Handelskapital und Handelsprofit
Leihkapital und Zins

2.3.2
Der kommerzielle Kredit

Der kommerzielle Kredit ist Kredit, den sich fungierende Kapitalisten (Industrielle und Händler) beim Verkauf und Kauf der Waren in Gestalt eines Zahlungsaufschubs gegenseitig gewähren. Der kommerzielle Kredit entspringt der Funktion des Geldes als Zahlungsmittel, der Trennung des Verkaufs der Ware von ihrer Bezahlung. Der Käufer der Ware gibt dem Verkäufer das Versprechen, die Waren zu einem späteren Zeitpunkt zu bezahlen. Beim Verkauf von Waren auf Kredit finden immer zwei Vorgänge statt: Einerseits erfolgt der Verkauf der Waren, und andererseits wird dem Käufer ein Kredit eingeräumt.

Der kommerzielle Kredit ist gewöhnlich kurzfristig. Er wird in der Regel für einen Zeitraum von einigen Monaten erteilt. Als Hauptinstrument des kommerziellen Kredits hat sich der Wechsel, ein an bestimmte Vorschriften, Formen und Normen gebundener Schuldschein, entwickelt, den Karl Marx deshalb auch als den „Repräsentanten“ des kommerziellen Kredits bezeichnet. Für den kommerziellen Kredit ist typisch, daß er an das Warenkapital gebunden ist. Leihkapital und fungierendes Kapital sind hier identisch und noch nicht voneinander getrennt. Folglich ist die Bewegung des kommerziellen Kredits von der Bewegung des fungierenden Kapitals abhängig. Beide stehen im direkten Verhältnis zueinander. „Die Entwicklung des Produktionsprozesses erweitert den Kredit, und der Kredit führt zur Ausdehnung der industriellen und merkantilen Operationen.“69

Der kommerzielle Kredit ist in seiner reinen Form (das heißt abstrahiert vom Bankkredit) zunächst keine Neuanlage von Kapital im Reproduktionsprozeß, sondern er vermittelt und erleichtert vor allem den Übergang von einer Phase des Reproduktionsprozesses in die andere.

Verkauft zum Beispiel ein Kapitalist Waren gegen Wechsel, so kann er diesen selbst wieder zur Bezahlung seiner eigenen Schulden an einen dritten verwenden oder bei einer Bank gegen Geld einlösen. Der Reproduktionsprozeß des ersten Kapitalisten ist eigentlich noch nicht vollendet. Er ist es erst, nachdem die Waren endgültig in Geld verwandelt sind. Da er jedoch von dem anderen einen Wechsel erhielt, konnte er seinen Reproduktionsprozeß dennoch fortsetzen. Ebenso verhält es sich mit dem Reproduktionsprozeß des zweiten, der die Möglichkeit erhielt, Waren, zum Beispiel Produktionsmittel, gegen Wechsel einzukaufen. Hätte er nur gegen bar kaufen können, wäre sein Reproduktionsprozeß unterbrochen worden.

Der kommerzielle Kredit ist folglich für beide Kapitalisten vorteilhaft. Seine Bedeutung für den Reproduktionsprozeß des Kapitals besteht ferner darin, daß bares Geld eingespart wird und die fungierenden Kapitalisten den Reproduktionsprozeß relativ unabhängig von ihrem Geldkapital vollziehen können. Das Geldkapital braucht nur noch für Zahlungen vorhanden zu sein, die nicht auf Kredit vollzogen werden können, oder zum Ausgleich von Salden. Dadurch, daß in der Regel alle fungierenden Kapitalisten auf Kredit verkaufen und kaufen, ist weniger Geld erforderlich, als ohne den Kredit nötig wäre. Der Wechsel kann vielmehr wie Geld verwendet werden. Deshalb bezeichnet Karl Marx die Wechsel auch als Handelsgeld oder Kreditgeld.

Aus der Tatsache, daß Wechsel wie Geld zirkulieren können, Handelsgeld sind, folgt jedoch nicht, daß sie das Geld völlig ersetzen können. Hinter ihnen steht immer die Forderung nach Zahlung, die – wenn kein Ausgleich erfolgt – in bar erfolgen müßte. Der Zusammenhang zwischen wirklichem Geld und Handelsgeld beziehungsweise Wechseln kommt besonders deutlich in Krisen zum Ausdruck, wenn das Vertrauen in den Kredit zusammenbricht. Die Wechsel öffnen auch der Spekulation Tür und Tor und tragen zur Verschärfung der Widersprüche im Kapitalismus bei.

Der kommerzielle Kredit kann in doppelter Weise zur Verschärfung der Wirtschaftskrisen beitragen: einerseits, indem durch ihn eine fiktive Nachfrage geschaffen und die Produktion weit über den Rahmen der zahlungsfähigen Nachfrage ausgedehnt wird, und andererseits, daß durch die Zahlungsunfähigkeit von Wechselschuldnern eine Geld- und Kreditkrise entsteht. Die Zahlungsunfähigkeit einer Anzahl von Kapitalisten führt dann zu einer Kettenreaktion, die zu einer allgemeinen Zahlungskrise werden kann.70

Der kommerzielle Kredit muß in der Regel in Wechselform gewährt werden. Er kann auch durch einfache Vereinbarungen über die Zahlungstermine erfolgen, die eine bestimmte Zeit nach der Lieferung der Ware liegen.

Trotz der beachtlichen Bedeutung, die dem kommerziellen Kredit zukommt, ist sein Wirkungsfeld in mehrfacher Hinsicht begrenzt:

Erstens: Da der kommerzielle Kredit an die Warenform gebunden ist, kann er immer nur von jenen Kapitalisten in Anspruch genommen beziehungsweise an sie gewährt werden, die die entsprechenden Waren brauchen. Der Textilfabrikant zum Beispiel kann nur jenen kommerziellen Kredit gewähren, die Textilien brauchen.

Zweitens: Der kommerzielle Kredit kann im Höchstfall nur im Wertumfang des Warenkapitals gewährt und in Anspruch genommen werden. Er ist insofern auch quantitativ beschränkt.

Drittens: Der kommerzielle Kredit ist nicht für langfristige Anlagen, für die Anwendung von fixem Kapital geeignet.

Viertens: Der kommerzielle Kredit kann nicht für die Bezahlung von Arbeitslöhnen verwendet werden.

Hieraus ergab sich die Notwendigkeit, andere Formen zu finden, um diese Grenzen zu überwinden. Stets drängt die kapitalistische Produktion dazu, auftretende Widersprüche und Schwierigkeiten zu beseitigen und neue Formen zu entwickeln, in denen sie sich bewegt. Eine solche neue Form des Kredits ist der Bankkredit.