RotFuchs 200 – September 2014

Zur „Sprachkultur“ der bunten Gazetten

Cornelia Noack

„Als man mit Nietenhose in der Kaufhalle Feinfrost holte“, lautete die Schlagzeile eines jener bundesdeutschen Blätter, die frühere DDR-Bürger ganz nebenbei auch zum Vergessen ihrer einstigen Sprache veranlassen sollen. Sieht man einmal davon ab, daß der Satz korrekt „Als man in Niethosen in der Kaufhalle Feinfrostartikel kaufte“ heißen müßte, geht es hier und in tausend anderen Formulierungen natürlich um Inhaltliches. Erstens gehörten die Kaufhallen nirgendwo zu irgendwelchen Kapitalistenketten, sondern waren Volkseigentum oder in den Händen der Konsumgenossenschaft.

Zweitens ist die Sprache – philosophisch ausgedrückt – die „Unmittelbarkeit des Gedankens“. Wilhelm von Humboldt nannte sie ein „Medium des Denkens und der Weltauffassung“, was man auch als Weltanschauung interpretieren könnte. Daß man nicht „Feinfrost“ schlechthin, sondern die verschiedensten Tiefkühlprodukte in der Kaufhalle – wie schon das Wort sagt – kaufte und nicht einfach holte (in einer kommunistischen, die Bedürfnisse aller befriedigenden Gesellschaft lebten die DDR-Bürger ja bekanntlich noch nicht), sei nur der Exaktheit halber hinzugefügt.

Mir geht es aber um etwas anderes: Die heute wieder in ganz Deutschland Herrschenden haben im Rahmen der von ihnen betriebenen Auslöschung all dessen, was auch nur im geringsten an die DDR und den Sozialismus erinnern könnte, eine Säuberung der deutschen Sprache von ihnen unerwünschten, die gesellschaftliche Realität nicht mehr widerspiegelnden Vokabeln und Begriffen vorgenommen. Jüngere wissen oft gar nicht mehr, wenn von Volkseigentum, also im Kapitalismus undenkbarem Eigentum des ganzen Volkes, oder Begriffen wie Volksbuchhandlung, sozialpolitische Maßnahmen, Ehekredit, Altstoffsammlungen oder Delegierung zum Studium die Rede ist, um was es überhaupt geht.

Wie einst die Alten so zwitschern heut die Jungen, heißt es bekanntlich. Trifft das aber auf die Mehrheit der Nachgewachsenen und Heranwachsenden im Osten noch so zu? 25 Jahre vom Wir zum Ich, vom Recht auf Arbeit zu Hartz IV liegen hinter uns. Von kostenloser Bildung und ebensolcher Gesundheitsversorgung, niedrigen Mieten, einheitlicher Sozialversicherung in den Händen der Gewerkschaft, einem Unterrichtstag in der Produktion und einem Haushaltstag, gleichem Lohn bei gleicher Arbeit für Mann und Frau sind wir in eine völlig gegenteilige Gesellschaft geraten. Wie groß ist der Mangel an weltanschaulichen Werten und wirklichen Gefühlen, wenn man nie die Kraft der Solidarität, die überragende Bedeutung der Völkerfreundschaft, echte Fürsorge und Kollegialität erfahren durfte, weil sie nicht im Interesse der Machthaber und ihrer parasitären Auftraggeber liegen.

In der DDR gehörten Vokabeln wie Ellenbogengesellschaft, Arbeitslosigkeit, Steuerhinterziehung und Zweiklassengesellschaft weder zum Denken noch zum täglichen Sprachgebrauch der Bürger.

War das so, weil wir uns nur in der Verlautbarungssprache der SED-Propaganda ausdrücken konnten oder durften, oder weil wir tiefer in die Dinge einzudringen bemüht waren? Wir lasen denselben Goethe, Heine, Kant, Darwin, Marx und auch die Bibel, aber von einem anderen Klassenstandpunkt aus als die meisten im Westen. Das wird man uns bis in alle Ewigkeit nicht verzeihen.