2.4.
Wertgesetz und Produktionspreis
Bürgerliche Ökonomen vertreten, wie wir einleitend festgestellt haben, die Auffassung, daß Karl Marx mit seiner Theorie vom Durchschnittsprofit und Produktionspreis seine Werttheorie aufhebt. Im Nachtrag zum dritten Band des „Kapitals“ hat Friedrich Engels sich eingehend mit einem Zeitgenossen, dem italienischen bürgerlichen Ökonomen Loria, auseinandergesetzt, der unfähig war, die Marxsche Theorie vom Produktionspreis zu verstehen, und der geschrieben hatte: „,Aber sich mit einem Wert beschäftigen, zu dem die Waren weder verkauft werden noch je verkauft werden können …, das hat kein Ökonom, der eine Spur von Verstand besitzt, je getan, noch wird er es tun …’“35
Eduard Bernstein, der das Werk von Karl Marx und den Nachtrag von Friedrich Engels kannte, stellte sich nach dem Tode von Friedrich Engels an die Seite Lorias und schrieb: „In der entwickelten kapitalistischen Gesellschaft werden die Waren … nicht gemäß ihrem individuellen Werte, sondern zu ihrem Produktionspreis, das heißt dem wirklichen Kostpreis plus einer durchschnittlichen proportionellen Profitrate veräußert … Auf diese Weise verliert der Wert, soweit die einzelne Ware oder Warenkategorie in Betracht kommt, jede Meßbarkeit und wird zur rein gedanklichen Konstruktion.“36
Aber weder der Durchschnittsprofit noch der Produktionspreis sind ohne den Wert zu verstehen. Konsequenterweise lehnte Bernstein daher auch die Wert- und Mehrwerttheorie ab.
Im ersten Band des „Kapitals“ untersucht Karl Marx den Wert und das Wertgesetz, wie sie in der einfachen Warenproduktion entstehen und funktionieren. Die entscheidende Erkenntnis, zu der Karl Marx in Weiterentwicklung der klassischen englischen bürgerlichen Ökonomen kommt, ist, daß der Wert die in den Waren verkörperte gesellschaftliche Arbeit privater Produzenten ist und seine Größe durch die gesellschaftlich notwendige Arbeitszeit bestimmt wird. Wert ist also vergegenständlichte, abstrakte Arbeit. Das von Karl Marx entdeckte Wertgesetz besagt, daß der Austausch der Waren nicht durch irgend-welche subjektiven, psychologischen und andere Erwägungen bestimmt wird, sondern objektiv durch die für die Produktion und Reproduktion der Waren aufgewendete und aufzuwendende gesellschaftlich notwendige Menge an abstrakter Arbeit.
Die Gesetzmäßigkeit der Wertbildung und des Austauschs der Waren zu ihren Werten bildet auch die Grundlage für die kapitalistische Warenproduktion. Sie wird, entsprechend den im Verhältnis zur einfachen Warenproduktion veränderten gesellschaftlichen Grundlagen in der kapitalistischen Warenproduktion, nur modifiziert, jedoch nicht aufgehoben.
Die Modifikation des Wertgesetzes besteht darin, daß der Wert der Waren im Kapitalismus nicht mehr nur durch den gesellschaftlich notwendigen Arbeitsaufwand für eine Warenart bzw. in einem Produktionszweig bestimmt wird, sondern auch durch die von der allgemeinen Profitrate bewirkte Verteilung des von den Arbeitern aller Zweige erzeugten Profits auf die einzelnen Kapitale. Daher setzt sich der Wert der Waren im Kapitalismus nicht mehr aus der Summe der aufgewendeten vergegenständlichten und lebendigen Arbeit beziehungsweise aus der Summe des verbrauchten konstanten und variablen Kapitals plus Mehrwert oder Profit des Produktionszweiges zusammen, sondern aus dem verbrauchten konstanten und variablen Kapital plus dem durch die allgemeine Profitrate bestimmten Durchschnittsprofit, wodurch sich der Wert beziehungsweise der Marktwert in den Produktionspreis verwandelt.
Das Wertgesetz wirkt in Form des Gesetzes vom Produktionspreis. Diese Modifikation entstand unter dem Einfluß des Mehrwertgesetzes. Denn das Ziel der kapitalistischen Produktion ist der Mehrwert, und zwar der höchstmögliche Mehrwert, der jedoch im Konkurrenzkampf auf den Durchschnittsprofit reduziert wird, so daß der Produktionspreis als verwandelte Form des Wertes schließlich die Produktion und den Austausch reguliert.
Die Grundlage des Produktionspreises ist aber immer der Wert. In welcher Weise immer die Preise der verschiednen Waren zuerst gegeneinander festgesetzt oder geregelt sein mögen, das Wertgesetz beherrscht ihre Bewegung. Wo die zu ihrer Produktion erheischte Arbeitszeit fällt, fallen die Preise; wo sie steigt, steigen die Preise, bei sonst gleichbleibenden Umständen.
Abgesehn von der Beherrschung der Preise und der Preisbewegung durch das Wertgesetz, ist es also durchaus sachgemäß, die Werte der Waren nicht nur theoretisch, sondern historisch als das prius der Produktionspreise zu betrachten.“37
Worin besteht nun die Regulierung der Produktion durch das Wertgesetz? Sie besteht darin, daß es die Verteilung der Produktivkräfte, das heißt der Produktionsmittel und der Arbeitskraft, auf die verschiedenen Zweige der Produktion bewirkt. Die regulierende Wirkung des Wertgesetzes erfolgt aber immer erst nachträglich in Form der Konkurrenz auf dem Markt, da das Privateigentum an den Produktionsmitteln eine vorherige, planmäßige und proportionale Verteilung der Produktivkräfte auf die Produktionszweige nicht zuläßt.
Solange die Naturalwirtschaft die Hauptform der gesellschaftlichen Produktion war und die Bauern die Produkte, die sie brauchten, zum größten Teil selbst erzeugten und die Zünfte der Handwerker die Produktion unmittelbar regulierten, war die regulierende Funktion des Wertgesetzes noch begrenzt.
„Der wichtigste und einschneidendste Fortschritt war der Übergang zum Metallgeld, der aber auch die Folge hatte, daß nun die Wertbestimmung durch die Arbeitszeit nicht länger auf der Oberfläche des Warenaustausches sichtbar erschien. Das Geld wurde für die praktische Auffassung der entscheidende Wertmesser, und dies um so mehr, je mannigfaltiger die in den Handel kommenden Waren wurden, je mehr sie entlegnen Ländern entstammten, je weniger also die zu ihrer Herstellung nötige Arbeitszeit sich kontrollieren ließ …
Mit einem Wort: das Marxsche Wertgesetz gilt allgemein, soweit überhaupt ökonomische Gesetze gelten, für die ganze Periode der einfachen Warenproduktion, also bis zur Zeit, wo diese durch den Eintritt der kapitalistischen Produktionsform eine Modifikation erfährt.“38
Wie kam es zu dieser Modifikation von Wert und Wertgesetz? Die logische Entwicklung haben wir mit der Darstellung der Verwandlung des Profits in den Durchschnittsprofit und des Wertes in den Produktionspreis schon kennengelernt. Karl Marx und Friedrich Engels lieferten auch den historischen Nachweis, daß es sich hierbei nicht, wie Eduard Bernstein behauptete, um eine „rein gedankliche Konstruktion“ handelt.
Der Profit und die Profitrate existierten, wie schon festgestellt wurde, bereits vor der kapitalistischen Produktionsweise als Profit und Profitrate des Handelskapitals, das auf der einfachen Warenproduktion beruhte. „Die Profitrate des Handelskapitals war vorgefunden. Sie war auch schon, wenigstens für die betreffende Lokalität, zu einer annähernden Durchschnittsrate ausgeglichen. Was konnte nun den Kaufmann bewegen, das Extrageschäft des Verlegers auf sich zu nehmen? Nur eins: die Aussicht auf größeren Profit bei gleichem Verkaufspreis mit den andern. Und diese Aussicht hatte er. Indem er den Kleinmeister in seinen Dienst nahm, durchbrach er die hergebrachten Schranken der Produktion, innerhalb deren der Produzent sein fertiges Produkt verkaufte und nichts andres. Der kaufmännische Kapitalist kaufte die Arbeitskraft, die einstweilen noch ihr Produktionsinstrument besaß, aber schon nicht mehr den Rohstoff.“39
Diese Entwicklung vollzog sich im Kampf gegen die Zünfte, was dazu führte, daß die neue, kapitalistische Form der Produktion außerhalb der Stadtmauer errichtet wurde. „Der nächste Schritt in der Unterwerfung der Industrie unter das Kapital geschieht durch die Einführung der Manufaktur.“40
In diesem Prozeß, der sich auf der Grundlage der Wirkung des Wertes und des Wertgesetzes vollzog, spielte sich der grundlegende Wandel in der Entwicklung der Produktivkräfte und der Produktionsverhältnisse ab. Mit der Verwandlung der Kleinmeister in Lohnarbeiter, das heißt durch die Verwandlung ihrer Arbeitskraft in eine Ware, veränderte sich zunächst die Grundlage des Handelsprofits, und in dem Maße, wie sich der Handelskapitalist zum industriellen Kapitalisten entwickelte, wurde der Handelsprofit zum industriellen Profit. Der Handelsprofit hörte auf, ein Abzug vom Wert der Waren der kleinen Warenproduzenten zu sein. Seine Basis wurde der von den Lohnarbeitern erzeugte Mehrwert, der sich in dem schon dargelegten Verwandlungsprozeß in den Profit des industriellen Kapitals verwandelte. Der Handelsprofit wird, wie wir später sehen werden, zu einem Teil des industriellen Profits.41
Das Vordringen des Handelskapitals in die Produktion und die Verwandlung des Handelskapitalisten in den industriellen Kapitalisten42 bedeutet auch, daß sich der Profit in der Form des Durchschnittsprofits durchsetzte, aber eben dadurch, daß dem Bahnbrecher weitere Handelskapitalisten folgten oder Geldbesitzer sich von vornherein der Produktion zuwandten und einander Konkurrenz machten. Die Kapitalwanderung nach der profitabelsten Kapitalanlage begann also schon mit dem Handelskapital und bewirkte den Fortschritt in der Produktion.
Der Konkurrenzkampf um die profitabelste Kapitalanlage bewirkte, daß fortgeschrittene Produktivkräfte in Form der Manufaktur, dann der Maschinerie zunächst in der Leichtindustrie, besonders in der Textilindustrie, und nach und nach im Maschinenbau, Bergbau usw. angewendet wurden. Es vollzog sieh also historisch der Entwicklungsprozeß, den wir an Hand der Marxschen Lehre vom Durchschnittsprofit und Produktionspreis logisch verfolgten. Die Jagd nach dem höchstmöglichen Profit als subjektive Äußerung des objektiven Mehrwertgesetzes treibt die Entwicklung der Produktivkräfte und der Produktion voran, erhöht die organische Zusammensetzung des Kapitals, bringt den Bahnbrechern zunächst Extraprofit ein, egalisiert im Ergebnis des Konkurrenzkampfes auf dem Markt die unterschiedlichen Profitraten zur allgemeinen Profitrate und verwandelt den Wert der Waren in den Produktionspreis.
„Hat die Manufaktur schon durch Verwohlfeilerung der Produkte sich emporgeschwungen, so noch weit mehr die große Industrie, die mit ihren immer wieder erneuerten Revolutionen der Produktion die Herstellungskosten der Waren niedriger und niedriger herabdrückt und alle früheren Produktionsweisen unerbittlich beseitigt … Sie gleicht ebenfalls die Profitraten der verschiednen kaufmännischen und industriellen Geschäftszweige zu einer allgemeinen Profitrate aus und sichert endlich der Industrie den ihr gebührenden Machtposten bei dieser Ausgleichung, indem sie den größten Teil der Hindernisse beseitigt, die bisher der Übertragung von Kapital aus einem Zweig in einen andern im Wege standen. Damit vollzieht sich für den gesamten Austausch im großen die Verwandlung der Werte in Produktionspreise.“43
In dieser historischen Darstellung der Funktion des Wertes und des Wertgesetzes und ihrer Modifikation zum Produktionspreis und zum Gesetz des Produktionspreises ist schon die Funktion des Wertgesetzes beziehungsweise des Gesetzes vom Produktionspreis als Regulator der Produktion enthalten.
Die Regulierung der Proportionen der gesellschaftlichen Produktion durch das Wertgesetz geschieht nachträglich, das heißt auf dem Markt. Die Form, in der dies geschieht, ist der Konkurrenzkampf auf dem Markt, der den Wert-Preis-Mechanismus in Bewegung setzt. Indem also die Preise unter den Wert sinken oder über den Wert steigen, werden die Proportionen, in denen die Arbeitskräfte und die Produktionsmittel auf die Produktionszweige verteilt werden müssen, damit der gesellschaftliche Produktions- und Reproduktionsprozeß funktioniert, reguliert.
Die Jagd nach dem höchstmöglichen Profit und dessen Nivellierung zum Durchschnittsprofit durch den Konkurrenzkampf um die profitabelste Kapitalanlage ist zugleich die Form, in der im Kapitalismus die Verteilung der Arbeitskräfte und Produktionsmittel auf die einzelnen Produktionszweige erfolgt. „Das Kapital entzieht sich aber einer Sphäre mit niedriger Profitrate und wirft sich auf die andre, die höheren Profit abwirft. Durch diese beständige Aus- und Einwandrung, mit einem Wort, durch seine Verteilung zwischen den verschiednen Sphären, je nachdem dort die Profitrate sinkt, hier steigt, bewirkt es solches Verhältnis der Zufuhr zur Nachfrage, daß der Durchschnittsprofit in den verschiednen Produktionssphären derselbe wird und daher die Werte sich in Produktionspreise verwandeln. Diese Ausgleichung gelingt dem Kapital mehr oder minder, je höher die kapitalistische Entwicklung in einer gegebnen nationalen Gesellschaft ist: d. h. je mehr die Zustände des betreffenden Landes der kapitalistischen Produktionsweise angepaßt sind.“44
Der Produktionspreis übt zusammen mit dem Durchschnittsprofit, mit dem er unmittelbar verbunden ist, in mehrfacher Hinsicht Regulierungsfunktionen aus:
Erstens: Er reguliert das Ziel der kapitalistischen Produktionsweise, die höchstmögliche Verwertung des Kapitals, indem er gleiche Verwertungsbedingungen für sämtliche Kapitale von gleicher Größe schafft. Indem alle Kapitale um einen höchstmöglichen Profit kämpfen, bildet sich hinter ihrem Rücken spontan eine allgemeine Durchschnittsprofitrate, die, im gesellschaftlichen Durchschnitt gesehen, gleich großen Profit für gleich große Kapitale, unabhängig von ihrer organischen Zusammensetzung, bringt.
Zweitens: Durch den Produktionspreis wird der technische Fortschritt stimuliert und reguliert, weil mit Hilfe einer über dem Durchschnitt liegenden technischen Ausrüstung, die der Konkurrenzkampf erzwingt, ein über den Durchschnittsprofit hinausgehender Extraprofit erzielbar ist.
Drittens: Der Produktionspreis reguliert die Verteilung der gesellschaftlichen Produktivkräfte und der gesellschaftlichen Arbeit auf die verschiedenen Zweige der Volkswirtschaft und damit die Proportionen zwischen den einzelnen Zweigen der Volkswirtschaft, so daß eine mehr oder weniger reguläre erweiterte Reproduktion des Kapitals gewährleistet wird, die jedoch, wie wir wissen und wie wir noch zeigen werden, mit Bankrotten, Krisen und Teilkrisen verbunden ist.
Viertens: Der Produktionspreis reguliert in bestimmtem Umfang auch soziale Verhältnisse, Klassenverhältnisse. Durch die mit ihm verbundene Kapitalwanderung werden Arbeitskräfte dort unterbeschäftigt oder freigesetzt, wo das Kapital keine entsprechende Verwertung findet oder nicht mehr findet, oder die Arbeitskräfte werden dorthin geworfen, wohin das Kapital in seinem Trieb nach höchstmöglicher Verwertung wandert. Oft sind die Arbeiter gezwungen, berufsfremde und schlechter bezahlte Arbeit anzunehmen, und in den Zweigen mit relativ niedriger Profitrate versuchen die Kapitalisten, die Verwertung ihres Kapitals auf Kosten der Arbeiter durch höhere Ausbeutung, durch Druck auf die Löhne usw. zu verbessern.
Die Funktion des Wertgesetzes in Form des Durchschnittsprofits und des Produktionspreises als Regulator des gesellschaftlichen Produktions- und Reproduktionsprozesses des Kapitals setzt, wie Karl Marx hervorhob, die vollständige Handelsfreiheit im Innern der kapitalistischen Gesellschaft voraus, ebenso die Möglichkeit, die Arbeitskräfte rasch von einem Produktionszweig in den anderen umzusetzen, das heißt die Beseitigung aller Momente, die die Bewegung des Kapitals hemmen. Förderlich für die Regulatorfunktion des Produktionspreises ist das kapitalistische Kreditsystem, durch das die zur Kapitalwanderung notwendigen Kapitalmassen mobilisiert werden.45 Das letztere ist besonders deshalb wichtig, weil mit wachsendem fixem Kapital die Mobilisierung dieses festgelegten Kapitals zur Übertragung in einen andern Produktionszweig immer schwieriger wird.
Mit dem Übergang des Kapitalismus der freien Konkurrenz in den monopolistischen Kapitalismus, mit der Vorherrschaft der Monopole und mit der Herausbildung von Monopolpreisen und Monopolprofiten wird die regulierende Funktion des Wertgesetzes in Form des Produktionspreises wesentlich eingeschränkt und gehemmt. Das führt einerseits zur Verschärfung der Krisen und andererseits zu direkten Eingriffen des kapitalistischen Staates in den gesellschaftlichen Reproduktionsprozeß des Kapitals, um den Krisen zu begegnen und die Herrschaft des monopolkapitalistischen Systems zu sichern. Damit werden wir uns jedoch später, in den KKK-Bänden über den Imperialismus, beschäftigen.