Reproduktion und Zirkulation
des gesellschaftlichen Gesamtkapitals

Einleitung

Wichtige Fragen der kapitalistischen Reproduktion behandelt Marx bereits bei der Analyse des Akkumulationsprozesses des Kapitals. Die Akkumulationstheorie untersucht die Auswirkungen der kapitalistischen Reproduktion und Akkumulation auf das Kapitalverhältnis, auf die Entwicklung der Arbeiterklasse und ihrer gesamten Klassenlage. Sie begründet die historische Mission der Arbeiterklasse.1

Im ersten Band des „Kapitals“ analysiert Marx den Produktionsprozeß des Kapitals. Dabei erfaßt er das Wesen des Kapitals beziehungsweise des Kapitalverhältnisses in der Produktion und stellt die Methoden der kapitalistischen Ausbeutung dar. Im zweiten Band, in dem der Zirkulationsprozeß des Kapitals behandelt wird, untersucht Marx die Reproduktion und Zirkulation des Kapitals. Nachdem er sich mit dem Kreislauf und Umschlag des Kapitals beschäftigt hat, befaßt er sich mit dem kapitalistischen Reproduktionsprozeß als Einheit von wertmäßiger und gebrauchswertmäßiger, stofflicher Reproduktion.

Das kann nur vom Standpunkt des gesellschaftlichen Gesamtkapitals aus erfolgen, denn jedes einzelne Kapital bildet nur einen Bruchteil des gesamten Kapitals. Der Kreislauf des einzelnen Kapitals verschlingt sich mit vielen anderen Kreisläufen anderer individueller Kapitale, die sich gegenseitig voraussetzen und einander bedingen und die „gerade in dieser Verschlingung die Bewegung des gesellschaftlichen Gesamtkapitals“ bilden2. Jedes dieser Einzelkapitale produziert in der Form von Produktionsmitteln oder Konsumtionsmitteln einen Teil der gesamten Warenmasse. Dieses gesellschaftliche Gesamtprodukt muß alle Anforderungen der Produktion und Konsumtion, also der produktiven und individuellen Konsumtion, decken. Produktion und Bedarf, Angebot und Nachfrage müssen übereinstimmen, soll die gesellschaftliche Produktion als Reproduktion reibungslos funktionieren. Die gesamte gesellschaftliche Reproduktion setzt sich im Kapitalismus aber, wie gesagt, aus einer Vielzahl einzelner Reproduktionsprozesse einzelner Kapitale zusammen. Jeder kapitalistische Unternehmer produziert und akkumuliert, um im Konkurrenzkampf der Kapitalisten untereinander sowie im Kampf gegen die Arbeiter eine möglichst hohe Verwertung seines Kapitals zu erzielen. Daher verläuft der gesamtgesellschaftliche Reproduktionsprozeß im Kapitalismus spontan, anarchisch sowie letztlich auf Kosten der Arbeiterklasse und der anderen werktätigen Bevölkerung.

Die mit der kapitalistischen Entwicklung verbundene Zuspitzung des Grundwiderspruchs des Kapitalismus, des Widerspruchs zwischen dem gesellschaftlichen Charakter der Produktion und der kapitalistischen Aneignung, führt dazu, daß der gesellschaftliche Reproduktionsprozeß in wachsendem Maße widerspruchsvoll und disproportional verläuft und demzufolge mit vielfältigen Krisenerscheinungen und mit einer Vergeudung von gesellschaftlicher Arbeit verknüpft ist. Die Regulierung der immer komplizierter werdenden notwendigen Proportionen und Wachstumsrelationen zwischen Produktion, Distribution, Zirkulation und Konsumtion, zwischen Industrie, Landwirtschaft, Infrabereich und sonstigen Wirtschaftsbereichen, zwischen Waren- und Geldvolumen, zwischen Binnen- und Außenwirtschaft und anderen – die Regulierung dieser vielseitigen Beziehungen durch den Mehrwert beziehungsweise den Profit im nationalen und internationalen Konkurrenzkampf erweist sich als immer unzureichender. Die bürgerlichen Wachstumstheorien bieten keine Lösungsmöglichkeiten.

Der Kapitalismus ist prinzipiell nicht imstande, eine gesamtgesellschaftliche Leitung und Planung des Reproduktionsprozesses im Interesse des gesellschaftlichen Fortschritts hervorzubringen. Auch daran wird deutlich sichtbar, daß der Kapitalismus historisch überlebt ist und immer unfähiger wird, die mit dem wissenschaftlich-technischen Fortschritt verbundene schnelle Entwicklung der Produktivkräfte zu beherrschen.

Die Marxsche Reproduktionstheorie, die zwar unmittelbar die Reproduktion des Kapitals behandelt, vermittelt allgemeine Grundkenntnisse der Reproduktion und des wirtschaftlichen Wachstums in allen Produktionsweisen. Auf der Grundlage seiner Wert- und Mehrwerttheorie entwickelte Marx erstmalig eine wissenschaftliche Theorie der gesellschaftlichen Reproduktion. Seine Analyse des kapitalistischen Reproduktionsprozesses erfaßt vor allem die gebrauchswertmäßigen und wertmäßigen Beziehungen und Verflechtungen der vielen konkurrierenden Einzelkapitale im volkswirtschaftlichen Reproduktionsprozeß. Marx weist den kapitalistischen Charakter und die antagonistischen Widersprüche dieser besonderen historischen Form der gesellschaftlichen Reproduktion nach. Die Marxsche Reproduktionstheorie vermittelt Erkenntnisse und Konsequenzen für den Kampf der Arbeiterklasse und ihrer Verbündeten zur revolutionären Überwindung des Kapitalismus und für den Aufbau des Sozialismus und Kommunismus.