RotFuchs 204 – Januar 2015

Die Reaktion des Klassenfeindes
war das Unterscheidungsmerkmal

Zwei Bahnstreiks in Deutschland

Klaus Steiniger

Hier soll von zwei konträren Arbeitsniederlegungen bei der Bahn die Rede sein: einer im Klasseninteresse der Beschäftigten und einer anderen, die nur den Ausbeutern diente. Diese trug sich im Mai 1949 zu. Dabei handelte es sich in Wirklichkeit um einen als Streik ausgegebenen Putsch, der zur Spaltung der Berliner Gewerkschaftsbewegung führte und die Existenzgrundlagen der zur sowjetischen Besatzungszone gehörenden Deutschen Reichsbahn in Westberlin zerstören sollte.

Die zweite – im Herbst 2014 – war ein in der bundesdeutschen Nachkriegsgeschichte und der Chronik ihrer Gewerkschaftsbewegung bislang einmaliger Vorgang. Der wiederholte und mehrtägige Streik der Gewerkschaft Deutscher Lokführer (GDL) unter ihrem beherzten Vorsitzenden Claus Weselsky traf einen Lebensnerv des Kapitalismus und eine gigantische Profitquelle des die Deutsche Bahn AG kontrollierenden Staates BRD. Da aber auch Millionen Zugreisende negativ betroffen waren, hatten die gewerkschaftsfeindlichen Stimmungsmacher leichtes Spiel, ihren Rufmord gegen eine zwangsläufig unpopuläre Aktion und einen der seltenen Gewerkschaftsführer der BRD, der wirklich Arbeiterpositionen verteidigte, auf die Spitze zu treiben. Besonders empörte sie natürlich die ursprüngliche Festlegung, daß der Streik über den 9. November hinausgehen sollte, was ihnen obendrein auch noch die Petersilie ihrer Jubelfeier zum 25. Jahrestag des „Mauerfalls“ verhagelt hätte.

Doch kehren wir noch einmal zu jenen Ereignissen zurück, welche sich vor fast 65 Jahren zutrugen. Sie wurden von ihren Drahtziehern und Hintermännern als „Berliner S-Bahn-Streik“, vom klassenbewußten Teil der Arbeiterschaft und jenen, gegen die sich diese Aktion richtete, aber als UGO-Putsch bezeichnet. Da ich damals als FDJler und ganz junger Genosse der Westberliner SED bei der Erstürmung des von uns besetzten S-Bahnhofs Steglitz durch nach ihrem Präsidenten benannte Stumm-Polizisten – übrigens Seite an Seite mit meinem Schulkameraden Micha Benjamin – erste staatliche Prügel bezogen habe, darf ich als Zeitzeuge zum Sachverhalt folgendes aussagen: Nach der separaten Währungsreform vom 20. Juli 1948, die zur Einführung der D-Mark auch in Westberlin geführt hatte, geriet die in der ganzen Stadt (übrigens bis 1990!) operierende Deutsche Reichsbahn in arge Bedrängnis. Sie konnte ihre zahlreichen Westberliner Beschäftigten – mangels entsprechender Einnahmen und Reserven – nur zum Teil in D-Mark vergüten und mußte ihnen überwiegend Ost-Mark bezahlen.

Da ihnen der FDGB als einheitliche Gewerkschaftszentrale ganz Berlins ein Dorn im Auge war, dachten sich Antikommunisten aus Schumachers, Neumanns und Reuters SPD einen Trick aus, um zwei Fliegen mit einer Klappe zu schlagen: Sie gründeten über Nacht die Unabhängige Gewerkschaftsopposition (UGO), die sofort zum Generalstreik bei der S-Bahn aufrief, um das ihnen verhaßte volkseigene Unternehmen Deutsche Reichsbahn finanziell fertigzumachen und es wenigstens im Westteil der Stadt „den Russen zu entreißen“.

Der UGO-Putsch stieß ins Leere. Für die Bezahlung der Reichsbahnbeschäftigten, die zur Zeit der US-„Luftbrücke“ wie auch andere Westberliner im Osten rationierte Lebensmittel einkaufen konnten, wurde eine angemessene Übergangslösung gefunden.

Der Vollständigkeit halber sei noch berichtet: Meine „Karriere“ am Steglitzer Gymnasium war damals beendet. Nach Empfang einer entsprechenden Polizeiinformation legte mir dessen Direktor nahe, den Schulbesuch doch besser in Ostberlin fortzusetzen, während ein UGO-Mob tagelang unser Haus belagerte.

Ich erzähle das Ganze nur deshalb, weil es in jenen Tagen für die Medien des sich neu formierenden deutschen Kapitals kein anderes Jubelthema gab als den „grandiosen Bahnstreik gegen die Kommunisten“. Die Bourgeoisie überschlug sich geradezu in „Solidaritätsbekundungen“ für die Arbeiter. Sie übte sich dabei im Gebrauch ihr völlig wesensfremder Vokabeln.

Als aber Weselskys GDL – von gewissen „Gewerkschaftern“ konsequent im Stich gelassen und den Hyänen des Medien-dschungels zum Fraß vorgeworfen – sechseinhalb Jahrzehnte später den Kragen hochstellte und, ohne jemals dieses Wort zu gebrauchen, eindeutig Klassenpositionen bezog, brach die Hölle los.

Warum? Weil sich bei der GDL, aber auch bei ver.di und in einigen anderen Verbänden erste Vorboten einer neuen Qualität der BRD-Gewerkschaftsbewegung gezeigt haben.

Zwei Bahnstreiks in Deutschland. Doch nur einer verdient diesen Namen. Die Reaktionen des Klassenfeindes sind als verläßliches Unterscheidungsmerkmal zu betrachten.