Kapital und Mehrwert

4.2
Wesen und Erscheinungsformen des
kapitalistischen Eigentums an den Produktionsmitteln.
Die beiden Hauptklassen im Kapitalismus

Das Eigentum der Kapitalisten an den Produktionsmitteln und das Nichteigentum der Arbeiter, die nur über ihre Arbeitskraft verfügen, bilden die Grundlage für das Ausbeutungsverhältnis zwischen beiden Hauptklassen im Kapitalismus. Aus diesen Eigentums- und Ausbeutungsverhältnissen ergeben sich die antagonistischen Beziehungen zwischen der Kapitalistenklasse und der Klasse der Lohnarbeiter. Aus diesen Eigentumsverhältnissen resultieren letztlich alle antagonistischen Widersprüche des Kapitalismus.

In der einfachen Warenproduktion ist das Eigentum an den Produktionsmitteln seinem Charakter nach selbsterarbeitetes Eigentum. Es stammt nicht aus der Ausbeutung einer anderen Klasse. Hier bilden Arbeit und Eigentum eine Einheit, Produktions- und Aneignungsweise entsprechen sich.

Im Kapitalismus ändert sich der Charakter des Eigentums an den Produktionsmitteln wesentlich. Hier ist es Ausbeutereigentum. Das Kapitaleigentum drückt das Ausbeutungsverhältnis zwischen Kapitalisten und Lohnarbeitern aus. Es ist Grundlage der Ausbeutung der Arbeiterklasse durch die Kapitalistenklasse. Die entscheidenden Produktionsmittel sind Eigentum der Kapitalistenklasse, einer Minderheit in der kapitalistischen Gesellschaft, deren Anteil an der Gesamtbevölkerung abnimmt und die nicht gezwungen ist, zu arbeiten. Dagegen sind gegenwärtig 80 Prozent und mehr der Bevölkerung, die die Masse der unmittelbaren Produzenten, der Lohnarbeiter, bildet, vom Eigentum an den Produktionsmitteln getrennt. Die gesamte kapitalistische Produktionsweise beruht darauf, daß die herrschende Kapitalistenklasse das Eigentumsmonopol, das Monopol auf das Eigentum an den Produktionsmitteln, ausübt. Marx betont, daß „das Monopol des Kapitals allein den Kapitalisten befähigt, vom Arbeiter Surplusarbeit abzupressen“129. Im Kapitalismus, in der kapitalistischen Warenproduktion, sind also Arbeit und Eigentum getrennt. Produktions- und Aneignungsweise widersprechen sich.

Der Charakter der Eigentumsverhältnisse bestimmt die Verhältnisse in der Produktion, in der Distribution, in der Zirkulation und in der Konsumtion. Bei den kapitalistischen Eigentumsverhältnissen geht es um die Beziehungen von Menschen, von Klassen in bezug auf Dinge. Beim kapitalistischen Eigentum geht es um die Verhältnisse zwischen den beiden Hauptklassen in bezug auf die sachlichen Produktionsbedingungen, in bezug auf Arbeitsmittel und Arbeitsgegenstände aller Art (Maschinen, Fabrikgebäude, Transportanlagen, Rohmaterialien usw.). Ferner geht es um die Zusammenführung dieser sachlichen mit den persönlichen Faktoren, den Lohnarbeitern, die im kapitalistischen Produktionsprozeß unter dem Kommando des Kapitalisten erfolgt. Marx weist darauf hin, daß „die besondre Art und Weise, worin diese Verbindung bewerkstelligt wird, … die verschiednen ökonomischen Epochen der Gesellschaftsstruktur“ unterscheidet.130 Und schließlich geht es, was aus beidem folgt, um die Verfügungsgewalt des kapitalistischen Unternehmers über das Arbeitsprodukt, über die produzierten Waren.

Im Gegensatz zum sozialistischen Eigentum an den Produktionsmitteln, das die objektive Grundlage für gemeinsame Interessen der sozialistischen Gesellschaft bildet, ruft das kapitalistische Eigentum entgegengesetzte Interessen hervor. Klassenharmonie und -annäherung, gemeinsame oder sich annähernde Interessen sind objektiv unmöglich. Ein Annäherungsprozeß zwischen den beiden Grundklassen des Kapitalismus kann sich auf der Basis dieser antagonistischen Eigentumsverhältnisse nicht vollziehen. Das kapitalistische Eigentum an den Produktionsmitteln bildet die Grundlage der Ausbeutung, der Aneignung der Mehrarbeit des Lohnarbeiters durch den Kapitalisten. Das Kapitaleigentum bedeutet Produktion und Aneignung von Mehrwert.131 Dabei setzt das Kapital die Lohnarbeit und die Lohnarbeit das Kapital voraus. Beide Klassen sind aufeinander angewiesen und voneinander abhängig. „Kapital und Lohnarbeit sind zwei Seiten eines und desselben Verhältnisses. Die eine bedingt die andere …“132 Dieses Eigentumsverhältnis wird, solange es existiert, also nicht durch Interessenharmonie, sondern durch antagonistische Klasseninteressen gekennzeichnet. Die Marxsche Analyse des Wesens des Kapitaleigentums, des wahren Charakters der Beziehungen zwischen Kapitalisten und Lohnarbeitern, behält volle Gültigkeit, solange diese Verhältnisse bestehenbleiben.

Veränderungen der Erscheinungsformen des kapitalistischen Eigentums an den Produktionsmitteln und damit zusammenhängende Wandlungen der Formen der kapitalistischen Ausbeutung ändern nichts am Wesen der kapitalistischen Eigentums- und Ausbeutungsverhältnisse.

In den einzelnen Entwicklungsetappen des Kapitalismus nahm das kapitalistische Eigentum an den Produktionsmitteln verschiedene Erschei-nungsformen an. Der vormonopolistische Kapitalismus wird durch das privatkapitalistische Eigentum von einzelnen Kapitalisten charakterisiert. Marx untersucht im ersten Band des „Kapitals“ dieses Kapitaleigentum in der Industrie.

In widerspruchsvoller Wechselwirkung mit den Produktivkräften (technischer Fortschritt, zunehmende Vergesellschaftung der Produktion, beträchtliche Ausdehnung der Stufenleiter der Produktion usw.) entwickelten sich die kapitalistischen Eigentumsverhältnisse weiter. Neben der eben genannten Form entstand Produktionsmitteleigentum von Kapitalistengruppen. Das Kapitalverhältnis dehnte sich aus. Die Ausdehnung der kapitalistischen Ausbeutung ermöglichte eine Weiterentwicklung der Produktivkräfte. Durch die Herausbildung des „Gesellschaftskapitals“ wurden die zu eng gewordenen Schranken des Privatkapitals - im Rahmen der kapitalistischen Produktionsweise - durchbrochen.133 Die Herausbildung dieses Gesellschaftskapitals, dieses kapitalistischen Gruppeneigentums (besonders als Aktiengesellschaften), ist eng mit dem Entstehen der Eigentumsform verbunden, die den Imperialismus kennzeichnet - dem monopolkapitalistischen Eigentum an den Produktionsmitteln. Das monopolkapitalistische Eigentum ist die gegenwärtig dominierende Erscheinungsform des kapitalistischen Eigentums an den Produktionsmitteln in den imperialistischen Ländern.134 Neben diesen Erscheinungsformen des kapitalistischen Eigentums an den Produktionsmitteln existiert eine weitere Form des Kapitaleigentums: das staatliche kapitalistische Eigentum. In ganzen Industriezweigen (zum Beispiel in der Kohleindustrie Großbritanniens) und Wirtschaftsbereichen (zum Beispiel im Eisenbahnverkehrs- und Nachrichtenwesen der BRD) gab es zeitweise fast ausschließlich staatliches Eigentum.135

Allen Erscheinungsformen des Kapitaleigentums an den Produktionsmitteln ist jedoch, entgegen vielfältigen Entstellungen bürgerlicher Ökonomen, gemeinsam, daß sie seit ihrer Entstehung bis heute auf der Ausbeutung von Lohnarbeit, auf der Trennung von Arbeit und Eigentum beruhen. Alle Formen sind ihrem Wesen nach privatkapitalistisches Eigentum, das in direktem Gegensatz zum gesellschaftlichen sozialistischen Eigentum steht. Bei allen kapitalistischen Eigentumsformen handelt es sich um Produktionsmitteleigentum in den Händen einer verschwindend kleinen Minderheit von Ausbeutern, während die überwiegende Mehrheit der Bevölkerung vom Eigentum getrennt ist. Auch das staatliche kapitalistische Eigentum, die staatlichen Unternehmungen in der Industrie, im Verkehrswesen usw., sind in den kapitalistischen und imperialistischen Ländern mit Hilfe des Staates in der Verfügungsgewalt der Kapitalistenklasse beziehungsweise der mächtigsten Monopole. Dieses staatliche Kapitaleigentum bildet nicht, wie bürgerliche, reformistische oder revisionistische Vertreter aller Schattierungen behaupten, irgendein gemeinsames „Volkseigentum“ oder etwa gar eine Keimform sozialistischen Eigentums.

Die kapitalistischen Eigentumsverhältnisse sind nicht irgendwelche gesellschaftlichen Verhältnisse, sondern die entscheidenden! Diese Eigentumsverhältnisse - das soll noch einmal betont werden - sind die objektiven Grundlagen der kapitalistischen Ausbeutung. Aus ihnen resultieren die antagonistischen Klassengegensätze des Kapitalismus. Die Konzentration des Kapitals auf die in einem der folgenden KKK-Bände ausführlich eingegangen wird, ist mit einer Ausdehnung der Kapitalmacht und einer Polarisierung der Klassen verbunden. Die Eigentumsfrage ist eine Grundfrage der Arbeiterbewegung. Die historische Aufgabe der Arbeiterklasse besteht vor allem darin, die Eigentumsverhältnisse und die damit verbundenen ökonomischen und politischen Machtverhältnisse des Kapitalismus revolutionär zu verändern.

Aus den kapitalistischen Eigentums- und Ausbeutungsverhältnissen resultieren die Klassen und die Klassengegensätze, aus der Konzentration dieses Käpitaleigentums die Polarisierung der Klassen. Die Existenz und die Polarisierung der beiden Hauptklassen des Kapitalismus, der Arbeiterklasse und der Bourgeoisie, werden von den bürgerlichen Ökonomen geleugnet. Es werden unter anderem ein angebliches Verschwinden der Klassengegensätze und das Entstehen einer sogenannten Mittelstandsgesellschaft propagiert. Die bürgerliche Statistik versucht, die Klassenstruktur der kapitalistischen Gesellschaft zu verschleiern.

Trotz all dieser Entstellungen und Verschleierungsversuche lassen sich jedoch in der Praxis des Kapitalismus die zunehmende Ruinierung der Mittelschichten, der fortschreitende Proletarisierungsprozeß und der Prozeß der Polarisierung der beiden Hauptklassen eindeutig feststellen. Rückschlüsse auf die Entwicklung der Klassenstruktur können aus der bürgerlichen Statistik der Erwerbstätigkeit gezogen werden. Danach wuchs der Anteil der Gruppen der sogenannten abhängigen Erwerbspersonen, das heißt derjenigen, die über keinerlei Eigentum an den Produktionsmitteln verfügen, von 70 Prozent im Jahre 1950 auf mehr als 81 Prozent der gesamten erwerbstätigen Bevölkerung im Jahre 1970. In der bürgerlichen Statistik umfaßt diese Gruppe die Arbeiter, Angestellten und Beamten, wobei zu beachten ist, daß der weit überwiegende Teil der Angestellten und Beamten zur Arbeiterklasse gerechnet werden muß. Zu Beginn unseres Jahrhunderts lag der Anteil der Arbeiter und Angestellten noch bei etwa 60 Prozent der Erwerbstätigen.

Dieser Prozeß läßt sich in allen imperialistischen Ländern feststellen. Gegenwärtig ist die Arbeiterklasse in den industriell entwickelten Ländern die größte Klasse. In den USA betrug der entsprechende Anteil 1968 bereits rund 87 und in Großbritannien sogar rund 93 Prozent. Es kommt hier jedoch weniger auf die absolute Höhe des Anteils der Arbeiterklasse an - es gibt entwickelte kapitalistische Länder, in denen der Anteil auch etwas unter 80 Prozent liegt. Wichtig ist vor allem, daß die Arbeiterklasse in allen kapitalistischen Ländern die jeweils größte und revolutionärste Klasse ist.

Die wichtigste Quelle für das Wachstum der Arbeiterklasse war der Ruin der kleinen Warenproduzenten in Stadt und Land, der Handwerker und Bauern, die ihr Eigentum an Produktionsmitteln und damit ihre Selbständigkeit, die in vielen Fällen nur noch formalen Charakter hatte, aufgeben mußten.

Die Marxschen Erkenntnisse und die daran anknüpfenden Leninschen Darstellungen über das Wesen und die Erscheinungsformen des kapitalistischen Eigentums an den Produktionsmitteln, über seine Entstehung und Entwicklung sowie über die daraus entspringenden antagonistischen Klassen und Klassengegensätze sind von großer Bedeutung für die Arbeiterklasse, für ihren Kampf zur Überwindung der kapitalistischen Eigentumsverhältnisse und der Machtverhältnisse.