Handelskapital und Handelsprofit
Leihkapital und Zins

2.2.1
Das Wesen des Leihkapitals

Oberflächlich betrachtet, scheint das Leihkapital zunächst nichts anderes zu sein als eine bestimmte Geldsumme, die deren Eigentümer einem Dritten für eine bestimmte Zeit und gegen eine bestimmte Vergütung – den Zins – überläßt.46 Auf diese Weise wird aus Geld mehr Geld, das heißt, es verwertet sich: G – G′.

Eine solche Definition macht jedoch keineswegs das Wesen des Leihkapitals aus. Um das Wesen des Leihkapitals im Kapitalismus zu klären, ist die Frage zu beantworten, wie ein Kapital, das nur in Geldform (G – G′) auftritt, sich unter den Bedingungen der kapitalistischen Produktionsweise verwertet. Da in der Zirkulation kein Mehrwert entstehen kann, so ist, wie Karl Marx nachwies, der in der Produktion produzierte Mehrwert oder Profit die einzige Quelle seines Zuwachses.

Soll sich vorübergehend freies Geldkäpital verwerten, in Leihkapital verwandeln, so muß es einem fungierenden Kapitalisten, zum Beispiel einem Industriellen, überlassen werden. Dieser verwandelt es in produktives Kapital, so daß das geliehene Geld am Kreislauf des industriellen Kapitals und an der Produktion des Mehrwerts teilnimmt. Auf diese Weise wird das fungierende Kapital des Industriellen vergrößert und demzufolge auch der produzierte Mehrwert beziehungsweise Profit.

Einen Teil des mit dem geliehenen Geld produzierten Profits muß der fungierende Kapitalist dem Geldkapitalisten in Form des Zinses abtreten. Der Zins, den der Leihkapitalist erhält, ist also ein Teil des von den Lohnarbeitern produzierten Mehrwerts beziehungsweise ein Teil des Profits des industriellen Kapitalisten, den er dafür bezahlt, daß er die Macht und Möglichkeit erhielt, mit fremdem, geliehenem Geld Lohnarbeiter auszubeuten und Profit zu produzieren. Die Formel des Leihkapitals kann demzufolge in erweiterter Form wie folgt dargestellt werden:

G ( G W < A
Pm
… P … W″ – G″
) – G′

Das G vor der Klammer stellt das Geld des Leihkapitalisten dar, das dieser an den fungierenden Kapitalisten übergibt und das zusammen mit dem Geldkapital des fungierenden Kapitalisten den Kreislauf des industriellen Kapitals vollzieht. Warenkapital (W″) und Geldkapital (G″) sind entsprechend größer. Die Rückzahlung des geliehenen Geldes plus der Zinsen darauf stellt sich im G′ nach der Klammer dar.

Ähnlich wie das Handelskapital nimmt das Leihkapital am Profit des industriellen Kapitals und damit an der Ausbeutung der Arbeiter teil. Es hat keine selbständige Quelle seiner Verwertung, wie es bürgerliche Vulgärökonomen behaupten. Aber zwischen der Aneignung des Handelsprofits (h) durch das Handelskapital und der Aneignung des Zinses (z) durch das Leihkapital besteht ein beachtlicher Unterschied, der sich aus den unterschiedlichen Funktionen des Handelskapitals und des Leihkapitals im gesellschaftlichen Reproduktionsprozeß des Kapitals ergibt.

Das Handelskapital übt eine wichtige Funktion im Produktionsprozeß des Kapitals aus: die Realisierung des Warenkapitals des Industriellen und dessen Verwandlung in Geld. Es ist das verselbständigte Zirkulationskapital der industriellen Kapitalisten, das gemeinsam mit dem industriellen Kapital in die Bildung des Durchschnittsprofits und des Produktionspreises eingeht und dem Handelskapital den Durchschnittsprofit einbringt. Das Leihkapital übt keine Funktion im Kreislauf und Reproduktionsprozeß des Kapitals aus. Es dient seinem Besitzer dazu, einen Anteil vom Profit des Industrie- oder Handelskapitalisten in Form von Zinsen zu gewinnen. Für den Industrie- und Handelskapitalisten ist es ein Zusatzkapital, das sich wie sein eigenes Kapital zum Durchschnittsprofit verwertet und das danach wieder an den Leihkapitalisten zusammen mit einem Teil des Durchschnittsprofits, dem Zins, zurückgeht.

Das Leihkapital geht im Unterschied zum Handelskapital nicht in die Bildung der Durchschnittsprofitrate und des Durchschnittsprofits ein, deshalb kann der Zins in der Regel quantitativ nur ein Teil des Durchschnittsprofits des industriellen Kapitalisten sein.

Im Leihkapital wird Geld als Kapital zu einer Ware, und zwar zu einer Ware besonderer Art. Kapital ist ein Ausbeutungsverhältnis. Wenn also das Kapital zur Ware wird, dann wird das Ausbeutungsverhältnis zur Ware. Im Kapitalismus ist eine Geldsumme von einer bestimmten Größe der Möglichkeit nach immer Kapital, das heißt, es kann zum Kauf von Produktionsmitteln und Arbeitskräften und damit zur Ausbeutung angewandt werden.

Nehmen wir an, jemand hat eine Geldsumme von 1 Million €. Wenn die Durchschnittsprofitrate 20 Prozent beträgt, so würde das Geld, als produktives Kapital und unter durchschnittlichen Bedingungen angelegt, einen Profit von 200.000 € abwerfen. Überläßt der Geldbesitzer diese 1 Million € einem industriellen Kapitalisten, so gibt er ihm die Möglichkeit und die Macht, durch die Ausbeutung von Lohnarbeitern 200.000 € Profit – 20 Prozent auf 1 Million – zu produzieren, für den er kein Äquivalent zahlt.

Das Geld ist die Form, in der der Geldbesitzer dem Industriekapitalisten diese Macht überträgt. Dadurch, daß der Geldbesitzer dem fungierenden Kapitalisten mit dem Geld die Möglichkeit überläßt, es zu verwerten, in Kapital zu verwandeln, wird es zur besonderen Ware Kapital.

Als Ware hat das Kapital einen Gebrauchswert und einen Wert. Der Gebrauchswert der Ware Kapital ist aber selbst Wert. Er besteht darin, daß das Geld seinem Besitzer die Möglichkeit gibt, sich durch die Ausbeutung von Lohnarbeitern Profit anzueignen. „Damit erhält es“ (das Geld), wie Karl Marx schreibt, „außer dem Gebrauchswert, den es als Geld besitzt, einen zusätzlichen Gebrauchswert, nämlich den, als Kapital zu fungieren. Sein Gebrauchswert besteht hier eben in dem Profit, den es, in Kapital verwandelt, produziert. In dieser Eigenschaft als mögliches Kapital, als Mittel zur Produktion des Profits, wird es Ware, aber eine Ware sui generis (besonderer Art). Oder was auf dasselbe herauskommt, Kapital als Kapital wird zur Ware.“47

Das verliehene Geld hat eine gewisse Analogie mit der Ware Arbeitskraft in ihrem Verhältnis zum industriellen Kapitalisten. Der Gebrauchswert der Ware Arbeitskraft besteht bekanntlich für den industriellen Kapitalisten darin, mehr Wert zu produzieren, als sie selbst Wert hat, den Mehrwert. Der Gebrauchswert des geliehenen Geldes erscheint ähnlich, nämlich als „Wert setzende und vermehrende Fähigkeit“48. Der Geldbesitzer veräußert also tatsächlich einen Gebrauchswert.

Die Besonderheit der Ware Kapital (beziehungsweise des Geldes als Kapital) tritt auch in ihrem Wert zutage. Die Ware Kapital (Geld als Kapital) hat nicht nur einen Wert, sondern sie ist Wert.

Beim Handel mit gewöhnlichen Waren wechselt der Gebrauchswert seinen Besitzer, um konsumiert zu werden. Der Wert macht eine Formverwandlung durch. Beim Verkäufer verwandelt er sich aus der Warenform in die Geldform, beim Käufer aus der Geldform in die Warenform. Die Wertgröße ändert sich dabei nicht.

Beim Verkauf der Ware Kapital wird ebenfalls ein Gebrauchswert weggegeben. Der spezielle Gebrauchswert des Geldes als Kapital dient zur Ausbeutung der Arbeiter, zur Mehrwertproduktion beziehungsweise -realisation. Aber dieser spezielle Gebrauchswert ist mit dem Wert unmittelbar verbunden. Mit diesem Gebrauchswert wird Wert weggegeben. Aber dieser Wert bleibt Eigentum des „Verkäufers“. Der Leihkapitalist behält das Eigentumsrecht an der Ware Kapital auch dann, wenn er sie (zeitweilig) nicht mehr besitzt und anderen übergeben hat.

Durch den besonderen Gebrauchswert der Ware Kapital, Profit zu produzieren (beziehungsweise zu realisieren), fließt der Wert um einen Teil des Profits vermehrt an den Verkäufer zurück. „Die Ware Kapital … hat das Eigentümliche, daß durch die Konsumtion ihres Gebrauchswerts ihr Wert und ihr Gebrauchswert nicht nur erhalten, sondern vermehrt wird“49, schreibt Karl Marx.

Das, was der „Käufer“ der Ware Kapital bezahlt, ist nicht die Wertsumme; denn wenn er für 1 Million € 1 Million € bezahlen soll, braucht er sie nicht von jemand anderem zu leihen. Was der „Käufer“ zahlt, ist der spezielle Gebrauchswert, die Kapitalfunktion, in unserem Beispiel die Funktion, 200.000 € Profit zu machen. Die Wertsumme von 1 Million ist die Grundlage dafür. Sie gehört jedoch dem „Verkäufer“ (Verleiher). Der „Käufer“ (Leiher) erhält sie nur zeitweilig zur Verfügung gestellt. Nach einer bestimmten vereinbarten Zeit muß sie einschließlich Zinsen, die einen Teil des Profits darstellen, zurückgezahlt werden.

Weil das Leihkapital eine Ware eigener Art ist, ergibt sich daraus, daß sie auch eine eigentümliche Art ihrer Veräußerung hat. Diese eigenartige Form des Verkaufs und Kaufs ist die Form des Verleihens und Leihens. Das Geld als Kapital wird nicht verkauft und gekauft, sondern verliehen und geliehen. „Weggeben unter der Bedingung der Rückerstattung, ist überhaupt die Bewegung des Verleihens und Anleihens, dieser spezifischen Form der nur bedingungsweisen Veräußerung von Geld oder Ware.“50

Wie die Ware Kapital selbst eine Ware eigener Art ist, so hat sie im Zins auch einen eigenartigen Preis. Bekanntlich ist der Preis in der Regel der Geldausdruck des Wertes einer Ware. Was ist aber der Wert oder Preis der Ware Kapital? Das Kapital ist zunächst selbst Wert. Dieser Wert wird beim Leihkapital jedoch nicht als Preis gezahlt. Die Wertsumme, das Geld, wird ohne Äquivalent weggegeben. Sie fließt nach einer bestimmten Zeit an den Eigentümer zurück. Es wird vielmehr die Funktion, Profit zu produzieren, „verkauft“, und dafür ist ein Preis, der Zins als Teil des Profits, zu zahlen. „Der Wert des Geldes oder der Waren als Kapital ist nicht bestimmt durch ihren Wert als Geld oder Waren, sondern durch das Quantum Mehrwert, das sie für ihren Besitzer produzieren.“51

Damit ist jedoch der eigentliche Sinn des Preises als Geldausdruck eines Wertes völlig verlorengegangen. Deshalb sagt Karl Marx, daß der Zins, wenn man ihn Preis des Geldkapitals nennt, eine irrationelle Form des Preises ist, ähnlich wie der „Preis der Arbeit“ beim Arbeitslohn. „Der Preis ist hier auf seine rein abstrakte und inhaltslose Form reduziert, daß er eine bestimmte Geldsumme ist, die für irgend etwas, was so oder so als Gebrauchswert figuriert, gezahlt wird; während seinem Begriff nach der Preis gleich ist dem in Geld ausgedrückten Wert dieses Gebrauchswerts.“52

In Wirklichkeit ist der Zins der Anteil des Leihkapitals am Profit des fungierenden Kapitals, der als Preis für die Ware Kapital erscheint. Die Höhe des Zinses findet seinen Ausdruck im Zinsfuß oder der Zinsrate. Darunter wird das prozentuale Verhältnis zwischen der Summe, die für den Gebrauch eines Kapitals jährlich an Zinsen gezahlt wird, und der Kapitalsumme, die verliehen wird, verstanden.

z' = z × 100
k

z′ = Zinsfuß, z = Summe der Zinsen, k = Kapitalsumme

Der Zinsfuß drückt den Verwertungsgrad des Leihkapitals aus.53 Seine Höhe hängt von der Durchschnittsprofitrate ab. Diese ist theoretisch die maximale Grenze des Zinsfußes. In der Regel wird der Zinsfuß niedriger als die Durchschnittsprofitrate sein. Anderenfalls würde die Anwendung von Leihkapital durch das fungierende Kapital unterbleiben.54 Nur in Ausnahmefällen zahlt das fungierende Kapital Zinsen, deren Höhe gleich (oder größer) ist als die Profitrate. Ein Geldbesitzer im Kapitalismus wird jedoch nur dann Geld verleihen, wenn er einen Zins erhält. Der Zusammenhang zwischen der Durchschnittsprofitrate und dem Zinsfuß ist nur ganz allgemeiner Natur. Sie stehen in keinem direkten Zusammenhang zueinander.

Die Höhe des Zinsfußes hängt in starkem Maße vom Angebot von und von der Nachfrage nach Leihkapital, vom Konkurrenzkampf zwischen fungierendem Kapital und Leihkapital, ab. „Die Konkurrenz bestimmt hier nicht die Abweichungen vom Gesetz“, schreibt Karl Marx, „sondern es existiert kein Gesetz der Teilung außer dem von der Konkurrenz diktierten, weil … keine ,natürliche‘ Rate des Zinsfußes existiert. Unter der natürlichen Rate des Zinsfußes versteht man vielmehr die durch die freie Konkurrenz festgesetzte Rate.“55

Entsprechend diesen Gesetzen wird der Zinsfuß bei großer Nachfrage und relativ kleinem Angebot hoch sein und einen relativ niedrigen Stand aufweisen, wenn die Nachfrage gering und das Angebot groß ist. Auf die Höhe des Zinsfußes haben auch solche Faktoren Einfluß wie angebotene oder geforderte Sicherheiten, Dauer des Kreditverhältnisses, Art der Anlagesphäre, Traditionen, Kreditwürdigkeit usw.

Aus dem Dargelegten geht hervor, daß der Zinsfuß Schwankungen unterworfen und in seiner Höhe unterschiedlich ist. Die allgemeine Bewegung des Zinsfußes ist mit dem zyklischen Verlauf des kapitalistischen Reproduktionsprozesses verbunden.