1.2
Die Verwandlung der Arbeitskraft in eine Ware.
Die ursprüngliche Akkumulation des Kapitals
Die Arbeitskraft, die die Fähigkeit hat, Wert und Mehrwert zu schaffen, muß als Ware auf dem Markt vorgefunden werden. Kapitalistische Produktion, das heißt Produktion von Mehrwert, setzt die Verwandlung der Arbeitskraft in eine Ware voraus. Die unmittelbaren Produzenten müssen sich in Lohnarbeiter und die Produktions- und Konsumtionsmittel müssen sich in Kapital verwandeln. Produktionsmittel und Geld müssen sich in den Händen der Kapitalisten befinden.
Kapitalistische Produktion setzt also die Scheidung der unmittelbaren Produzenten vom Eigentum an den Produktionsmitteln sowie die Konzentration dieser Produktionsmittel als Privateigentum der Kapitalisten voraus. Den historischen gesellschaftlichen Prozeß der Trennung der unmittelbaren Produzenten und Kleineigentümer von den Produktionsmitteln und der Akkumulation von Reichtum bei den sich herausbildenden Kapitalisten bezeichnet Marx als ursprüngliche Akkumulation des Kapitals.11
Die Voraussetzungen der kapitalistischen Produktionsweise entwickelten sich auf der Grundlage des Wirkens objektiver ökonomischer Gesetze und Widersprüche der einfachen Warenproduktion und der Warenzirkulation, insbesondere des Wertgesetzes und der Konkurrenz.12 Doch diese gesellschaftlichen Prozesse vollzogen sich nur langsam und entsprachen nicht den Bedürfnissen des sich entwickelnden Kapitals. Das Entstehen der kapitalistischen Produktionsweise wurde durch brutale Gewalt beschleunigt. Die feudale Ausbeutung verwandelte sich in die kapitalistische Ausbeutung. Dabei spielte die massenhafte Enteignung der Bauern eine wichtige Rolle. Die Geschichte dieser Expropriation, schreibt Marx, „ist in die Annalen der Menschheit eingeschrieben mit Zügen von Blut und Feuer“13.
In klassischer Form vollzog sich die ursprüngliche Akkumulation in England. Dort rissen die Landlords die bäuerlichen Gemeindeländereien an sich und vertrieben die Bauern von Grund und Boden. Die Gutsbesitzer verwandelten dieses Ackerland in Schafweiden, um die Rohstoffzufuhr der aufkommenden Textilindustrie zu sichern. Große Menschenmassen, plötzlich und gewaltsam ihrer Existenzmittel beraubt, traten als Proletarier auf dem Arbeitsmarkt auf. Die Enteignung der unmittelbaren Produzenten, hauptsächlich der Bauern, setzte nicht nur Arbeitskräfte und Produktionsmittel für das industrielle Kapital frei, sondern erzeugte gleichzeitig auch einen inneren Markt.
Dieser Scheidungsprozeß war von der Akkumulation des Reichtums in den Händen der sich herausbildenden Kapitalisten begleitet. Marx nennt als Methoden zur Bildung größerer Kapitale in der ursprünglichen Akkumulation in England am Ende des 17. Jahrhunderts das Kolonialsystem, das Staatsschuldensystem, das moderne Steuersystem und das Protektionssystem. Diese Methoden beruhen auf brutalster Gewalt. „Alle aber benutzten die Staatsmacht“, hebt Marx hervor, „die konzentrierte und organisierte Gewalt der Gesellschaft, um den Verwandlungsprozeß der feudalen in die kapitalistische Produktionsweise treibhausmäßig zu fördern und die Übergänge abzukürzen.“14
Das Proletariat wurde durch grausame Gesetze in die kapitalistische Produktionsweise gezwungen. In ganz Westeuropa herrschte die „Blutgesetzgebung“ gegen die Enteigneten. Die Vorfahren der jetzigen Arbeiterklasse wurden als „freiwillige“ Verbrecher behandelt, wie Marx schreibt. Allein unter Heinrich VIII. (im 16. Jahrhundert) wurden 72.000 von ihnen hingerichtet.
Die Entstehung der Klasse der Lohnarbeiter auf der einen Seite und der Klasse der Kapitalisten auf der anderen Seite war also alles andere als ein harmonischer und idyllischer Vorgang, wie das die bürgerlichen Ökonomen darstellen. Schon in der Geburtszeit des Kapitalismus herrschte Gewalt und Unmenschlichkeit. Schon in der Vorgeschichte bildeten sich die Grundlagen des unüberbrückbaren Widerspruchs und des unversöhnlichen Kampfes zwischen der Arbeiterklasse und der Bouirgeoisie heraus, die sich im Verlauf der kapitalistischen Entwicklung vertieften und schließlich zur Ablösung des Kapitalismus durch den Sozialismus führen.
Die ursprüngliche Akkumulation des Kapitals, die in England Ende des 15. und Anfang des 16. Jahrhunderts einsetzte, erstreckte sich über einen langen Zeitraum und vollzog sich in den einzelnen Ländern zu unterschiedlichen Zeiten.
Mit der Verwandlung der Arbeitskraft in eine Ware herrscht die Warenproduktion allgemein. Die kapitalistische verdrängt die einfache Warenproduktion, die im Kapitalismus zwar weiter existiert, aber vollständig untergeordnet wurde. Mit der historischen Entwicklung der kapitalistischen Produktionsweise vollzog sich die Ablösung der Naturalwirtschaft durch die kapitalistische Warenwirtschaft. „Unter Kapitalismus ist das Entwicklungsstadium der Warenproduktion zu verstehen“, schreibt Lenin, „in dem bereits nicht nur die Produkte menschlicher Arbeit zur Ware werden, sondern auch die Arbeitskraft des Menschen selbst.“15
Um nun die Frage nach der Entstehung des Mehrwerts und der kapitalistischen Ausbeutung beantworten zu können, muß die Ware Arbeitskraft näher untersucht werden.