3.2
Die Produktion des relativen Mehrwerts.
Der Zusammenhang von absolutem
und relativem Mehrwert
Beim relativen Mehrwert handelt es sich um eine grundsätzlich andere Art und Weise der Verlängerung der Mehrarbeitszeit und damit der Produktion eines höheren Mehrwerts. Bei der Untersuchung der Produktion des relativen Mehrwerts wird vorausgesetzt, daß der Arbeitstag unverändert bleibt oder verkürzt wird. Unter dieser Voraussetzung kann die Mehrarbeitszeit nur auf Kosten der notwendigen Arbeitszeit wachsen. Diese notwendige Arbeitszeit kann aber nur verkürzt werden, wenn zur Produktion der für die Arbeiterklasse erforderlichen Existenzmittel weniger Zeit gebraucht wird, wenn also die Arbeitsproduktivität steigt. Sie muß vor allem in solchen Wirtschaftsbereichen erhöht werden, die unmittelbar Konsumgüter für die Arbeiterklasse herstellen, aber auch in den Bereichen, die Produktionsmittel zur Produktion von Konsumtionsmitteln produzieren.
Das Kapital „muß die technischen und gesellschaftlichen Bedingungen des Arbeitsprozesses, also die Produktionsweise selbst umwälzen, um die Produktivkraft der Arbeit zu erhöhn, durch die Erhöhung der Produktivkraft der Arbeit den Wert der Arbeitskraft zu senken und so den zur Reproduktion dieses Werts notwendigen Teil des Arbeitstags zu verkürzen“71. Der wissenschaftlich-technische Fortschritt, die Revolutionierung der Produktionsmethoden werden zur Bedingung für die Steigerung der Mehrwertproduktion. Hierin zeigt sich deutlich der prinzipielle Unterschied zwischen der Produktion des relativen und des absoluten Mehrwerts. „Die Produktion des absoluten Mehrwerts“, schreibt Marx, „dreht sich nur um die Länge des Arbeitstags; die Produktion des relativen Mehrwerts revolutioniert durch und durch die technischen Prozesse der Arbeit und die gesellschaftlichen Gruppierungen.“72 Die Steigerung der Arbeitsproduktivität führt so auch zur Senkung des Wertes der Arbeitskraft. Die notwendige Arbeitszeit wird zugunsten der Mehrarbeitszeit verringert. Es kann relativer Mehrwert produziert werden. Mehrwertrate und Mehrwertmasse steigen.
Im Konkurrenzkampf geht es darum, das Kapital so hoch wie möglich zu verwerten. Deshalb verbessern die Unternehmer ihre technischen und technologischen Produktionsbedingungen. Sie erzielen dabei relativen Mehrwert in Form des Extramehrwerts.
Der Extramehrwert entsteht als Differenz zwischen dem gesellschaftlichen und dem „individuellen“ Wert der kapitalistisch produzierten Waren. Jeder einzelne Kapitalist ist darum bemüht,den Mehrwert in seinem eigenen Betrieb zu erhöhen. Er führt deshalb technische, organisatorische und sonstige Erneuerungen ein, die er aus Gründen der Konkurrenz vor den anderen Kapitalisten geheimzuhalten sucht. Dadurch erzielt er eine höhere Arbeitsproduktivität als die anderen Betriebe des betreffenden Wirtschaftsbereichs. Der Arbeitsaufwand pro Produkt sinkt unter den gesellschaftlichen Durchschnitt. Die Wertgröße - und damit auch der Preis der Ware - wird jedoch nicht durch den individuellen Arbeitsaufwand, sondern durch den gesellschaftlich durchschnittlichen Arbeitsaufwand bestimmt. Diejenigen Kapitalisten, die unter diesem Durchschnitt produzieren, realisieren beim Verkauf ihrer Ware einen höheren Mehrwert als die übrigen Kapitalisten. Sie realisieren dann einen Extramehrwert.
Der Extramehrwert ist jedoch nur eine zeitweilige Erscheinung. Früher oder später werden die technischen und sonstigen Erneuerungen auch in den Konkurrenzbetrieben eingeführt. Die Arbeitsproduktivität steigt allgemein, der gesellschaftlich notwendige Arbeitsaufwand für die betreffende Ware sinkt, und damit sinkt auch ihr Wert. Der niedrigere Arbeitsaufwand pro Ware wird nun zum gesellschaftlichen Durchschnitt und bestimmt die Wertgröße. Konkurrenz- und Kostenvorteile verschwinden und damit der Extramehrwert - bis erneut wieder einzelne Unternehmen ihre individuelle Arbeitsproduktivität über den allgemeinen Durchschnitt erhöhen und so fort.
Dieser Wirkungsmechanismus des Konkurrenzkampfes - das Wertgesetz macht sich für alle Kapitalisten ebenfalls als Zwangsgesetz der Konkurrenz bemerkbar -, durch den ständig für einzelne Kapitalisten ein Extramehrwert entsteht und wieder verschwindet, hat einige allgemeine Resultate: Die zunächst isoliert voneinander und gegeneinander entwickelten Neuerungen werden allgemein verbreitet. Widerspruchsvoll setzt sich der technische Fortschritt durch - als Mittel zum Zweck der Mehrwertsteigerung. Es kommt zur Erhöhung der Arbeitsproduktivität auch in solchen Bereichen, die Konsumgüter für die Arbeiterklasse herstellen. Damit sinkt die notwendige Arbeitszeit beziehungsweise der Wert der Ware Arbeitskraft, und es verlängert sich die Mehrarbeitszeit, wie bereits dargestellt wurde. Die allgemeine Folge des technischen Fortschritts im Kapitalismus ist somit die Erhöhung der Mehrwertrate und Mehrwertmasse durch die Produktion des relativen Mehrwerts, ist die Erhöhung der Ausbeutung der Arbeiterklasse.
Die Jagd nach immer größerem Mehrwert, nach Extramehrwert - die konkrete Triebkraft für jeden einzelnen Kapitalisten -, führt zur Entwicklung der Technik, zur widerspruchsvollen, vielfach einseitigen und verzerrten Entwicklung der Produktivkräfte. Technische und sonstige Neuerungen werden nur vorgenommen, wenn es sich rentiert, wenn höherer Mehrwert zu erwarten ist.
Neue Maschinenanlagen und Ausrüstungen, rationellere Produktionsverfahren usw. dienen der verstärkten Ausbeutung der Arbeiterklasse. Das Kapital verhält sich dabei brutal und rücksichtslos gegenüber Leben, Arbeitsfähigkeit und Gesundheit der Hauptproduktivkraft, der Arbeiterklasse, und der anderen werktätigen Bevölkerung. Die trennenden Eigentumsverhältnisse, das damit verbundene objektive Streben nach steigender Mehrwertproduktion (und -akkumulation) zwingen ferner die Kapitalisten dazu, Neuentwicklungen der Technik, der Arbeitsorganisation aus Konkurrenzgründen geheimzuhalten.
Daraus ergibt sich eine weitere Hemmung, eine Schranke der Entwicklung der Produktivkräfte im Kapitalismus. Diese Erscheinungen gewannen in der Niedergangsphase des Kapitalismus, im Imperialismus, enorm an Ausmaß und Bedeutung.
Marx weist im 14. Kapitel des ersten Bandes des „Kapitals“ auf die Einheit von absolutem und relativem Mehrwert hin. Einerseits kann alle Arbeitszeit über die notwendige Arbeitszeit hinaus als Mehrarbeitszeit und aller Mehrwert, der in dieser steigenden Mehrarbeitszeit entsteht, als absoluter Mehrwert angesehen werden. Andererseits kann aller Mehrwert als relativer Mehrwert aufgefaßt werden, denn eine bestimmte Steigerung der Arbeitsproduktivität ist überhaupt die Voraussetzung dafür, daß die notwendige Arbeitszeit auf einen Teil des Gesamtarbeitstages beschränkt ist. In diesem Sinne wird in der gesamten Mehrarbeitszeit, die über die (sinkende) notwendige Arbeitszeit hinaus geleistet wird, relativer Mehrwert produziert.
Die Möglichkeiten und Methoden zur Produktion und Erhöhung des Mehrwerts unterscheiden sich zwar voneinander, aber das Wesen der Ausbeutung wird in beiden Fällen dadurch charakterisiert, daß sich aufgrund der kapitalistischen Eigentumsverhältnisse die Kapitalistenklasse und die Arbeiterklasse unversöhnlich gegenüberstehen. Absoluter und relativer Mehrwert drücken sowohl dieses antagonistische Klassenverhältnis als auch das bestehende Ausbeutungs- und Unterdrückungsverhältnis der Lohnarbeit durch das Kapital aus. Beide Formen des Mehrwerts drücken aus, daß die Arbeiterklasse Objekt der Ausbeutung ist.
Aus der Tatsache, daß der Produktion des relativen Mehrwerts die Steigerung der Arbeitsproduktivität zugrunde liegt und diese wieder auf dem wissenschaftlich-technischen Fortschritt beruht, leiteten bürgerliche Ökonomen die Theorie ab, daß nicht die Arbeitskraft der Arbeiter, sondern die Produktionsmittel, „das Kapital“, die Quelle des Mehrwerts sind.
Diese Auffassung wird von der sogenannten Produktionsfaktorentheorie vertreten, mit der sich schon Karl Marx gegen den französischen Vulgärökonomen J. B. Say auseinandersetzte. Dieser behauptete, daß die Arbeit den Lohn, das Kapital den Profit und der Boden die Grundrente hervorbringen würde. Unter Kapital werden, wie wir schon feststellten, die Produktionsmittel verstanden.
Die Produktionsmittel, insbesondere die Arbeitsmittel, sind ein wesentliches Element zur Steigerung der Arbeitsproduktivität. Der Wirkungsgrad der Arbeit bezieht sich aber immer nur auf den Gebrauchswert - es werden mehr Gebrauchswerte erzeugt.73 „Produktivkraft ist natürlich stets Produktivkraft nützlicher, konkreter Arbeit, und bestimmt in der Tat nur den Wirkungsgrad zweckmäßiger produktiver Tätigkeit in gegebnem Zeitraum. Die nützliche Arbeit wird daher reichere oder dürftigere Produktenquelle im direkten Verhältnis zum Steigen oder Fallen ihrer Produktivkraft. Dagegen trifft ein Wechsel der Produktivkraft die im Wert dargestellte Arbeit an und für sich gar nicht … Dieselbe Arbeit ergibt daher in denselben Zeiträumen stets dieselbe Wertgröße, wie immer die Produktivkraft wechsle.“74
Die mit Hilfe der Maschinen gesteigerte Arbeitsproduktivität bewirkt die Senkung des Wertes der einzelnen Waren. Die durch die Steigerung der Arbeitsproduktivität mit gleichem Arbeitsaufwand vergrößerte Menge der Waren verkörpert den gleichen Wert. Der Wert der einzelnen Ware sinkt dadurch. Nicht die Produktionsmittel, die Maschinen, erzeugen den Mehrwert, sondern die Arbeit der Arbeiter, deren Wirkungsgrad durch die sachlichen Produktionsbedingungen erhöht wird.75
Die „Produktionsfaktorentheorie“ leugnet die Arbeit als alleinige Quelle des Wertes und Mehrwerts zu dem Zweck, die kapitalistische Ausbeutung zu bestreiten und zu verschleiern.