Staatssicherheit an der Tötung von Personen beteiligt. Der bisher wohl bekannteste Fall betrifft Michael Gartenschläger, der im April 1976 an der innerdeutschen Grenze erschossen wurde. Wie Sie richtig betonen, müssen weitere Einzelheiten aus den Akten der Staatssicherheit ermittelt werden. Allerdings verwahren wir diese Akten nicht; sie befinden sich im Archiv des Bundesbeauftragten für die Stasi-Unterlagen (BStU), der zudem über eine eigene Forschungsabteilung verfügt.“ Dieser Landesbeauftragte erhielt von mir noch folgende Notiz. „Auf Ihre Anregung hin habe ich mich mit dem Fall Gartenschläger befaßt. Die Kernaussage dazu ist, er sei von der Stasi, die im Hinterhalt auf ihn gelauert habe, ermordet worden. Ich ging vor ein paar Tagen wieder auf die Google-Such-Reise zum Thema „Schießbefehl“. Hier bekam ich Informationen, daß Ende der 40er und Anfang der 50er Jahre an der BRD-Westgrenze Dutzende Menschen, darunter auch Kinder und Jugendliche, erschossen wurden. Der Landesbeauftragte erwiderte darauf. „Da ich die angeführten Vorgänge nicht kenne, kann ich sie selbstredend nicht kommentieren. Zudem ist das Internet, wie Sie ohne Zweifel wissen, mitunter eine mehr als fragwürdige Informationsquelle.“ Ich teilte ihm mit, daß die Informationsquelle „Der Spiegel“ sei und bekam keine Antwort mehr.

Ein anderer Beauftragter schrieb: „Wir haben zu den von Ihnen aufgeworfenen Fragen kein eigenes Forschungsprojekt bearbeitet. Daher möchte ich Sie bezüglich Ihrer Anfrage auf einen Artikel in der Zeitschrift ,Horch und Guck‘ hinweisen, der 2008 veröffentlicht wurde und im Internet abgerufen werden kann. Weiterhin empfehle ich Ihnen, sich mit Ihrer Anfrage direkt an die mit der Verwaltung der Stasi-Unterlagen betraute Behörde des Bundesbeauftragten zu wenden.“

Ich habe mir den Artikel „Liquidierung = Mord?“ der Zeitschrift „Horch und Guck“ (die jährlich mit 65 000 Euro von der Bundesstiftung Aufarbeitung finanziell unterstützt wird) angesehen. Ich fand keine einzige Beschreibung einer tatsächlich ausgeführten Tötungshandlung. Nur Unterstellungen.

Ein weiterer Landesbeauftragter meinte u. a., „Ich vermute mal, Sie sind der Meinung, die Verbrechen der Stasi würden aufgebauscht und das Unrecht in der westlichen Welt zugedeckt. Die Stasi hat keine Terrorkommandos losgeschickt, allerdings sind, soviel ich weiß, einzelne gezielte Tötungen auch inzwischen belegt.“ Ich fragte noch einmal nach und bekam folgende Auskunft: „Mit dem Satz ,Die Stasi hat keine Terrorkommandos losgeschickt‘, allerdings …“ habe ich doch Ihre Frage beantwortet! 

Einen Landesbeauftragten ließ mein Bohren nicht in Ruhe. Er schrieb mir nochmals: „Die terroristischen Aktivitäten der DDR sind in zwei Bereiche zu gliedern: Erstens die offiziell politisch vertretenen (im staatlichen Auftrag) mit verborgenen Handlungsanweisungen. Zweitens strikt verborgene terroristische Aktivitäten, die vorwiegend vom MfS oder seinem Pendant in der Armee (NVA) durchgeführt worden sind und von der Planung her auch vor dem eigenen Apparat und Dienst verborgen wurden. Dennoch haben Sie insofern recht, daß die Tötung von echten oder vermeintlichen Gegnern kein bevorzugtes Machtmittel in der DDR war.“

Am Ende erhielt ich doch noch eine Antwort von der Jahn-Behörde. Die beiden ersten Sätze sorgten für Klarheit. Sie schrieb mir: „Zu durchgeführten Tötungsanschlägen der Staatssicherheit in einer Größenordnung, auf die Sie Bezug nehmen, liegen uns keine Informationen vor, und sie sind auch in dieser Weise nicht anzunehmen. An tatsächlich durchgeführten (jedoch glücklicherweise fehlgeschlagenen Tötungsakten) ist bislang nur jener auf einen Fluchthelfer während einer Israel-Reise bekanntgeworden, der meist als Bouletten-Mord rezipiert worden ist.“

Welches Fazit ziehe ich aus meinen Erkundigungen? Das Hauptquartier der Stasibehörde (BstU) und auch deren Landesgeschäftsstellen konnten mir keine Liste vorlegen, aus der zu ersehen war, daß die Staatssicherheit vergleichbare Terroranschläge – wie von britischen Sicherheitskräften durchgeführt –unternommen hätte. Präsentiert wurde außer dem dubiosen „Bouletten-Mord“ lediglich der Fall Gartenschläger. Wie dieser zu bewerten ist, konnte man einem RF-Artikel von Ulrich Guhl entnehmen. Alles andere sind Spekulationen. Läge nur eine Liste mit – sagen wir – fünf Morden vor, die der Staatssicherheit anzulasten wären, hätte ich sie mit Gewißheit von allen sieben angeschriebenen Stellen bekommen.

Ich werde mich gegen jeden stellen, der versucht, die Verbrechen der Hitlerfaschisten durch Vergleiche mit der DDR zu verharmlosen. Das bin ich Gewerkschaftern, Sozialdemokraten, Kommunisten und anderen schuldig, die Widerstand gegen das Naziregime leisteten und dafür ihr Leben lassen oder in Konzentrationslagern Schweres erleiden mußten.