3.
Der Klassencharakter der politischen Ökonomie
„Die tiefgründigste, umfassendste und detaillierteste Bestätigung und Anwendung der Theorie von Marx ist seine ökonomische Lehre“28, schrieb Lenin in seinem kurzen biographischen Abriß über Karl Marx. Er unterstrich damit, daß der Marxismus als Wissenschaft vom Befreiungskampf der Arbeiterklasse in der politischen Ökonomie seine exakte Begründung findet.
Schon die klassische bürgerliche politische Ökonomie war ihrem Wesen nach eine Klassenwissenschaft. Solange der Klassengegensatz zwischen Bourgeoisie und Proletariat noch nicht offen ausgebrochen war, leugnete die Bourgeoisie auch den Klassencharakter ihrer ökonomischen Wissenschaft nicht. Deren Ergebnisse richteten sich gegen den Feudaladel und begründeten die Herrschaft der Bourgeoisie. Petty, Smith, Ricardo und andere analysierten, wie Marx schrieb, „in uneigennütziger Forschung“ und „unbefangner wissenschaftlicher Untersuchung“ den „innern Zusammenhang der bürgerlichen Produktionsverhältnisse“.29 Als aber „der Klassenkampf, praktisch und theoretisch, mehr und mehr ausgesprochne und drohende Formen“ annahm, „läutete die Totenglocke der wissenschaftlichen bürgerlichen Ökonomie“.30 An ihre Stelle trat die Apologetik und die „wissenschaftliche“ Verteidigung des Kapitalismus.
Wenn auch die klassischen bürgerlichen Ökonomen subjektiv bestrebt waren, uneigennützige Forschung und unbefangene Untersuchung zu betreiben, so stießen sie objektiv in ihrem Denken immer an die Klassenschranken der bürgerlichen Gesellschaft, deren wissenschaftliche Wortführer sie waren. Smith und insbesondere Ricardo erkannten, wie Marx hervorhob, daß die Arbeiter den Mehrwert produzieren. Sie schreckten aber vor der Konsequenz dieser Erkenntnis, daß sich die Kapitalisten fremde Arbeit aneignen und somit die Arbeiter ausbeuten, zurück. Das hinderte sie daran, näher zu untersuchen, worauf die Beziehungen zwischen den Kapitalisten und der Arbeiterklasse beruhen, und zu erkennen, daß die Arbeitskraft eine Ware ist, die die Arbeiter an die Kapitalisten als die Eigentümer der Produktionsmittel verkaufen müssen, um ihren Lebensunterhalt zu bestreiten, der sich als Wert ihrer Ware Arbeitskraft im Lohn verkörpert. Erst Marx, der im Denken und Handeln die Klassenschranken der bürgerlichen Gesellschaft durchbrach, den Klassenstandpunkt des Proletariats einnahm, konnte zu der wissenschaftlichen Erkenntnis gelangen, daß die Arbeiter nicht ihre Arbeit, sondern ihre Arbeitskraft an die Kapitalisten verkaufen und diese sich das Mehrprodukt der Arbeit der Arbeiter in Form des Mehrwerts aneignen und damit die Arbeiterklasse ausbeuten.
Damit wurde der wissenschaftliche Nachweis erbracht, daß die kapitalistische Ausbeutung ein objektiver Prozeß ist, der objektive gesellschaftliche Grundlagen hat und nicht auf moralischen Fehlleistungen der Kapitalisten beruht. Im KKK-Band „Kapital und Mehrwert“ wird eingehender dargelegt, daß das Mehrwertgesetz ein objektives Gesetz ist, das das Handeln der Kapitalisten unabhängig von ihrem Willen und Bewußtsein bestimmt. Sie müssen, ob mit „menschlichem“ oder unmenschlichem persönlichem Charakter, die Arbeiter ausbeuten, um als Kapitalisten zu existieren. Ebenso müssen sie untereinander einen unerbittlichen Konkurrenzkampf um den höchsten Profit, um den Absatz ihrer Waren, um die Beherrschung von Produktion und Markt führen, bei dem es um Leben und Tod geht und aus dem der imperialistische Krieg ebenso gesetzmäßig entsteht wie aus der Zuspitzung des Klassengegensatzes zwischen Proletariat und Bourgeoisie die soziale Revolution des Proletariats. Der Klassencharakter der politischen Ökonomie ergibt sich also daraus, daß sie die objektive Realität des antagonistischen Klassencharakters der kapitalistischen Wirtschaft und Gesellschaft und ihrer Gesetze widerspiegelt und der Arbeiterklasse damit die wissenschaftlichen Grundlagen für die Erkenntnis ihrer Lage und Stellung in der kapitalistischen Gesellschaft und ihrer historischen Mission als Totengräber der kapitalistischen Gesellschaft liefert.
Mit dieser Erkenntnis wurden alle Vorstellungen, Illusionen und bewußten Täuschungen über den Charakter der bürgerlichen Gesellschaft als einer „Gesellschaft der Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit“ beseitigt und ihr Klassencharakter enthüllt. Freiheit und Gleichheit erwiesen sich als formal und die Brüderlichkeit als eine Phrase. Es handelte sich ausschließlich um die Freiheit und Gleichheit von Warenbesitzern, aber der Warenbesitz der Kapitalisten und Arbeiter ist nicht nur quantitativ, sondern vor allem qualitativ unterschiedlich. Die Kapitalisten besitzen als Waren die Produktionsmittel, die Lebensmittel sowie die allgemeine Ware, das Geld. Die Arbeiter dagegen besitzen nichts als ihre Arbeitskraft.
Die Arbeiterklasse ist daran interessiert, daß die wissenschaftliche Wahrheit offen ausgesprochen wird. Für sie ist die Wissenschaft nicht eine sich selbst genügende Beschäftigung und die von ihr gewonnenen Erkenntnisse nicht enthüllte Wahrheit der Wirklichkeit an sich. Die wahre Wissenschaft ist immer ein Werkzeug zur Gestaltung und Umgestaltung der Natur und der Gesellschaft, eine Anleitung zum Handeln. Das gilt in besonderem Maße für die politische Ökonomie.
In diesem Sinne schrieb Marx im Jahre 1844 von der Rolle der Philosophie im Leben und Kampf der Arbeiterklasse: „Wie die Philosophie im Proletariat ihre materiellen, so findet das Proletariat in der Philosophie seine geistigen Waffen, und sobald der Blitz des Gedankens gründlich in diesen naiven Volksboden eingeschlagen ist, wird sich die Emanzipation der Deutschen zu Menschen vollziehen.“31 Diese These vom Verhältnis zwischen Wissenschaft und Proletariat, entstanden am Vorabend der Revolution von 1848/1849 in Deutschland, bezog Marx auf das deutsche Proletariat. Sie ist jedoch von allgemeiner Natur und gilt für die Wissenschaft und das Proletariat aller Länder.
Erst im Kommunismus, in der klassenlosen Gesellschaft, hört die politische Ökonomie auf, eine Klassenwissenschaft zu sein, aber die Gesellschaft wird ihrer zur bewußten planmäßigen Gestaltung der ökonomischen und sozialen Beziehungen im höchsten Maße bedürfen.
Die Bourgeoisie und ihre Wortführer versuchen, den Klassencharakter der marxistisch-leninistischen politischen Ökonomie zu verleumden. Sie reden davon, daß die Wissenschaft „wertfrei“, klassenneutral sein müsse. Das ist nicht verwunderlich, denn die Ergebnisse der marxistisch-leninistischen politischen Ökonomen richten sich gegen sie, gegen ihr Ausbeutersystem, gegen ihre Herrschaft. Die marxistisch-leninistische politische Ökonomie als Gesellschaftswissenschaft unterliegt dem Gesetz der Entwicklung. Es ist eine Lebens- und Existenzfrage für die Arbeiterklasse, den objektiven Entwicklungsprozeß zu verfolgen, ihn wissenschaftlich zu analysieren und daraus die Schlußfolgerungen für den Kampf der Arbeiterklasse zu ziehen. Der Initiator und Träger dieser Entwicklung ist die revolutionäre Partei der Arbeiterklasse. In ihren Beschlüssen verallgemeinert sie die Erkenntnisse der Wissenschaft und die Erfahrungen des Kampfes der Arbeiterklasse.