Kapital und Mehrwert

2.4
Der marxistische Kapitalbegriff

Das Kapital bildet das grundlegende Produktionsverhältnis, mit dem alle ökonomischen Gesetze und Widersprüche der kapitalistischen Produktionsweise verbunden sind. Der marxistische Kapitalbegriff erfaßt das Wesen, die Grundeigenschaften des Kapitalismus, die für beide Entwicklungsstadien (den Kapitalismus der freien Konkurrenz und den monopolistischen Kapitalismus) charakteristisch sind.

Das Kapital ist keine ewige Erscheinung. Es ist eine historische Kategorie, das heißt, es entstand gesetzmäßig in einer bestimmten historischen Entwicklungsetappe der Gesellschaft und wird mit objektiver Notwendigkeit durch eine höhere Gesellschaftsformation abgelöst. „Die Natur produziert nicht auf der einen Seite Geld- oder Warenbesitzer und auf der andren bloße Besitzer der eignen Arbeitskräfte“, schreibt Marx. „Dies Verhältnis ist kein naturgeschichtliches und ebensowenig ein gesellschaftliches, das allen Geschichtsperioden gemein wäre. Es ist offenbar selbst das Resultat einer vorhergegangenen historischen Entwicklung, das Produkt vieler ökonomischen Umwälzungen, des Untergangs einer ganzen Reihe älterer Formationen der gesellschaftlichen Produktion.“39

Die Ökonomen vor Marx betrachteten das Kapital so, wie es an der Oberfläche in Erscheinung tritt. „In dem ersten Stein, den der Wilde auf die Bestie wirft, die er verfolgt, in dem ersten Stock, den er ergreift, um die Frucht niederzuziehn, die er nicht mit den Händen fassen kann, sehn wir die Aneignung eines Artikels zum Zweck der Erwerbung eines andren und entdecken so - den Ursprung des Kapitals.“40 Das schrieb der englische Ökonom R. Torrens, der von 1780 bis 1864 lebte. Nach dieser Auffassung hat es schon immer Kapital gegeben und wird es immer Kapital geben, denn die menschliche Produktion begann mit der Produktion von Produktionsmitteln, vor allem von Produktionsinstrumenten, und solange die menschliche Gesellschaft Produktionsmittel produziert, müßte es Kapital geben. Demnach gäbe es den Kapitalismus als eine besondere historische Produktions- und Ausbeutungsweise überhaupt nicht.

Durch die Ausarbeitung der Mehrwerttheorie und ihre allseitige wissenschaftliche Begründung konnte Karl Marx das Wesen des Kapitals erfassen. Nach Marx ist das Kapital „sich selbst verwertender Wert“41, ein Wertverhältnis und damit ein gesellschaftliches Verhältnis. Es stellt einen Wert dar, der sich durch den Austausch mit der lebendigen Arbeitskraft des freien Lohnarbeiters ständig erhält und vermehrt. Marx bezeichnet in diesem Zusammenhang das Kapital treffend als „verstorbne Arbeit, die sich nur vampyrmäßig belebt durch Einsaugung lebendiger Arbeit und um so mehr lebt, je mehr sie davon einsaugt.“42 Er charakterisiert das Kapital als selbständige gesellschaftliche Macht, als die Macht eines Teils der Gesellschaft, der sich erhält und vermehrt durch den Austausch gegen die lebendige Arbeitskraft. „Die Existenz einer Klasse, die nichts besitzt als die Arbeitsfähigkeit, ist eine notwendige Voraussetzung des Kapitals. Die Herrschaft der aufgehäuften, vergangenen, vergegenständlichten Arbeit über die unmittelbare, lebendige Arbeit macht die aufgehäufte Arbeit erst zum Kapital.“43 Der marxistische Kapitalbegriff erfaßt dieses gesellschaftliche Verhältnis: Kapital ist ein gesellschaftliches Verhältnis der Kapitalisten zu den Lohnarbeitern, der Kapitalistenklasse zur Arbeiterklasse. Produktionsmittel, Waren und Geld sind an sich kein Kapital.44 Das Geld, das der Arbeiter als Lohn erhält, die Produktionsmittel, über die der einfache Warenproduzent verfügt, sowie die von ihm produzierten Waren sind ebenfalls kein Kapital. Kapital ist keine natürliche Eigenschaft irgendwelcher Dinge. Geld, Produktionsmittel und Waren verwandeln sich nur unter ganz bestimmten gesellschaftlichen Bedingungen in Kapital, wenn sie von einer bestimmten Klasse, der Kapitalistenklasse, monopolisiert und zur Ausbeutung einer anderen Klasse, der Arbeiterklasse, benutzt werden.

„Aber das Kapital ist kein Ding, sondern ein bestimmtes, gesellschaftliches, einer bestimmten historischen Gesellschaftsformation angehöriges Produktionsverhältnis, das sich an einem Ding darstellt und diesem Ding einen spezifischen gesellschaftlichen Charakter gibt. Das Kapital ist nicht die Summe der materiellen und produzierten Produktionsmittel. Das Kapital, das sind die in Kapital verwandelten Produktionsmittel, die an sich so wenig Kapital sind, wie Gold oder Silber an sich Geld ist. Es sind die von einem bestimmten Teil der Gesellschaft monopolisierten Produktionsmittel, die der lebendigen Arbeitskraft gegenüber verselbständigten Produkte und Betätigungsbedingungen eben dieser Arbeitskraft, die durch diesen Gegensatz im Kapital personifiziert werden.“45 Als gesellschaftliches Verhältnis ist das Kapital daher zugleich auch ein Machtverhältnis. Die verselbständigten Produkte und Betätigungsbedingungen verwandeln sich im Kapitalismus in Machtinstrumente, die die Lohnarbeiter zwingen, Mehrarbeit zu leisten und Mehrwert zu schaffen.

Das Kapital ist ferner als prozessierender Wert aufzufassen, das heißt, das Kapital ist nicht irgendeine ruhende Masse von Geld, Produktionsmitteln oder Waren. Das Lebenselement des Kapitals ist die Bewegung, nicht der Zustand der Ruhe. Es bewegt sich ständig in einem Kreislauf. Im Prozeß dieses Kreislaufs verändert das Kapital seine Formen. Sein Ausgangspunkt ist stets die Geldform (G). Es streift sie ab und nimmt die Form des produktiven Kapitals (P) an, um darauf in die Form des Warenkapitals (W) überzugehen und schließlich, vermehrt um den Mehrwert, wieder in Geldform (G’) in die Hände des Kapitalisten zurückzukehren. Nur in diesem ständigen Kreislauf kann sich das Kapital verwerten und damit Kapital sein und bleiben.

Die bürgerlichen und sozialdemokratischen Ökonomen betrachten das Kapital zumeist als etwas Stoffliches, als Geld, Produktionsmittel oder Waren schlechthin und nicht als historisch-gesellschaftliche Kategorie, die mit dem Kapitalismus entsteht und wieder verschwindet. Der westdeutsche Ökonom Alexander Görner zum Beispiel behauptet, daß das Kapital als ökonomische Kategorie alle jene Güter umfasse, „die wir als Produktivkapital bezeichnen“46. Bei Görner sind die Produktionsmittel Kapital. Eugen Schmalenbach benutzt einen bis zur Absurdität erweiterten Kapitalbegriff, denn er rechnet „die Kohlen, die Kartoffeln, das Eingemachte, auch das selbst Eingemachte im Keller“, zum Kapital.47

An dieser Kapitaldefinition wird das ideologische Ziel der bürgerlichen politischen Ökonomen sichtbar. Sie versuchen, den Ausbeutungscharakter des Kapitals zu bestreiten und zu leugnen, daß der Kapitalismus eine historische Produktionsweise ist, die notwendigerweise im Ergebnis des Klassenkampfes zwischen Arbeiterklasse und Bourgeoisie durch den Sozialismus abgelöst wird.