Handelskapital und Handelsprofit
Leihkapital und Zins

1.2.1
Das Handelskapital als verselbständigte Form
des Zirkulationskapitals des industriellen Kapitals

Im Kapitalismus ist das Handelskapital eine verselbständigte Form des Zirkulationskapitals des industriellen Kapitals. Der Kreislauf des industriellen Kapitals stellt sich bekanntlich in der Formel dar:

G W < A
Pm
… P … W′ – G′

Der Verwertungsprozeß des industriellen Kapitals wird mit der Funktion des Geldkapitals eingeleitet. Der industrielle Kapitalist kauft auf dem Warenmarkt die Produktionsmittel und auf dem Arbeitsmarkt die Arbeitskräfte:

G W < A
Pm

Dieser Akt vollzieht sich in der Zirkulationssphäre. Mit seinem Vollzug hat sich das Geldkapital in produktives Kapital verwandelt. Die gekauften Waren werden in der Produktion produktiv konsumiert, und nur im Stadium der Produktion wird der Mehrwert produziert, erfolgt die Verwertung des Kapitals.

Resultat des kapitalistischen Produktionsprozesses ist das Warenkapital, das heißt ein um den Mehrwert vergrößerter Wert in Warenform (W). Die Waren müssen dann verkauft beziehungsweise in Geld verwandelt werden. Damit wird zugleich der produzierte und in den Waren vergegenständlichte Mehrwert beziehungsweise Profit realisiert. Der Akt des Verkaufs, W′ – G′, gehört wieder der Zirkulationssphäre an.

Das industrielle Kapital muß diese drei Stadien oder Existenzformen nacheinander annehmen, und es bewegt sich immer in zwei Sphären, in der Zirkulationssphäre und in der Produktionssphäre. „Die beiden Formen, die der Kapitalwert innerhalb seiner Zirkulationsstadien annimmt, sind die von Geldkapital und Warenkapital; seine dem Produktionsstadium angehörige Form ist die von produktivem Kapital. Das Kapital, welches im Verlauf seines Gesamtkreislaufs diese Formen annimmt und wieder abstreift und in jeder die ihr entsprechende Funktion vollzieht, ist industrielles Kapital – industriell hier in dem Sinn, daß es jeden kapitalistisch betriebnen Produktionszweig umfaßt … Der Kreislauf des Kapitals geht nur normal vonstatten, solange seine verschiednen Phasen ohne Stockung ineinander übergehn.“7

Das industrielle Kapital muß die drei Stadien aber nicht nur immer wieder nacheinander durchlaufen. Wenn Produktion und Verwertung des Kapitals kontinuierlich erfolgen sollen, muß sich das Kapital stets in allen drei Stadien zur gleichen Zeit befinden. Das gilt für das individuelle industrielle Kapital wie für das industrielle Gesamtkapital.

Ständig muß ein Teil des industriellen Kapitals in Geldform vorhanden sein, um die Produktionselemente kaufen zu können. Ein weiterer Teil muß die Form des produktiven Kapitals (Gebäude, Maschinen, Rohstoffe, Hilfsstoffe, Arbeitskräfte) und ein dritter die Warenform haben.

Aus dem Kreislauf des industriellen Kapitals als einer Einheit von Produktions- und Zirkulationsprozeß ergibt sich die Doppelfunktion des industriellen Kapitalisten als Industrieller und als Kaufmann.

Im frühen Stadium des Kapitalismus war diese Doppelfunktion in der Tat auch an ein und dieselbe Person gebunden. Die Kapitalisten kauften die für die Produktion notwendigen Waren, produzierten und verkauften die Waren selbst an die verschiedenen produktiven und individuellen Konsumenten. Da das industrielle Kapital jedoch in drei Formen existieren muß (Geldkapital, produktives Kapital und Warenkapital), die verschiedene Funktionen im Reproduktionsprozeß zu erfüllen haben, und sich sowohl in der Produktions- als auch in der Zirkulationssphäre bewegt, ergibt sich auch die Möglichkeit und Notwendigkeit der Verselbständigung des Zirkulationskapitals vom produktiven Kapital. So kann zum Beispiel die Verwandlung von Warenkapital in Geldkapital (W′ – G′) zur besonderen und ausschließlichen Funktion einer besonderen Gruppe von Kapitalisten, der Handelskapitalisten, werden. Und in der Tat entwickelte sich auch eine Arbeitsteilung zwischen industriellen Kapitalisten und Handelskapitalisten, die beide vom Streben nach Profit bewegt werden. Der Handel entwickelt sich zu einem speziellen Gebiet der Kapitalanlage, die mindestens den Durchschnittsprofit erbringen muß.

Durch die Verselbständigung des Warenkapitals des Industriellen in der Hand einer speziellen Gruppe von Kapitalisten, der Handelskapitalisten, wird es zum Warenhandlungskapital. „Sofern diese Funktion des im Zirkulationsprozeß befindlichen Kapitals überhaupt als besondre Funktion eines besondren Kapitals verselbständigt wird, sich fixiert als eine durch die Teilung der Arbeit einer besondren Gattung von Kapitalisten zugewiesene Funktion, wird das Warenkapital zum Warenhandlungskapital oder kommerziellen Kapital“8, schreibt Karl Marx.

Mit seiner Verselbständigung wird das Warenkapital des Industriellen folglich zugleich zu einer besonderen Kapitalanlagesphäre; denn der Kaufmann kauft vom Industriellen Waren, um sie mit einem Zuwachs zu verkaufen. Er schießt Geld vor, um es zu verwerten (G – W – G′). „Das Warenkapital nimmt also im Warenhandlungskapital dadurch die Gestalt einer selbständigen Sorte von Kapital an, daß der Kaufmann Geldkapital vorschießt, das sich nur als Kapital verwertet, nur als Kapital fungiert, indem es ausschließlich damit beschäftigt ist, die Metamorphose des Warenkapitals, seine Funktion als Warenkapital, d.h. seine Verwandlung in Geld zu vermitteln … Durch diese Funktion verwandelt er sein Geld in Geldkapital, stellt sein G dar als G – W – G′, und durch denselben Prozeß verwandelt er das Warenkapital in Warenhandlungskapital.“9 Das Handelskapital ist die verselbständigte Zirkulation des industriellen Kapitals, das der Kaufmann vorschießt, um es zu verwerten.

Die Möglichkeit der Verselbständigung des Zirkulationskapitals wird in dem Maße zur Wirklichkeit, wie sich die Arbeitsteilung zwischen industriellen Kapitalisten und Handelskapitalisten für die Verwertung des gesamten Kapitals als vorteilhaft erweist. Ziel und Zweck eines jeden Kapitals ist die Realisierung von Mehrwert beziehungsweise Profit. Dieser entsteht jedoch nur in der Produktion, durch die Funktion des produktiven Kapitals.

Je größer dieser Teil ist, desto größer ist auch die Masse des produzierten Mehrwerts beziehungsweise Profits. Die Funktionen des Kaufens und Verkaufens sind unter diesem Aspekt nur notwendige Nebenfunktionen. De facto schmälern sie die Möglichkeit der Produktion von Profit; denn beim Kauf und Verkauf entsteht kein Mehrwert beziehungsweise Profit. Je geringer folglich der Teil des Kapitals ist, der für den Verkauf oder Kauf der Waren notwendig ist, um so größer kann – eine bestimmte Größe des Gesamtkapitals unterstellt – das produktive Kapital und demzufolge der Mehrwert beziehungsweise der Profit sein.

Angenommen ein industrieller Kapitalist wendet ein Kapital von 80 c + 50 v zur Produktion des Mehrwerts an, die Produktionszeit beträgt einen Monat und ein weiterer Monat würde gebraucht, um das Warenkapital in Geldkapital zu verwandeln, das heißt die Waren zu verkaufen. Ist das Kapital von 80 c + 50 v = 130 das Gesamtkapital des industriellen Kapitalisten, so müßte er nach Vollzug eines Produktionszyklus einen Monat warten, bis sein Kapital einschließlich des Mehrwerts durch den Verkauf der Waren zurückfließen würde. Die Produktion könnte folglich unter diesen Bedingungen nicht kontinuierlich vonstatten gehen. Nach einem Monat Produktion würde diese einen Monat unterbrochen, bis das vorgeschossene Kapital einschließlich des Mehrwerts zurückgeflossen ist. Um diesen uneffektiven Zustand zu vermeiden, gäbe es nur zwei Möglichkeiten:

Erstens: Es müßte ein zusätzliches Kapital von 130 angewandt werden, um in dem Monat weiter produzieren zu können, in dem sich das in der ersten Produktionsperiode erzeugte Warenkapital in der Zirkulationssphäre befindet und in Geldkapital verwandelt werden soll. Der industrielle Kapitalist würde demnach ein Kapital von 260 anwenden müssen, ohne dafür einen größeren Mehrwert zu erhalten.

Zweitens: Wenn er kein Zusatzkapital anwendet, müßte er das vorhandene Kapital von 130 so aufteilen, daß nur 65 in produktives Kapital verwandelt werden und 65 als Reserve dienen, um im zweiten Monat, in dem sich das Warenkapital in der Zirkulationssphäre befindet, weiter produzieren zu können. Die Wirkung auf die Verwertung des Kapitals wäre ebenso negativ wie im ersten Fall.

Nimmt nun eine besondere Gruppe von Kapitalisten, eben die Handelskapitalisten, dem industriellen Kapitalisten die Waren sofort nach der Produktion ab und sorgt für deren Verkauf, so liegen die Vorteile für den industriellen Kapitalisten auf der Hand: Er braucht ein viel geringeres Zusatz- oder Reservekapital. Das für die Produktion des Mehrwerts beziehungsweise Profits anwendbare produktive Kapital und demzufolge auch der produzierte Mehrwert oder Profit können dementsprechend größer sein.

  1. Durch die Arbeitsteilung zwischen industriellen Kapitalisten und Handelskapitalisten kann ein Handelskapitalist die Realisierung der Waren für viele industrielle Kapitalisten übernehmen. An Stelle vieler Verkaufsapparate ist nur einer notwendig. Dadurch ist der Kapitalvorschuß der Händler kleiner als die Summe der Kapitalvorschüsse, die notwendig wäre, wenn jeder einzelne industrielle Kapitalist seine Waren selbst realisieren würde.
  2. Die Metamorphose des Warenkapitals (W – G′) wird beschleunigt, weil der Kaufmann durch seine Spezialisierung auf den Verkauf über entsprechende Erfahrungen, Verbindungen und Marktkenntnisse verfügt, die der Industrielle in der Doppelfunktion als Industrieller und Kaufmann in der Regel nicht besitzen kann. Mit der Beschleunigung der Metamorphose des Warenkapitals ist die Verkürzung der Umlaufszeit und die Erhöhung der Verwertung des Kapitals verbunden.

Die Arbeitsteilung zwischen industriellem Kapital und Handelskapital führt andererseits dazu, daß sich der industrielle Kapitalist spezielle Kenntnisse für die Produktion seiner Waren und des Mehrwerts aneignen und ausnutzen kann, die der Kaufmann nicht besitzen kann, weil er sich auf die Realisierung des Warenkapitals spezialisiert hat. Die Spezialisierung des industriellen Kapitalisten ermöglicht es ihm, den Ausbeutungsprozeß zu rationalisieren, auf diese Weise die Mehrwertrate und folglich auch die Verwertung des Kapitals zu erhöhen.

  1. Durch die Verringerung des zur Zirkulation notwendigen Kapitals steht dem industriellen Kapital eine größere Menge produktiven Kapitals zur Verfügung, so daß unter sonst gleichen Umständen eine größere Masse von Mehrwert produziert werden kann.
  2. Durch die Verringerung der Umlaufszeit des Zirkulationskapitals wird auch die Umschlagszeit des industriellen Kapitals verkürzt beziehungsweise die Umschlagsgeschwindigkeit erhöht, so daß insbesondere durch den schnelleren Umschlag des variablen Kapitals sich die Jahresmehrwert-
    beziehungsweise Jahresprofitrate erhöht.

Alle diese Faktoren bewirken, daß das Handelskapital indirekt zur Erhöhung des vom industriellen Kapital produzierten Mehrwerts beiträgt und die Verwertung des gesellschaftlichen Gesamtkapitals verbessert, obwohl in der Zirkulationssphäre, in der es haust, kein Wert und kein Mehrwert produziert wird.10

Der Konkurrenzkampf um die höchste Profitrate, um die Erweiterung der Produktion und des Absatzes führt zur Arbeitsteilung zwischen industriellen und Handelskapitalisten, zur Verselbständigung der Funktionen des Warenkapitals und die Verwandlung in Handelskapital.

Die Verselbständigung des Warenkapitals des Industriellen in Warenhandlungskapital erfolgt nicht, wenn sie für die Verwertung des Kapitals nicht vorteilhaft ist. Das ist zum Beispiel bei der Produktion und beim Verkauf großer spezieller Industrieanlagen für die chemische Industrie, für die Metallurgie, den Maschinenbau usw. typisch. Hier wird das Warenkapital des Industriellen meist nicht durch eine besondere Kapitalistengruppe realisiert, sondern durch das industrielle Kapital selbst.

Im gegenwärtigen Kapitalismus sind die der Verselbständigung des Handels entgegenwirkenden Tendenzen in beträchtlichem Maße wirksam. Die Ursachen liegen in der Entwicklung des Monopolkapitals und der monopolkapitalistischen Konkurrenz um die Realisierung von Monopolprofit.

Wird die Verselbständigung nicht vollzogen und die Realisierung der Waren vom industriellen Kapitalisten oder dessen Beauftragten übernommen, so ist der Akt der Realisierung der Waren Teil der Funktion des industriellen Kapitals.

Der Charakter des Handelskapitals als eines selbständig fungierenden Kapitals ist gegeben, wenn

  1. die Verwandlung des Warenkapitals des Industriellen in Geld sich in der Hand eines vom Produzenten unterschiedenen Agenten vollzieht und diese Funktion des Warenkapitals vermittelt ist durch die Operationen des Kaufmanns;
  2. der vom Handelskapitalisten vorgeschossene Wert mit dem Ziel erfolgt, sich zu verwerten. Die Besonderheit der Verwertung des Handelskapitals besteht darin, daß die mit dem Geld gekauften Waren nie die Form des produktiven Kapitals annehmen, sondern nur einen Formwandel vollziehen. Das kommt daher, weil das G – W – G′ des Handelskapitalisten nur das W′ und G′ des industriellen Kapitals ist.11

Die Verselbständigung des Warenkapitals des Industriellen und seine Verwandlung in Warenhandlungskapital hat nicht nur die aufgezeigten ökonomischen Vorteile. Ist der Verselbständigungsprozeß selbst schon ein widerspruchsvoller, sich im Konkurrenzkampf um die Aufteilung des Profits vollziehender Prozeß, so schafft die vollzogene Arbeitsteilung zwischen Industriellem und Kaufmann zugleich neue Schwierigkeiten, Komplikationen und Widersprüche.

Durch die Trennung von industriellem Kapital und Handelskapital können im Reproduktionsprozeß Störungen eintreten beziehungsweise bestehende verstärkt werden. Spekulative Käufe des Handelskapitals, Warenhortungen, das Erzeugen einer fiktiven Nachfrage, Preis- und Käufermanipulationen usw. können Disproportionen in der Wirtschaft, insbesondere den Widerspruch zwischen Produktion und Konsumtion, verschärfen. Auf diese Weise kann das Handelskapital zum Ausbruch oder zur Verschärfung von Wirtschaftskrisen im Kapitalismus beitragen, ohne allerdings, wie bürgerliche Krisentheoretiker behaupten, Hauptursache der zyklischen Wirtschaftskrisen zu sein.