Kapital und Mehrwert

3.3.3.1
Maschinerie und große Industrie

Im Stadium der Maschinerie und großen Industrie erreichten die Vergesellschaftung der Produktion, die Steigerung der Produktivkraft der Arbeit, die Unterordnung der Arbeit unter das Kapital und der Widerspruch zwischen dem gesellschaftlichen Charakter der Produktion und der kapitalistischen Aneignung ihre volle Entfaltung. Dieser Prozeß wird durch eine Reihe qualitativ neuer Züge dieses historischen Stadiums der Entwicklung der Arbeitsproduktivität gegenüber der Phase der kapitalistischen Manufaktur gekennzeichnet. „Die Umwälzung der Produktionsweise nimmt in der Manufaktur die Arbeitskraft zum Ausgangspunkt, in der großen Industrie das Arbeitsmittel“97, stellt Marx fest.

Wesentlich ist, daß sich in der Manufakturphase die technische Grundlage der großen Industrie herausbildete. Die vereinzelte Anwendung von Maschinen, die durch Handarbeit hergestellt wurden, brachte noch nicht die große Industrie hervor. Erst die Produktion von Maschinen durch Maschinen bewirkte diesen Durchbruch. „Die große Industrie mußte sich also ihres charakterlichen Produktionsmittels, der Maschinen selbst, bemächtigen und Maschinen durch Maschinen produzieren. So erst schuf sie ihre adäquate technische Unterlage und stellte sich auf ihre eignen Füße.“98 Die Maschinerie in ihrer entwickelten Gestalt als Maschinensystem ist eine Produktivkraft, die von vornherein nur gesellschaftlich angewendet werden kann. Sie wurde das Instrument der vergesellschafteten Arbeit. Die Manufaktur verwandelte sich in die Fabrik.

Der jetzt erreichte Grad der Vergesellschaftung der Produktion beseitigte alle noch vorhandenen vorkapitalistischen Merkmale, mit denen die kapitalistischen Eigentums- und Aneignungsverhältnisse bisher noch behaftet waren: In den Anfängen war die maschinelle Produktion in ihrer gesamten gesellschaftlichen Organisation noch vom Geschick und der Fertigkeit der einzelnen Arbeiter abhängig, die die Teilprozesse mit ihrem Handwerkszeug durchführten. Das subjektive Prinzip der Arbeitsteilung lag der maschinellen Produktion zugrunde. Marx hebt in diesem Sinne hervor, daß die große Industrie in ihrer ganzen Entwicklung gelähmt war, „solange ihr charakteristisches Produktionsmittel, die Maschine selbst, persönlicher Kraft und persönlichem Geschick seine Existenz verdankte, also abhing von der Muskelentwicklung, der Schärfe des Blicks und der Virtuosität der Hand, womit der Teilarbeiter in der Manufaktur und der Handwerker außerhalb derselben ihr Zwerginstrument führten“99.

Dieser Zustand wurde überwunden. Die Organisation des gesellschaftlichen Produktionsprozesses änderte sich grundsätzlich: Durch die Anwendung des Maschinensystems entstand ein objektiver Produktionsorganismus, „den der Arbeiter als fertige materielle Produktionsbedingung“100 vorfand. Der sich in der Manufaktur entwickelnde Prozeß der Verwandlung des einzelnen Arbeiters zum Glied eines gesellschaftlichen Gesamtarbeiters erfuhr in der großen Industrie seine volle Entfaltung. „Das Produkt verwandelt sich überhaupt aus dem unmittelbaren Produkt des individuellen Produzenten in ein gesellschaftliches, in das gemeinsame Produkt eines Gesamtarbeiters, d. h. eines kombinierten Arbeitspersonals, dessen Glieder der Handhabung des Arbeitsgegenstandes näher oder ferner stehn.“101

Dadurch erhielt der Begriff der produktiven Arbeit und des produktiven Arbeiters seine spezifische kapitalistische Bestimmung. Einerseits erweitert sich der Begriff durch die Verwandlung des Lohnarbeiters aus einem individuellen Produzenten in das Organ eines Gesamtarbeiters. Produktive Arbeit leisten alle, die an der Erzeugung des Produkts unmittelbar oder mittelbar beteiligt sind. „Um produktiv zu arbeiten, ist es nun nicht mehr nötig, selbst Hand anzulegen; es genügt, Organ des Gesamtarbeiters zu sein … .“102 Andererseits verengt sich der Begriff der produktiven Arbeit und des produktiven Arbeiters. Der Begriff der produktiven Arbeit schließt unter kapitalistischen Bedingungen nicht nur die nützliche Tätigkeit und ihr Produkt ein, sondern das Produkt muß Mehrwert verkörpern. „Nur der Arbeiter ist produktiv, der Mehrwert für den Kapitalisten produziert oder zur Selbstverwertung des Kapitals dient.“103 Produktiver Arbeiter im Kapitalismus zu sein, sagt Karl Marx, ist kein Glück, sondern ein Pech. Mit der Frage der produktiven und unproduktiven Arbeit beschäftigt sich Karl Marx ausführlich in seinen „Theorien über den Mehrwert“.

Damit wurde hinsichtlich der Entfaltung der kapitalistischen Eigentums- und Aneignungsverhältnisse die endgültige Spaltung der verschiedenen an der Produktion beteiligten Gruppen vollzogen. Es kam zu einem vollständigen Bruch mit den für die vorkapitalistische Warenproduktion typischen Traditionen, zu einem völligen „,Umbruch’ aller alten, eingewurzelten Verhältnisse, deren ökonomische Basis die Kleinproduktion gewesen war“104. Typisch wurden die endgültige Verdrängung der Kleinbetriebe, die Konzentration der Produktion und der Bevölkerung durch vergleichsweise kolossale Unternehmen, die endgültige Scheidung der Industrie von der Landwirtschaft, die Produktion für einen großen nationalen und internationalen Markt, die Entwicklung enger kommerzieller Verbindungen der verschiedenen Bereiche und Territorien eines Landes und mit anderen Ländern. Damit waren der Beginn und die relativ rasche Entfaltung der systematischen Anwendung von Ergebnissen der Wissenschaft in der Produktion und die nun auch relativ schnelle Entwicklung der Produktionsmethoden, die Organisation der Produktion nach rationellen Prinzipien, verbunden.

All das führte im Hinblick auf die Entfaltung des kapitalistischen Grundwiderspruchs grundsätzlich dazu, daß „die Extreme der gesellschaftlichen Gegensätze … die höchste Entwicklung“105 erreichen: Der kapitalistische Grundwiderspruch bildete sich in der Phase der maschinellen Großindustrie voll heraus und trat als antagonistischer Gegensatz zwischen Arbeiterklasse und Bourgeoisie offen zutage.

Bis dahin gab es noch keine großen Kapitalien und auch keine breiten Proletarierschichten. Durch Beseitigung der Kleinbetriebe verwandelten sich die Industrieorte, in denen die Mehrzahl aller Einwohner aus Lohnarbeitern bestand, in die eigentliche industrielle Basis der nationalen Produktion. Typisch wurde der massenhafte Ruin der Kleinproduzenten. Durch diesen Proletarisierungsprozeß wurden die Klassengegensätze vereinfacht, denn in der Phase der maschinellen Großproduktion spaltete sich die ganze Gesellschaft „mehr und mehr in zwei große feindliche Lager, in zwei große einander direkt gegenüberstehende Klassen: Bourgeoisie und Proletariat“106.

Mit der endgültigen Scheidung der Industrie von der Landwirtschaft vollzog sich die endgültige Trennung der „Fabrikarbeiter“ vom Boden. Die maschinelle Großproduktion brachte die Lohnarbeit sowohl in der Landwirtschaft als auch in der Industrie hervor. Gerade dadurch entstanden die Grundvoraussetzungen dafür, daß die Lohnarbeiter in Industrie und Landwirtschaft in ihrer Klassenlage einander angenähert wurden.

Typisch wurde eine starke Tendenz zur Konzentration der Arbeitermassen in den technisch fortgeschrittensten Betrieben der industriellen Produktion. Die Fabrik schuf geradezu eine „Klasse ständiger Fabrikarbeiter“. Es bildeten sich die für das Proletariat im Gegensatz zur Bourgeoisie typischen Merkmale der allgemeine Daseins- und Lebensweise voll heraus:

  • „Einreihung aller Mitglieder der Arbeiterfamilie, ohne Unterschied von Geschlecht und Alter, unter die unmittelbare Botmäßigkeit des Kapitals.“107 Das geschah durch die massenhafte Einbeziehung von Frauen- und Kinderarbeit in den Produktionsprozeß.
  • Maßlose Verlängerung des Arbeitstages, da die Anwendung der Maschinerie um so profitabler ist, je mehr der Arbeitstag ausgedehnt wird.
  • Entstehung einer relativ überflüssigen Arbeiterbevölkerung, die sich fortan als notwendige Existenzbedingung kapitalistischer Produktion erweist.
  • Im Hinblick auf die volle Entfaltung der Mehrwertproduktion ist besonders die Entstehung der Tendenz wichtig, daß sich „alle Lebenszeit des Arbeiters und seiner Familie in disponible Arbeitszeit für die Verwertung des Kapitals“ verwandelte.108
  • Die Phase der Maschinerie bewirkt, daß die Intensität der Arbeit im Produktionsprozeß ihre naturwüchsige Grundlage weitgehend verlor. Dadurch, daß die Arbeiter dem Rhythmus der Maschinerie vollkommen unterworfen wurden, nahm sie nicht nur enorm zu, sondern erreichte auch eine qualitativ neue Stufe in ihrer Entwicklung.

Des weiteren vollzog sich eine Tendenz zur Gleichmachung oder Nivellierung aller Arbeiter. Es entstanden Grundmerkmale der beruflich-sozialen Struktur der Arbeiterklasse: Innerhalb des Proletariats bildete sich die Gruppe jener Arbeiter heraus, die die entscheidenden Produktionsmittel unmittelbar bedienten, ferner die Gruppe der „bloßen Handlanger“ und eine kleine Gruppe von Arbeitern, die die Kontrolle, Reparatur und Wartung der sachlichen Produktionsbedingungen zu verantworten hat.109 „Diese Arbeiter, die sich stückweis verkaufen müssen, sind eine Ware wie jeder andere Handelsartikel“, und ihre „Arbeit hat durch die Ausdehnung der Maschinerie und die Teilung der Arbeit allen selbständigen Charakter und damit allen Reiz für den Arbeiter verloren.“110 Die Arbeiter wurden in lebendige Anhängsel der Maschinerie verwandelt.

Die Entfremdung von der eigenen Arbeit wurde zum charakteristischen Merkmal der Tätigkeit des Proletariats. „In Manufaktur und Handwerk bedient sich der Arbeiter des Werkzeugs, in der Fabrik dient er der Maschine … Selbst die Erleichterung der Arbeit wird zum Mittel der Tortur, indem die Maschine nicht den Arbeiter von der Arbeit befreit, sondern seine Arbeit vom Inhalt. Aller kapitalistischen Produktion, soweit sie nicht nur Arbeitsprozeß, sondern zugleich Verwertungsprozeß des Kapitals, ist es gemeinsam, daß nicht der Arbeiter die Arbeitsbedingung, sondern umgekehrt die Arbeitsbedingung den Arbeiter anwendet, aber erst mit der Maschinerie erhält diese Verkehrung technisch handgreifliche Wirklichkeit. Durch seine Verwandlung in einen Automaten tritt das Arbeitsmittel während des Arbeitsprozesses selbst dem Arbeiter als Kapital gegenüber, als tote Arbeit, welche die lebendige Arbeitskraft beherrscht und aussaugt. Die Scheidung der geistigen Potenzen des Produktionsprozesses von der Handarbeit und die Verwandlung derselben in Mächte des Kapitals über die Arbeit vollendet sich, wie bereits früher angedeutet, in der auf Grundlage der Maschinerie aufgebauten großen Industrie.“111 Wie die kapitalistische einfache Kooperation und die Manufaktur als Produktivkräfte des Kapitals erscheinen, weil sie erst durch das Kapital zustande kommen und vor der Unterordnung der Arbeiter unter das Kapital nicht existieren, so auch die Produktivkraft Maschinerie. Das ist eine der Ursachen, warum bürgerliche Ökonomen und auch sogenannte Linke der Auffassung sind, daß nicht die Arbeitskraft der Arbeiter, sondern die Maschinen, Wissenschaft und Technik den Mehrwert produzieren.

Typisch für die große Industrie war vor allem anderen die „Entstehung einer kasernenmäßigen Disziplin, die sich zum vollständigen Fabrikregime ausbildet“112. Gerade durch die Zusammendrängung der Arbeitermassen in der Fabrik, durch die enorme Erhöhung der Regelmäßigkeit, Ordnung, Kontinuität und Energie der Arbeit, gerade dadurch, daß die Arbeiter soldatisch organisiert werden, entstehen mit der vollen Herausbildung der kapitalistischen Klassenverhältnisse auch alle jene revolutionären persönlichkeitsbildenden Eigenschaften des Proletariats, die es als Klasse historisch in die Lage versetzen, die kapitalistische Ordnung zu stürzen und die sozialistische Produktionsweise zu errichten.

In untrennbarem Zusammenhang mit diesen Merkmalen der Lage der Arbeiterklasse und ihren revolutionären Potenzen, die sich in der Phase der maschinellen Großindustrie herausbildeten, entfalteten sich die Eigentums- und Klassenverhältnisse der nun voll entwickelten kapitalistischen Produktionsweise. Der Bourgeoisie stand das Proletariat gegenüber, die Klasse, mit der sich die Bourgeoisie einerseits die Bedingungen ihrer eigenen Existenz schuf, andererseits aber auch die Kraft, die historisch berufen ist, den Untergang der kapitalistischen Produktionsweise herbeizuführen.

Bürgerliche Ökonomen nehmen die Entwicklung von Großindustrie und Technik zum Anlaß, um den heutigen Kapitalismus mit klassenindifferenten Begriffen zu charakterisieren und eine generelle Entwicklung des Kapitalismus zur „Industriegesellschaft“ zu prophezeien, die revolutionäre Rolle der Arbeiterklasse zu leugnen. Die amerikanischen Futurologen Kahn und Wiener und andere behaupten zum Beispiel, nach dem zweiten Weltkrieg habe sich in den USA, in Japan und in Westeuropa eine „Industriegesellschaft“ herausgebildet, die unter anderem durch einen hohen Verbrauch an Energie und Rohstoffen sowie durch die weite Verbreitung dauerhafter Konsumgüter gekennzeichnet sei.

Die bürgerlichen Vertreter der Theorie der „Industriegesellschaft“ möchten durch einseitige Hervorhebung derartiger Erscheinungen den wahren Charakter des kapitalistischen Systems und die sich objektiv entwickelnden Bedingungen seiner revolutionären Überwindung durch die Arbeiterklasse verhüllen. Die kapitalistische Gesellschaftsordnung soll vor allem nicht als ein System erscheinen, für das schrankenlose Ausbeutung der Arbeiterklasse, Reaktion nach innen und Aggressivität nach außen, sondern ein hoher Industrialisierungsgrad und fortschrittliche Technik charakteristisch sind. Sie behaupten, daß die Existenzunsicherheit, Kriege und Aggressionen unvermeidliche „Schattenseiten“ der „Industriegesellschaft“ seien, und verfälschen das Wesen der imperialistischen Eigentums- und Machtverhältnisse. Bei diesen „Theorien“ wird die Entwicklung der Gesellschaft ausschließlich von der Entwicklung der Produktivkräfte bestimmt und die entscheidende Rolle der Produktionsverhältnisse bewußt außer acht gelassen.

Mit einer derartigen Konzeption soll vor allem auch der Sozialismus als der marxistisch-leninistischen Gesellschaftsprognose verleumdet, eine Alternative zu dieser geschaffen und der Einfluß des Marxismus-Leninismus auf das Denken der Menschen in den kapitalistischen Ländern geschwächt werden.

Die kapitalistische Praxis beweist das Gegenteil. Die Wesenszüge des Kapitalismus - Produktion von Mehrwert durch wachsende Ausbeutung der Arbeiterklasse auf der Basis der kapitalistischen Eigentums- und Machtverhältnisse - bildeten sich im Verlauf der historischen Entwicklung des Kapitalismus immer breiter und tiefer heraus. Wie bereits gesagt wurde, waren Stadien der Entwicklung der Produktivkräfte und der Arbeitsproduktivität zugleich auch Stadien der Produktion von Mehrwert und einer wachsenden Ausbeutung der Arbeiterklasse.