2.3.3
Der Bankkredit
Die Wirksamkeit des kommerziellen Kredits wird durch den Bankkredit erweitert. Wir sahen schon, daß sich mit der Entwicklung des industriellen Kapitalismus auch die Geldhandlungskapitalfunktion der Banken entwickelt, die das Kassierergeschäft der Industrie- und Handelskapitalisten ausüben. Sie übernehmen in dieser Funktion auch die Einkassierung beziehungsweise die Verrechnung der Wechsel.
Zugleich entsteht und entwickelt sich ein spezielles Geschäft der Banken, der Kauf und die Beleihung oder die Diskontierung und Lombardierung der Wechsel. „Es kommt aber nun“, schreibt Karl Marx, „zu diesem kommerziellen Kredit der eigentliche Geldkredit hinzu. Das Vorschießen der Industriellen und Kaufleute untereinander verquickt sich mit dem Vorschießen des Geldes an sie seitens der Bankiers und Geldverleiher.“71 Die Inhaber von Wechseln brauchen diese weder bis zum Fälligkeitstermin aufzubewahren noch zur Bezahlung eigener Käufe zu verwenden. Sie können sie auch benutzen, um sich sofort bares Geld zu verschaffen, indem sie die Wechsel von einer Bank beleihen (lombardieren) lassen oder sie an eine Bank verkaufen (diskontieren).
Beim Lombardgeschäft gibt der Wechselinhaber den Wechsel zur Bank. Die Bank beleiht den Wechsel, indem sie dem Wechselinhaber einen Teil der Wechselsumme (50 bis 70 Prozent) in barem Geld auszahlt. Der Wechsel bleibt Eigentum des Wechselinhabers. Er dient der Bank als Pfand. Auf diese Weise verschafft sich der Wechselinhaber sofort bares Geld.
Zum Lombardgeschäft werden nicht nur Wechsel, sondern auch Wertpapiere, Lagerscheine usw. benutzt, die in gleicherweise wie die Wechsel beliehen werden. Die Kapitalisten verschaffen sich dadurch, ohne daß ihre Waren schon realisiert sind, auf kreditivem Wege Geld beziehungsweise Geldkapital. Die Banken verdienen an den Zinsen, die sie für den gewährten Lombardkredit verlangen.
Beim Diskontgeschäft geht der Wechsel wie bei jedem Kauf in das Eigentum der Bank über. Die Bank zahlt die Wechselsumme an den Verkäufer des Wechsels aus und tritt in alle Rechte des Wechselinhabers ein. Für die Zeit zwischen dem Verkaufs- beziehungsweise Kauftag und dem Fälligkeitstag müssen der Bank Zinsen gezahlt werden. Diese Zinsen nennt man Diskont.
Bei der Diskontierung des Wechsels erhält der Wechselverkäufer nicht die volle Wechselsumme ausgezahlt, sondern die Wechselsumme abzüglich Diskont. Wird zum Beispiel ein Wechsel über 10000 € 90 Tage vor Fälligkeit diskontiert und der Diskontsatz beträgt 4 Prozent, so zahlt die Bank 9900 € aus. Der Diskont beträgt 100 €.
4 × 10 000 × 90 | = 100 |
100 × 360 |
Früher erhielten bestimmte Banken vom Staat das Recht, auf der Grundlage der aufgekauften Wechsel Geld in Form von Banknoten zu emittieren. Banknoten sind eine höherentwickelte Form des Kreditgeldes. „Die Banknote ist nichts als ein Wechsel auf den Bankier, zahlbar jederzeit an den Inhaber, und vom Bankier den Privatwechseln substituiert“72, schreibt Karl Marx.73
Die Formen des Bankkredits können vielfältig sein. „Der Kredit …, den der Bankier gibt, kann in verschiednen Formen gegeben werden, z. B. in Wechseln auf andre Banken, Schecks auf solche, Krediteröffnungen derselben Art, endlich, bei Banken mit Notenausgabe, in den eignen Banknoten der Bank.“74 Welche Form der Bankkredit jedoch auch haben mag, er ist immer an die Geldform gebunden. Er ist ein Gelddarlehn.
Der Bankkredit hat gegenüber dem kommerziellen Kredit bedeutende Vorteile, weil er dessen Grenzen überwindet. Da er zum Beispiel nicht an die Warenform gebunden ist, kann er allen fungierenden Kapitalisten gewährt werden, unabhängig davon, welche Waren sie produzieren und welche sie benötigen. Seine Höhe wird auch nicht durch die Größe des Warenkapitals des fungierenden Kapitalisten begrenzt. Wenngleich für die meisten Bankkredite Sicherheiten gefordert werden, so sind sie dennoch für viele fungierende Kapitalisten relativ unbegrenzt.
Der Bankkredit beschränkt sich nicht auf den kurzfristigen Kredit, sondern erweitert sich zum mittel- und langfristigen Kredit. Bankkredite mit einer Laufzeit bis zu zehn Jahren sind heute eine normale Erscheinung geworden. Der Bankkredit kann vor allem für die Erweiterung oder Erneuerung des konstanten fixen Kapitals verwandt werden. Er hat daher für die erweiterte Reproduktion größte Bedeutung.
Die Grundlage des mittel- und langfristigen Bankkredits ist aber nicht der kommerzielle Kredit und dessen Instrument, der Wechsel, sondern das in der Funktion als Geldhandlungskapitalist gesammelte und freigesetzte Geld der Banken.
Indem die Banken das Geschäft des Kassierens und Zahlens, die Kontenführung der Industrie- und Handelskapitalisten übernehmen, konzentrieren sie in Form von Depositen – Einlagen – Zirkulations- und Zahlungsmittelreserven. Es wird zur allgemein üblichen Geschäftsform, daß die Industrie- und Handelskapitalisten bei den Banken Konten einrichten und alles in ihrem Besitz befindliche Geld deponieren. Dadurch, daß dies alle tun, erfolgen die Zahlungen innerhalb der Banken von Konto zu Konto, das heißt, es wird dazu überhaupt kein bares Geld gebraucht. Die Banken verrechnen die Forderungen und Zahlungen miteinander. Dadurch aber wird das auf den Konten eingezahlte Geld frei, obwohl es die Grundlage der Zahlungen und Verrechnungen ist, und steht den Banken wie eigenes Geld zur Verfügung. Es verwandelt sich in Leihkapital der Banken. Welche gewaltigen Summen durch die Kassiererfunktion der Banken freigesetzt werden, zeigen deren Bilanzen. Das von den Industrie- und Handelskapitalisten deponierte Geld fließt aus dem Verkauf der Waren und aus verschiedenen anderen Quellen.
Die Kontinuität des Kreislaufs des industriellen Kapitals erfordert, daß gesetzmäßig Geld zeitweilig und vorübergehend frei ist.75 So wird zum Beispiel der Wert des konstanten fixen Kapitals sukzessiv auf das neue Produkt übertragen. Dementsprechend fließen dessen Wertbestandteile stückweise in die Geldform zurück. Bis zum Ersatz des verschlissenen konstanten fixen Kapitals muß das zurückfließende Geld gesammelt werden. Es bildet sich ein Amortisationsfonds, der sich als vorübergehend freies Geldkapital zunächst nicht verwertet, sondern der brachliegt.
Aus dem Kreislauf des industriellen Kapitals folgt ferner, daß der zur Akkumulation vorgesehene Teil des Mehrwerts eine Zeitlang in Geldform angesammelt werden muß, bis er jene Größe erreicht hat, die zur erweiterten Reproduktion notwendig ist. In dieser Zeit ist auch dieses Geld vorübergehend frei.
Aus dem Kreislauf des Zirkulationskapitals wird durch das zeitliche Auseinanderfallen des Verkaufs der Waren und des Einkaufs der Produktionsmittel ebenfalls vorübergehend Geldkapital freigesetzt.
Schließlich erfolgt eine vorübergehende Freisetzung von Geldkapital dadurch, daß der Verkauf der Waren und die Bezahlung des Arbeitslohnes zeitlich nicht zusammenfallen.
Freies Geld existiert im Kapitalismus darüber hinaus auch bei der Bevölkerung, die es weder in der Industrie noch im Handwerk oder im Handel anwendet. Die Spareinlagen, die Depositen der verschiedenen Schichten der Bevölkerung, angefangen von Teilen des Profits der Kapitalisten bis zu den kleinen Ersparnissen von Arbeitern, erweisen sich als solch vorübergehend freies Geld. Die Spareinlagen der Bevölkerung sind heute zu einer wichtigen Quelle des Leihkapitals geworden.
Da jedoch im Kapitalismus das Geld immer potentielles Kapital ist, zur Produktion und Realisierung von Mehrwert eingesetzt werden kann, so würde es dem ökonomischen Grundgesetz des Kapitalismus widersprechen, wenn es brachliegen bliebe und nicht verwertet würde. Dies um so mehr, als der Kredit selbst ein Mittel des Konkurrenzkampfes ist und die Nachfrage nach freiem Geld zur Akkumulation wächst.
Auf diese Weise wird das bei den Banken liegende vorübergehend freie Geldkapital zu Leihkapital oder zinstragendem Kapital. Entsprechend den unterschiedlichen Grundlagen, auf denen die beiden Hauptformen des kapitalistischen Kredits beruhen – der Warenform für den kommerziellen Kredit und der Geldform für den Bankkredit –, unterscheiden sich auch ihre Bewegungen voneinander. Während, wie bereits erwähnt, die Bewegung und Entwicklung des kommerziellen Kredits unmittelbar mit der Entwicklung des fungierenden Kapitals verbunden ist, parallel zu dessen Entwicklung verläuft, so ist die Bewegung des Bankkredits hiervon unterschieden. Der Bankkredit dient dem fungierenden Kapitalisten vor allem zur Erweiterung der Produktion. Insofern bewegt er sich ebenfalls parallel zum fungierenden Kapital. Das muß jedoch nicht so sein.
Die Vermehrung des Bankkredits braucht sich durchaus nicht in einem Wachstum des fungierenden Kapitals, im Wachstum der Warenproduktion widerzuspiegeln; denn der Bankkredit kann auch für andere Zwecke verwendet werden, zum Beispiel zur Tilgung von Schulden. Die Divergenz in der Entwicklung von Bankkredit und fungierendem Kapital wird um so größer, je mehr der Bankkredit vom Staat in Anspruch genommen wird.
Diese unterschiedliche Bewegung des Bankkredits gegenüber dem kommerziellen Kredit ist deshalb möglich, weil sich beim Bankkredit das Leihkapital vom fungierenden Kapital getrennt hat, nicht mehr unmittelbar mit ihm verbunden ist. Da der Bankkredit einerseits zur Erweiterung der Produktion und andererseits zur Tilgung von Schulden dient, ist zwischen Kapitalkredit und Geldkredit zu unterscheiden.
Nur in der Form des Kapitalkredits wird das ausgeliehene vorübergehend freie Geld tatsächlich in fungierendes Kapital verwandelt. In dieser Form dient der Kredit der Erweiterung des Produktions- und Ausbeutungsprozesses über die Grenzen des eigenen Kapitals hinaus, woran die fungierenden Kapitalisten besonders interessiert sind, zumal mit der Entwicklung der Produktivkräfte und der Erhöhung der organischen Zusammensetzung des Kapitals das Kapitalminimum eines Unternehmens und der Umfang der Akkumulation absolut und relativ zunehmen und sich der Konkurrenzkampf immer mehr verschärft. Dadurch hat der Geldkredit zur Tilgung von Schulden seine Bedeutung nicht verloren. Die Kreditaufnahme zur Vergrößerung der Akkumulation des Kapitals ist zur allgemein üblichen Geschäftsform geworden. Und in der Krise wird die Abhängigkeit der Kapitalisten von der Gewährung oder Nichtgewährung dieses Kredits offensichtlich.
Friedrich Engels hat hervorgehoben, daß beim Bankkredit nicht jeder Vorschuß, den der Bankier seinem Kunden gibt, Geldkapital ist, sondern daß zwischen dem Vorschuß als Kapital und dem als Geld zu unterscheiden ist. Er differenzierte in der Auseinandersetzung mit falschen Auffassungen, jeder Vorschuß der Bank sei Kapital, wie folgt:
- Wenn die Bank ihrem Kunden eine Anleihe ohne Sicherheiten gewährt, so erhält er eine Wertsumme von bestimmter Größe vorgeschossen, die sein bisher angewandtes Kapital vergrößert. Der Vorschuß erfolgt in Geldform, ist hier jedoch zugleich Geldkapital.
- Erhält der Bankkunde einen Vorschuß gegen Verpfändung von Wertpapieren usw., „so ist es Vorschuß in dem Sinn, daß ihm Geld gezahlt worden ist unter Vorbehalt der Rückzahlung. Aber nicht Vorschuß von Kapital. Denn die Wertpapiere repräsentieren auch Kapital, und zwar einen höheren Betrag als der Vorschuß.“76 In diesem Fall erhält er kein zusätzliches Kapital. Er verpfändet die Wertpapiere nicht, weil er Kapital braucht, sondern weil er Geld braucht. In diesem Fall liegt also Vorschuß von Geld und nicht von Kapital vor.
- „Wird der Vorschuß geleistet gegen Diskonto von Wechseln, so verschwindet auch die Form des Vorschusses.“77 Es liegt reiner Kauf und Verkauf vor. Der Wechsel geht in das Eigentum der Banken, das Geld in die Hand des Kunden. Es erfolgt keine Rückzahlung. Von einem Vorschuß von Kapital kann keine Rede sein. Es ist nur Übertragung von Kapital wie jede Kapitalübertragung beim Kauf und Verkauf zwischen Händlern.