4.
Finanzkapital und Finanzoligarchie
Die Herausbildung der Personalunion von Banken und Industrieunternehmen wurde in dem sich verschärfenden Konkurrenzkampf von den jeweils speziellen Interessen der Partner getragen. Die Banken trieb der Monopolprofit, aber auch die Notwendigkeit der Sicherung der gewährten Kredite zur Kontrolle und schließlich zur Union mit dem Industriekapital. Die Industrieunternehmen waren ihrerseits am stetigen Fluß beziehungsweise an der Aufrechterhaltung des Kredits und damit des zusätzlichen Profits interessiert. Für die einzelnen Großbanken und industriellen Großunternehmen aber wurde es immer notwendiger, im Konkurrenzkampf untereinander eine Monopolstellung zu erringen.
Es ging also nicht mehr nur darum, daß die Großbanken das bei ihnen angesammelte zeitweilig freie Geldkapital den Industriellen zur Verfügung stellten, damit diese es in produktives Kapital verwandelten, es wirklich verwerteten und den Banken ihren Zinsanteil gaben, sondern wesentlich war vielmehr, die Konzentration der Produktion zu verstärken und ein gemeinsames Monopol zu errichten, das Monopol des Finanzkapitals. „Konzentration der Produktion, daraus erwachsende Monopole, Verschmelzen oder Verwachsen der Banken mit der Industrie – das ist die Entstehungsgeschichte des Finanzkapitals und der Inhalt dieses Begriffs.“65
Die Banken förderten also nicht nur den Monopolisierungsprozeß der Industrie, wie Lenin die Definition des Finanzkapitals bei Rudolf Hilferding kritisiert, der schrieb, daß „das Finanzkapital Kapital in der Verfügung der Banken und in der Verwendung der Industriellen“ ist. Die Banken sind selbst Bestandteil des Monopolisierungsprozesses, aus dem als Einheit von Industrie- und Bankkapital Finanzkapital hervorging. Das Finanzkapital ist eine höherentwickelte Stufe des Monopolkapitals.
Ein Instrument der Verschmelzung und des Verwachsens von Bank-und Indus-triemonopol ist das fiktive Kapital, sind vor allem die Aktien. Wie schon die Industrie- und Bankmonopole durch „Verschachtelung“ oder „Verflechtung“, das heißt durch die Gewinnung von Aktienmajoritäten, sich andere Unternehmen „angliederten“ oder Tochter-, Enkel- und andere Gesellschaften gründeten, so verwuchsen die Bank- und Industriemonopole durch gegenseitigen Aktienbesitz zum Finanzkapital. Die in einer Person vereinigten Bank- und Industriekapitalisten beherrschen demzufolge sowohl das Industrie- als auch das Bankmonopol und setzen ökonomischen und außerökonomischen Zwang ein, um ihre monopolistische Herrschaftsposition zu festigen. Das Kapitalverhältnis des Monopols als Herrschaftsverhältnis und die damit verbundene Gewalt erreichen dadurch ungeheure Dimensionen.
Der gegenseitige Aktienbesitz, der eine der Grundlagen der Herausbildung des Finanzkapitals war, war zugleich ein Instrument der Festigung und Ausdehnung der Herrschaft des Finanzkapitals.
Fiktives Kapital entsteht durch die Kapitalisierung zum Beispiel der Dividende, wobei die Aktien nicht zu Eigentumstiteln am produktiven Kapital werden, sondern nur Eigentumstitel am Gewinn sind. Dieses Kapital ist fiktiv, weil die reale Grundlage allein das Anrecht auf die jährlich einkommenden Dividenden ist, das „verkauft“ wird. Das geschieht dadurch, daß es so behandelt wird, als sei es eine Kapitalsumme, die jährlich die genannten Dividenden abwirft. Als Kapital existiert das Anrecht auf die Dividenden nur in der Vorstellung des Verkäufers und Käufers.66
Für dieses vorgestellte, fiktive Kapital muß nun wirkliches Geldkapital bezahlt werden. Fiktives Kapital ist eine Anlageform, die für seinen Käufer wie zinstragendes Kapital fungiert, dessen Zinsen in Gestalt der Dividende, im Unterschied zu den Zinsen der Banken und Sparkassen, variabel und bei den einzelnen Unternehmen unterschiedlich hoch sind, je nach der Höhe des Gewinns der Aktiengesellschaften steigen oder fallen. Das fiktive Kapital wird daher auch zum Handels- und Spekulationsobjekt und zur materiellen Grundlage der Existenz einer parasitären Gesellschaftsschicht des Kapitalismus, der Kuponschneider, der Rentiers, über die noch zu reden sein wird.
Für das Finanzkapital erhält das fiktive Kapital die Funktion eines Herrschafts-instruments. Dieser Funktion widmet Lenin größte Aufmerksamkeit. Er schreibt im Anschluß an seine Definition des Finanzkapitals: „Wir haben jetzt zu schildern, wie das ‚Wirtschaften‘ der kapitalistischen Monopole im allgemeinen Milieu der Warenproduktion und des Privateigentums unvermeidlich zur Herrschaft der Finanzoligarchie wird.“ Lenin beginnt einige Absätze weiter mit der Feststellung: „Die Hauptaufmerksamkeit ist dem ,Beteiligungssystem‘ zuzuwenden.“67
Das „Beteiligungssystem“, die „Verflechtung“ oder „Verschachtelung“ des Aktienbesitzes der Industrie, der Banken und des Handels ist das wichtigste Mittel der Herrschaft des Finanzkapitals. Es verschafft ihm die Verfügung über die Quellen des Reichtums der kapitalistischen Gesellschaft zu ihrer monopolistischen Beherrschung.
Das fiktive Kapital in Form der Aktien ist, wie Marx feststellt, kein Eigentumstitel, kein Anrecht auf das Anlagekapital der Aktiengesellschaft, sondern nur ein Anrecht auf einen Anteil am Gewinn. Der Besitz einer Aktienmajorität ergibt jedoch das Recht auf Verfügung über das gesamte Kapital der Aktiengesellschaft. Hierbei tritt nicht nur eine Trennung zwischen Kapitaleigentum und Kapitalfunktion, sondern auch eine Trennung zwischen Kapitaleigentum und Kapitalverfügung ein. Es ist hier ähnlich wie bei den Einlagen der Banken, über die das Bankkapital wie über eigenes Kapital verfügt.
Eigentümer einer Aktiengesellschaft ist ein kollektiver Kapitalist, denn das Kapital „erhält hier direkt die Form von Gesellschaftskapital (Kapital direkt assoziierter Individuen) im Gegensatz zum Privatkapital, und seine Unternehmungen treten auf als Gesellschaftsunternehmungen im Gegensatz zu Privatunternehmungen. Es ist Aufhebung des Kapitals als Privateigentum innerhalb der Grenzen der kapitalistischen Produktionsweise selbst.“68 Das bedeutet allerdings nicht, daß die Hunderttausende von Kleinaktionären, darunter Arbeiter, Kapitalisten sind. Die Kleinaktionäre sind von vornherein von jeder Einflußnahme auf die Leitung des Unternehmens ausgeschlossen und verstärken mit ihren Anteilen nur die Akkumulationskraft des Monopolkapitals. Kollektiver Kapitalist sind nur die assoziierten Großaktionäre.
Da das Gesellschaftskapital Privateigentum ist, sind die Aktionäre zwar kollektiver Kapitalist, aber nur der Aktionär oder die Gruppe von Aktionären, die die Aktienmajorität besitzt, verfügt, ohne der Eigentümer der Aktiengesellschaft zu sein, über deren Kapital. Sie verfügt über dieses Kapital nicht nur entsprechend ihrem Aktienanteil, sondern über das ganze Kapital der Aktiengesellschaft.
Diese Entwicklung der kapitalistischen Eigentumsverhältnisse ist im Ansatz schon im kapitalistischen Kreditwesen vorhanden. „Abgesehen vom Aktienwesen …“, schreibt Marx, „bietet der Kredit dem einzelnen Kapitalisten oder dem, der für einen Kapitalisten gilt, eine innerhalb gewisser Schranken absolute Verfügung über fremdes Kapital und fremdes Eigentum und dadurch über fremde Arbeit … Das Kapital selbst, das man wirklich oder in der Meinung des Publikums besitzt, wird nur noch die Basis zum Kreditüberbau.“69
Wie der Kreditnehmer verfügt der Großaktionär, der die absolute oder relative Mehrheit der Aktien besitzt – die bei zersplittertem Aktienbesitz wie die absolute Mehrheit wirkt –, über das fremde Kapital, das Kapital der Aktiengesellschaft. Das fiktive Kapital, in Form der Aktien, wird auf diese Weise zum Herrschaftsinstrument des Finanzkapitals.
Die Triebkraft des Handelns des Finanzkapitals ist der Monopolprofit. Für das Finanzkapital gilt in potenziertem Maße, was die von Marx zitierte Zeitschrift „Quarterly Reviewer“ schrieb, daß das Kapital bei 100 Prozent Profit alle menschlichen Gesetze unter seinen Fuß stampft, und bei 300 Prozent existiert kein Verbrechen, „das es nicht riskiert, selbst auf Gefahr des Galgens“70. Mit dem Finanzkapital ist die Kriminalisierung der kapitalistischen Wirtschaft zu einem Charakteristikum der kapitalistischen gesellschaftlichen Beziehungen geworden. Angefangen beim Börsenschwindel, bei der Steuerhinterziehung und beim Steuerbetrug, beim betrügerischen Bankrott über die Werkspionage und Sabotage zur Vernichtung des Konkurrenten, beim Einsatz von Streikbrechergarden, der Polizei und des Militärs gegen streikende Arbeiter bis zur Anzettelung von Kolonialkriegen und imperialistischen Weltkriegen um die Neuaufteilung der Welt und die Vernichtung des Sozialismus gibt es kein kriminelles Vergehen, das nicht zur Gewinnung und Sicherung von Monopolprofit und der Machtpositionen des Finanzkapitals begangen wird.
Die Methoden zur Gewinnung von Monopolprofit durch die Industrie- und Bankmonopole schlossen auch schon die Anwendung außerökonomischer Gewalt ein. Das Finanzkapital vereinigte die Methoden der Aneignung von Monopolprofit des Industrie- und Bankkapitals und entwickelte sie zu einem vielgliedrigen und vielgestaltigen System.
Als Vereinigung und Zusammenwachsen von Industrie- und Bankkapital beherrscht das Finanzkapital sowohl die Industrie als auch die Banken, den Groß- und Einzelhandel, das Grundeigentum und das Verkehrswesen. Daraus ergibt sich, daß die Industrie- und Bankmonopole zwar formell nebeneinander bestehen, in Wirklichkeit aber eine Einheit bilden. Die aus methodischen Gründen gesonderte Behandlung von Industrie- und Bankmonopolen muß bei der Darlegung des Finanzkapitals aufgehoben werden. Der monopolistische Kapitalismus existiert nur als Finanzkapital. Daher bezeichnet Lenin den Imperialismus als Herrschaft des Finanzkapitals oder als „Epoche des Finanzkapitals“.71
Das Finanzkapital tritt aber auch in der Form der Industrie- und Bankmonopole sowie der Monopole des Handels und des Grundeigentums auf. Die Verschmelzung zum Finanzkapital erfolgt über das „Beteiligungssystem“ und über die „Personalunion“ von Industrie-, Bank-, Handels- und Grundeigentumsmonopolisten. Die Einheit aller im Finanzkapital tritt nicht als unmittelbare organisatorische oder juristische Einheit in Erscheinung. Aber sie äußert sich in der finanzkapitalistischen Funktion der Industrie- und Bankmonopole.
Daraus ergibt sich, daß die monopolistischen Industriekonzerne und -trusts heute finanzkapitalistische Industriekonzerne und -trusts sind und entsprechend fungieren. Sie betreiben in großem Maßstab nicht nur die Produktion zur Gewinnung und Aneignung von Monopolprofit, sondern in ebenso großem Maßstab Finanzgeschäfte, zum Beispiel Kapitalexport und Wertpapierhandel sowie Börsen- und Währungsspekulationen. Sie erhöhen dadurch ihren Monopolprofit in einem ungeheuren Ausmaß.
Die Bankkonzerne wiederum, die mit den Industriekonzernen verschmolzen sind, beherrschen, wie Lenin hervorhebt, nicht nur das gesamte Geldkapital aller Kapitalisten und Kleinunternehmer, sondern den größten Teil der Produktionsmittel und Rohstoffquellen eines Landes oder einer Reihe von Ländern. Sie sind demzufolge mit der Verfügung über die Produktionsmittel und Rohstoffquellen an der Planung und Organisation des Produktions- und Verwertungsprozesses zur Gewinnung und Aneignung von Monopolprofit führend beteiligt.
Die finanzkapitalistischen Methoden der Gewinnung und Aneignung von Monopolprofit sind äußerst vielfältig. Sie durchdringen sowohl die Bereiche der Industrie, der Banken, des Binnen- und Außenhandels, des Kapitalexports, der Kolonialpolitik als auch die Bereiche der materiellen und nichtmateriellen Dienstleistungen und der staatlichen Wirtschaftspolitik. Hauptquelle des finanzkapitalistischen Monopolprofits ist die Ausbeutung der Arbeiter, Angestellten und Angehörigen der technischen Intelligenz in der materiellen Produktion. Hier werden die schon dargestellten monopolkapitalistischen Methoden zur Verschärfung der Ausbeutung angewendet, die zugleich der mit der wachsenden organischen Zusammensetzung des Kapitals auftretenden Tendenz zum Fall der Profitrate entgegenwirken. Hinzu kommt, daß die umfangreichen Kredite und die Verwandlung der privatkapitalistischen Unternehmen in Aktiengesellschaften spezifische Faktoren sind, die den Fall der Profitrate aufhalten. Der mit Hilfe des Kredits gewonnene Profit abzüglich der Zinsen für den Kreditgeber erhöht den Profit und damit die Profitrate des Eigenkapitals des Kreditnehmers. Die Verfügung des Großaktionärs über das gesamte Kapital der Aktiengesellschaft ist zugleich eine Methode, die Profitrate seines Kapitals beträchtlich zu erhöhen.
Das „Beteiligungssystem“ dient dazu, mit einem Minimum an Eigenkapital einen Komplex von Industrie-, Banken-, Handels-, Verkehrs- und anderen Unternehmen, die kapitalmäßig miteinander verflochten und verschachtelt sind, zu beherrschen. Die einzelnen oder die Gruppe von Finanzkapitalisten, die mit einem relativ geringen Eigenkapital über das Gesamtkapital dieses Komplexes verfügen, eignen sich den Profit der zahlreichen Unternehmen und Betriebe, die zu einem Komplex gehören, an und erzielen dadurch eine außerordentlich hohe Monopolprofitrate auf ihr Eigenkapital.
Die Organisierung eines solchen finanzkapitalistischen Konzerns oder einer Gruppe von Konzernen erfolgt meist in Form einer Holdinggesellschaft. Darunter ist eine Aktiengesellschaft oder eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung (GmbH) zu verstehen, in die die Aktienpakete, die Beteiligungen an den verschiedenen Aktiengesellschaften, eingebracht werden, die ihrerseits zahlreiche Beteiligungen besitzen. Diese Holdinggesellschaften ziehen über ein durch das Bankwesen getarntes Überweisungssystem den Profit der Beteiligungen und Unterbeteiligungen, das heißt der von der Holdinggesellschaft beherrschten Unternehmen, ein. Gewöhnlich ist der Sitz einer solchen Holdinggesellschaft eine sogenannte Steueroase, zum Beispiel ein Land, in dem die Profitsteuern äußerst niedrig sind.
Das „Beteiligungssystem“ dient aber nicht nur dazu, die Profite und die Macht des Finanzkapitals riesenhaft zu vermehren, „es ermöglicht außerdem, jede Art von dunklen und schmutzigen Geschäften straflos zu betreiben und das Publikum zu schröpfen, denn formell, nach dem Gesetz, sind die Leiter der ,Muttergesellschaft‘ für die ,Tochtergesellschaft‘ nicht verantwortlich, die als ‚selbständig‘ gilt und vermittels derer sich alles ,drehen‘ läßt“.72
Die Leiter und Beherrscher der „Muttergesellschaft“ gewähren zum Beispiel einer Tochtergesellschaft umfangreiche Kredite, um mit deren Hilfe hohe Spekulationsgewinne zu erreichen. Das ist beispielsweise häufig im Bauwesen der Fall. Dort werden enorme Monopolprofite durch Boden- und Bauspekulationen gemacht. Dabei werden den zukünftigen Mietern oder Käufern hohe Vorschüsse abverlangt. Bricht dann das Unternehmen zusammen, verliert der Mieter oder Käufer sein eingezahltes Geld, ohne daß die Spekulanten zur Rechenschaft gezogen werden können.
Ähnliches war im Zusammenhang mit der Krise des amerikanischen Dollars bei der Gold- und Währungsspekulation zu beobachten. Zu diesem Zweck wurden zum Beispiel von der durch den Gerling-Versicherungskonzern beherrschten Herstatt-Bank speziell Firmen als Tochtergesellschaften gegründet, denen man Kredite zum spekulativen Ankauf von Gold gegen Dollar überwies. Anfangs machten diese Firmen Millionengewinne, dann aber ebenso hohe Verluste. Dadurch geriet nicht nur die Tochtergesellschaft, sondern auch die Muttergesellschaft, die Herstatt-Bank, in Schwierigkeiten und machte Bankrott. Die Opfer waren die Deponenten und Sparer der Herstatt-Bank, die ihre Guthaben ganz oder teilweise verloren.
Das Finanzkapital beschränkt sich bei der Gewinnung und Aneignung von Monopolprofit also nicht darauf, die Ausbeutung in der Produktion, im Handel, im Bankwesen selbst, im Verkehr und im nichtmateriellen Bereich der Dienstleistungen zu verschärfen, sondern macht außerdem enorme Gewinne durch umfangreiche Finanzgeschäfte. Dazu gehört auch das Gründergeschäft, die Gründung von Aktiengesellschaften, die Emission von Aktien und Anleihen. Hier verquicken sich Börsenspekulation und „Beteiligungssystem“.
Das Gründergeschäft entstand schon im vormonopolistischen Kapitalismus mit der Bildung von Aktiengesellschaften, und die Gründer, meist Banken, machten dabei enorme Gründergewinne73
Das Finanzkapital entwickelte dieses Finanzgeschäft in gewaltigem Umfang und machte es zu einem Hebel für den Ausbau seines Herrschaftsbereichs. Es brachte ihm nicht nur riesige Gründer- und Spekulationsgewinne ein, sondern wurde direkt mit einer „Beteiligung“ des Finanzkapitals an den Neugründungen oder Erweiterungen verbunden. Das ist dann der Fall, wenn die Gründer bei einem Kurs zum Beispiel von 200 nicht alle Aktien, sondern nur 50 Prozent verkaufen; sie erhalten dann das gesamte zur Gründung vorgeschossene Gründungskapital zurück und kassieren den Gründergewinn in Form einer 50-prozentigen Beteiligung am Unternehmen. Dasselbe ist bei einer Kapitalaufstockung möglich.
Dieses Gründergeschäft des Finanzkapitals findet seine Ergänzung in der Emission von Anleihen. Die Anleiheemission hatte eine ebensolche, wenn nicht noch folgenreichere Bedeutung als die Emission von Aktien. Hierbei erzielt das Finanzkapital enorme Profite aus verschiedenen Quellen: einmal durch hohe Provisionen, zum anderen dadurch, daß die Anleihen nicht zum vollen Betrag, sondern nur zu 95 oder 90 Prozent an den Anleihenehmer gezahlt, die Anleihepapiere aber zum vollen Betrag „aufgelegt“, verkauft wurden.
„Der Kapitalismus, der seine Entwicklung als kleines Wucherkapital begann, beendete seine Entwicklung als riesiges Wucherkapital. ,Die Franzosen sind die Wucherer Europas‘, sagt Lysis. Alle Verhältnisse des Wirtschaftslebens erfahren infolge dieser Wandlung des Kapitalismus eine tiefgehende Veränderung. Bei Stagnation des Bevölkerungsstandes, der Industrie, des Handels und der Seeschiffahrt kann sich das ,Land‘ durch Wucher bereichern.“74 Lenin bezeichnet daher den französischen Imperialismus als Wucherimperialismus, im Unterschied dazu den englischen als Kolonialimperialismus.
Das Finanzkapital zieht auch aus der Spekulation mit Grundstücken riesige Profite. „Eine besonders gewinnbringende Transaktion des Finanzkapitals ist auch die Spekulation mit Grundstücken in der Umgebung schnell wachsender Großstädte. Das Bankmonopol verschmilzt hier mit den Monopolen der Grundrente und des Verkehrswesens.“75 Das Finanzkapital erwarb in Kenntnis der zu erwartenden Erschließung eines Geländes für den Verkehr in großem Umfang Grundstücke zu niedrigen Preisen. Die Verkehrseinrichtungen befanden sich in den Händen großer Gesellschaften, die durch das Beteiligungssystem mit den Banken verbunden waren. Sobald der Ausbau des Verkehrs beschlossene Sache wurde, stiegen die Grundstückspreise, und das Finanzkapital machte wie bei der Gründung von Aktiengesellschaften riesige Gewinne. Dasselbe geschah bei zu erwartenden Ausdehnungen der Städte mit dem Baugelände.
Der Monopolprofit des Finanzkapitals fließt also aus den verschiedensten Quellen. Die Aneignung von Mehrwert unmittelbar aus der materiellen Produktion ist aber die entscheidende Grundlage des gesamten Bereicherungssystems, das absolut parasitären Charakter trägt. Das Finanzkapital ist ein Parasit am Körper der Gesellschaft, der der Arbeiterklasse und allen werktätigen Schichten des „eigenen“ Landes und fremder Länder das Blut aussaugt und in Profit verwandelt und allen nichtmonopolistischen Schichten der Bevölkerung einen Tribut auferlegt.
Hier sei noch einmal an die Feststellung Lenins erinnert, daß zwar unter den Bedingungen des Monopolkapitalismus die Warenproduktion noch als Grund-lage der gesamten Wirtschaft gilt, aber bereits untergraben ist und den „Genies“ der Finanzmachenschaften die Hauptprofite zufallen. Der Widerspruch zwischen der im hohen Grade vergesellschafteten Produktion und der Aneignung durch ein Häuflein Finanzkapitalisten findet in der Entwicklung des monopolistischen zum staatsmonopolistischen Kapitalismus eine Bewegungsform, die zugleich mit der Verschärfung aller Widersprüche der kapitalistischen Wirtschaft die unmittelbare materielle Voraussetzung für die Ablösung des Kapitalismus durch den Sozialismus ist.
Unter den Bedingungen der Herrschaft des Finanzkapitals nimmt die „Personalunion“ zwischen den Monopolen der Industrie, des Bankwesens und des Handels usw. einen spezifischen Charakter an. Aus den Großaktionären, die durch die in ihrem Besitz befindliche Aktienmajorität ganze Komplexe von „verschachtelten“ Industrie- und Bankkonzernen beherrschen, kristallisiert sich eine Spitze des Finanzkapitals, die Finanzoligarchie, heraus. Die Mitglieder der Finanzoligarchie entstanden und entwickelten sich auf verschiedene Weise und verkörpern sich in bestimmten Personen.
Einige dieser Finanzoligarchen entstanden und entwickelten sich aus privaten Einzelkapitalisten, den „alten Familien“, die durch besondere Privilegien eine Monopolstellung erhielten. Eine andere Gruppe von Finanzoligarchen entstand und entwickelte sich mit dem Aktienwesen und auf dem Wege der Börsenspekulation. Dabei wurde das Börsengeschäft nicht nur wegen der Spekulationsgewinne betrieben, sondern zur Erringung von Aktienpaketen und Aktienmajoritäten zur Beherrschung bestimmter Unternehmen. Zu diesem Zweck wurde das „Schachtelprinzip“ ausgenutzt. Eine dritte Gruppe der Finanzoligarchie ist aus den Monopolbanken hervorgegangen. Sie entwickelte sich aus den Direktoren der Großbanken, die in deren Vorständen und Aufsichtsräten der großen Industrie- und Handelsunternehmen Sitz und Stimme erhielten.
Schließlich entstand eine vierte Gruppe von Finanzoligarchen aus den Spitzenmanagern der Industriemonopole, die wie die Bankdirektoren fremdes Kapital dirigierten und mit ihm wie mit eigenem Kapital arbeiteten. Ebenso sind die Spitzen der Unternehmerverbände und die Spitzenmanager der Staatskonzerne zur Finanzoligarchie zu zählen.
Aus der Darstellung der Entstehung und Entwicklung des Finanzkapitals und seiner Spitze, der Finanzoligarchie, war schon ersichtlich, daß sich die Herrschaft der Finanzoligarchie nicht auf die Wirtschaft beschränkt, sondern übergreift auf den kapitalistischen Staat und damit auf die ganze Gesellschaft. „Ist das Monopol einmal zustande gekommen und schaltet und waltet es mit Milliarden, so durchdringt es mit absoluter Unvermeidlichkeit alle Gebiete des öffentlichen Lebens, ganz unabhängig von der politischen Struktur und beliebigen anderen ,Details‘“76 – das heißt mehr oder minder verhüllt unter den Bedingungen der bürgerlichen Demokratie und des Parlamentarismus und mehr oder minder offen unter der faschistischen Diktatur.
Die Herrschaft der Finanzoligarchie bleibt auch nicht innerhalb der Grenzen der kapitalistischen Staaten, sondern nimmt internationalen Charakter an. Darüber mehr bei der Behandlung des Kapitalexports, der ökonomischen Aufteilung der Welt unter die Monopolverbände und der territorialen Aufteilung unter die imperialistischen Staaten.
Angesichts der ungeheuerlichen Zuspitzung des Klassenantagonismus zwischen der Finanzoligarchie und der Arbeiterklasse sowie den übrigen Werktätigen und nichtmonopolkapitalistischen Schichten entwickelt das Finanzkapital vor allem zwei seiner Herrschaftsmethoden: die ideologische Herrschaft und die staatliche Gewalt insbesondere des Faschismus.
Die ideologische Herrschaft wird über staatliche und private Bildungseinrichtungen, die Religion, die bürgerlichen ökonomischen und philosophischen Theorien, über ein weitverzweigtes Netz von Massenmedien wie Presse, Rundfunk, Fernsehen, Film und Theater ausgeübt. Die letzteren Instrumente der ideologischen Massenbeeinflussung werden ebenfalls von riesigen Monopolen beherrscht und sind ein immenses Monopolprofitgeschäft. Die Einheit von Ökonomie und Herrschaft des Monopolkapitals ist also auch in diesem Bereich vorhanden.
Mit der ökonomischen Macht des Finanzkapitals wächst aber auch der Unterdrückungsapparat des vom Finanzkapital beherrschten und mit ihm verschmolzenen kapitalistischen Staates. Der Militär- und Polizeiapparat wird ausgebaut und ebenso der Beamtenapparat. Das wurde besonders durch den imperialistischen Krieg forciert.
Die Einheit von Ökonomie und Gewalt der Herrschaft des Finanzkapitals, die im staatsmonopolistischen Kapitalismus ihre höchste Entwicklungsstufe fand, stellte die Arbeiterklasse vor die Aufgabe, sich in ihrem Kampf, ihrer Organisation, ihrer Strategie und Taktik darauf einzustellen und eine Partei neuen Typus zu schaffen.