Kapital und Mehrwert

2.3
Rate und Masse des Mehrwerts

Das Ergebnis des Produktionsprozesses sind Waren, die dem Kapitalisten aufgrund seines Eigentums an den Produktionsmitteln gehören.

Das vorgeschossene Geldkapital, das während der Produktion als produktives Kapital fungierte, hat nun die Form von Warenkapital (W) angenommen. Nach dem Verkauf der produzierten Waren erhält der Kapitalist sein ursprüngliches Kapital in voller Höhe zurück sowie einen zusätzlichen Betrag, den Mehrwert.

Wie bereits dargestellt wurde, wird der Mehrwert in der Mehrarbeitszeit produziert, während der Wert der Ware Arbeitskraft in der notwendigen Arbeitszeit reproduziert beziehungsweise das Äquivalent für seinen Arbeitslohn, für das variable Kapital, produziert wird (unter der Voraussetzung, daß der volle Wert der Arbeitskraft bezahlt wird). Der Mehrwert ist seinem Wesen nach unbezahlte Arbeit, die sich der Kapitalist aneignet. Aneignung der Ergebnisse fremder Arbeit - das ist Ausbeutung. Der Ausbeutungsgrad wird dadurch gekennzeichnet, wie lange der Lohnarbeiter für sich arbeitet und wie lange er für den Kapitalisten arbeitet, das heißt, wie das Verhältnis der Mehrarbeitszeit zur notwendigen Arbeitszeit ist. Da sich die Mehrarbeit oder Mehrarbeitszeit zur notwendigen Arbeit oder notwendigen Arbeitszeit wie der Mehrwert zum variablen Kapital verhält, läßt sich der Ausbeutungsgrad in diesem Wertverhältnis des Mehrwerts zum variablen Kapital exakt ausdrücken und messen. Dieses Verhältnis bezeichnete Marx als Mehrwertrate (m’). Die Formel der Mehrwertrate lautet

m' =  m
v

Die notwendige Arbeitszeit und die Mehrarbeitszeit werden nicht zeitlich nacheinander geleistet. In einer Polemik gegen den englischen Ökonomen Senior wies Marx nach, daß in jeder Zeiteinheit des gesamten Arbeitstages notwendige Arbeit und Mehrarbeit geleistet wird, daß gleichzeitig sowohl durch die konkrete Arbeit alter Wert übertragen als auch durch die abstrakte Arbeit neuer Wert, Neuwert (v + m), geschaffen wird. Daher findet in jeder Zeiteinheit kapitalistische Ausbeutung statt.32

Beträgt zum Beispiel der Tageslohn eines Arbeiters 30 Mark und der während eines vollen Arbeitstages produzierte Mehrwert 90 Mark33, dann folgt daraus, daß er bei achtstündigem Arbeitstag zwei Stunden arbeitet, um einen Wertbetrag in Höhe seines Lohnes zu schaffen, während er in den anderen sechs Stunden Mehrwert produziert.

Dann beträgt die Mehrwertrate

m' =  90 * 100  = 300%
30

oder

m' =  6 * 100  = 300%
2

Die Mehrwertrate kennzeichnet also den Ausbeutungsgrad der Arbeiterklasse und bringt unmittelbar den antagonistischen Klassengegensatz zwischen Kapital und Arbeit zum Ausdruck.

Marx errechnete im „Kapital“ die Mehrwertrate einer englischen Spinnerei im Jahre 1871 in Höhe von 15311/13 Prozent. Die Mehrwertrate eines englischen Agrarkapitalisten im Jahre 1815 errechnete er mit etwas mehr als 100 Prozent.34 In den hochentwickelten kapitalistischen Ländern beträgt die Mehrwertrate gegenwärtig das Vier- bis Sechsfache. In der Großindustrie der BRD hatte sie 1969 rund 435 Prozent erreicht.35 Das bedeutet, daß ein westdeutscher Arbeiter täglich etwa sechseinhalb Stunden für die Monopolkapitalisten und nur etwa anderthalb Stunden für sich arbeitet. Obwohl eine Steigerung der Mehrwertrate die Erhöhung der Ausbeutung und die Verschärfung des Widerspruchs zwischen Kapital und Arbeit deutlich beweist, ist sie doch nicht die einzige Kennziffer für die Ausbeutung. „Obgleich exakter Ausdruck für den Exploitationsgrad der Arbeitskraft, ist die Rate des Mehrwerts kein Ausdruck für die absolute Größe der Exploitation. Zum Beispiel wenn die notwendige Arbeit = 5 Stunden und die Mehrarbeit = 5 Stunden, ist der Exploitationsgrad = 100 %. Die Größe der Exploitation ist hier gemessen durch 5 Stunden. Ist dagegen die notwendige Arbeit = 6 Stunden und die Mehrarbeit = 6 Stunden, so bleibt der Exploitationsgrad von 100% unverändert, während die Größe der Exploitation um 20% wächst, von 5 auf 6 Stunden.“36 Die Mehrwertmasse hängt von zwei Faktoren ab: a) von der Höhe des Ausbeutungsgrades des einzelnen Lohnarbeiters, von der Höhe der Mehrwertrate, und b) vom Volumen des vorgeschossenen variablen Kapitals beziehungsweise von der Anzahl und der Arbeitszeit der ausgebeuteten Lohnarbeiter. „Die Masse des produzierten Mehrwerts ist gleich der Größe des vorgeschoßnen variablen Kapitals multipliziert mit der Rate des Mehrwerts oder ist bestimmt durch das zusammengesetzte Verhältnis zwischen der Anzahl der von demselben Kapitalisten gleichzeitig exploitierten Arbeitskräfte und dem Exploitationsgrad der einzelnen Arbeitskraft.“37

Die Masse des Mehrwerts (M) kann mit Hilfe der Formel M = m’ * V ermittelt werden, wobei V das gesamte vorgeschossene variable Kapital bedeutet. Die Mehrwertmasse entwickelt sich in der Regel schneller als die Mehrwertrate. Das hängt mit der zunehmenden Zahl der durch das Kapital ausgebeuteten Arbeitskräfte, mit der steigenden Arbeitsintensität und anderen Faktoren zusammen.38