Handelskapital und Handelsprofit
Leihkapital und Zins

3.2
Das Buch- oder Giralgeld

Die bedeutende Entwicklung der Produktivkräfte, die Konzentration und Zentralisation des Kapitals, die daraus hervorgehende Massenproduktion von Waren, nicht nur von Konsumgütern, sondern vor allem von Produktionsmitteln, dehnte in bedeutendem Umfang die Warenzirkulation und damit den Geldumlauf aus. Wir sahen schon, wie sich mit dem Kreditgeld eine spezifische Geldzirkulation des Kapitals entwickelte. Gleichzeitig entstand und entwickelte sich auch das Buch- oder Giralgeld oder, anders ausgedrückt, neben dem Bargeldverkehr entwickelte sich der bargeldlose Verkehr. Das Buch- oder Giralgeld beziehungsweise der bargeldlose Verkehr beruht darauf, daß die industriellen und Handelskapitalisten als Kontoinhaber bei den Banken auf der Grundlage ihrer Depositen ihre Zahlungsverpflichtungen durch Zahlungsanweisung an die Bank verrechnen. Die Banken buchen in diesem Falle lediglich den angewiesenen Betrag von einem Konto auf das andere, ohne das Geld als Metallgeld, Papiergeld oder Banknoten in Bewegung zu setzen.

Auf diese Weise werden Käufe, Verkäufe und Zahlungen getätigt, ohne daß die Masse des umlaufenden Geldes vergrößert zu werden braucht. Karl Marx bezeichnet dies mit Ökonomisierung des Geldumlaufs. Ebenso kann die Kreditgewährung als Überweisung in der Form eines Buchkredits erfolgen. „Es ist das Eigentümliche des Geldes“, weist Karl Marx nach, „daß, wo es bloß zur Saldierung von Zahlungen fungiert …, seine Zirkulation nur verschwindend ist, … ohne alle Dazwischenkunft von Geld stattfindet.“112 Das Geld fungiert in diesem Falle wie bei der Funktion als Zahlungsmittel nur als ideelles Geld – Maß der Werte und Rechengeld –, ohne die Form von Bargeld annehmen zu müssen. Die Zirkulationsakte, die bargeldlos vollzogen werden, übertreffen bei weitem die Bargeldzirkulation, denn sie umfassen den gesamten Zahlungsverkehr der Kapitalisten untereinander.

Das Bedeutsame dabei ist, daß das Buch- oder Giralgeld fiktives Geld ist, nicht nur in dem Sinne wie das Kreditgeld, die Banknoten, sondern dadurch, daß die Depositen, auf denen es beruht, nur als Buchposten existieren. Wir erwähnten schon, daß die Depositen, die die Grundlage für das Kreditgeschäft der Banken abgeben, ausgeliehen werden. Sie dienen zugleich als Grundlage des Buch- oder Giralgeldes, für den bargeldlosen Verkehr. „Die Depositen selbst“, schreibt Karl Marx, „spielen eine doppelte Rolle. Einerseits werden sie … als zinstragendes Kapital ausgeliehen und finden sich also nicht in den Kassen der Banken, sondern figurieren nur in ihren Büchern als Guthaben der Depositoren. Andrerseits fungieren sie als solche bloße Buchposten, soweit die wechselseitigen Guthaben der Depositoren durch Schecks auf ihre Depositen sich ausgleichen und gegeneinander abgeschrieben werden; wobei es ganz gleichgültig ist, ob die Depositen bei demselben Bankier liegen, so daß dieser die verschiednen Konti gegeneinander abschreibt, oder ob dies durch verschiedne Banken geschieht, die ihre Schecks gegeneinander austauschen und sich nur die Differenzen zahlen.“113 Hier handelt es sich keineswegs um einen Betrug, sondern um dem Wesen des Kapitals entsprechende ökonomische Aktionen. Dem Wesen des Kapitals aber entspricht es, jede frei werdende Geldsumme in Kapital zu verwandeln und zu verwerten, jede regelmäßige Geldeinkunft zu kapitalisieren und den Geldumlauf zu ökonomisieren, Zirkulationskosten einzusparen.

Dieses sich vervielfachende System des Kreditgeldes oder des fiktiven Geldes funktioniert, solange Produktion und Realisierung relativ reibungslos verlaufen. Aber die kapitalistische Produktionsweise bringt den Grundwiderspruch und mit ihm eine Vielzahl von Widersprüchen hervor, die zu periodischen Krisen der Produktion oder auch nur der Zirkulation führen. „Der Kredit, als ebenfalls gesellschaftliche Form des Reichtums, verdrängt das Geld und usurpiert seine Stelle. Es ist das Vertrauen in den gesellschaftlichen Charakter der Produktion, welches die Geldform der Produkte als etwas nur Verschwindendes und Ideales, als bloße Vorstellung erscheinen läßt. Aber sobald der Kredit erschüttert wird – und diese Phase tritt immer notwendig ein im Zyklus der modernen Industrie –, soll nun aller reale Reichtum wirklich und plötzlich in Geld verwandelt werden, in Gold und Silber, eine verrückte Forderung, die aber notwendig aus dem System selbst hervorwächst.“114

Der bargeldlose Verkehr ist nicht vom Bargeldverkehr, der eigentlichen Geldzirkulation, getrennt. Er mündet an vielen Stellen in den Bargeldverkehr ein, wie umgekehrt der Bargeldverkehr in den bargeldlosen Verkehr einmündet. Die Krisenmöglichkeiten werden noch dadurch verstärkt, daß der kommerzielle und Bankkredit auch ein Feld der Spekulation und des Betrugs ist. Es werden ungedeckte Finanzwechsel in Umlauf gesetzt, sogenannte Gefälligkeitswechsel ausgeschrieben, die bei der geringsten Schwierigkeit „platzen“ und eine Kettenreaktion auslösen können.