2.1
Die Abteilungen I und II
der gesellschaftlichen Produktion
Ebenso wie das gesellschaftliche Gesamtprodukt aus zwei großen Warengruppen, aus Produktions- und Konsumtionsmitteln oder W′I und W′II, besteht, so gliedert sich auch die gesellschaftliche Produktion des materiellen Bereichs in zwei Abteilungen: in die Abteilung I, die Produktionsmittel erzeugt, und in die Abteilung II, die Konsumtionsmittel produziert. Diese Einteilung in die genannten beiden Produktionsabteilungen ist die allgemeinste Untergliederung der Gesamtproduktion. Sie ist abgeleitet aus den zwei grundlegenden Formen der gesellschaftlichen Arbeitsteilung, aus den arbeitsteiligen Gruppen der Produktionsmittel- beziehungsweise Konsumtionsmittelproduzenten. Auf der Grundlage der Marxschen Einteilung lassen sich die Zweige und Bereiche der materiellen Produktion diesen beiden Abteilungen zuordnen.
Die praktische Zuordnung der gesellschaftlichen Produktion beziehungsweise von Betrieben oder Betriebsgruppen zu den beiden Abteilungen der gesellschaftlichen Produktion ist jedoch komplizierter, da zum Beispiel von Industriebetrieben der Abteilung I auch Konsumtionsmittel hergestellt werden, die also nicht zu den Erzeugnissen dieser Abteilung rechnen; umgekehrt produzieren Industriebetriebe der Abteilung II auch Produktionsmittel. In der Automobilindustrie werden zum Beispiel Autos sowohl für die produktive als auch für die individuelle und gesellschaftliche Konsumtion produziert.
Die Landwirtschaft gehört überwiegend zur Abteilung I, denn sie liefert Produktionsmittel, Rohstoffe für die Molkereien, Bäckereien, Konservenfabriken, Schlachthöfe usw. Nur ein relativ geringer Teil der landwirtschaftlichen Produkte geht unmittelbar als Konsumtionsmittel in die individuelle Konsumtion ein.
Bei der Einteilung der Industrieproduktion wird die Produktion von Produktionsmitteln auch als Abteilung A und die Produktion von Konsumtionsmitteln als Abteilung B bezeichnet.
In der bürgerlichen Ökonomie und Statistik kapitalistischer Länder werden Aufgliederungen der gesellschaftlichen Produktion vorgenommen, die jedoch vielfach unklar und unwissenschaftlich sind. So werden zum Beispiel in bestimmten Statistiken die elektronische Industrie und die Feinmechanik/Optik zu den sogenannten Investitionsgüterindustrien gerechnet. Aber in diesen Zweigen werden Produktionsmittel und Konsumtionsmittel produziert, ein großer Teil der produzierten Waren, wie Fotoapparate, Rundfunkgeräte, Glühbirnen und Brillen, geht in den privaten Verbrauch aller Bevölkerungsschichten ein.
Marxistische Untersuchungen ergaben, daß sich in den industriell entwickelten imperialistischen Ländern das gesellschaftliche Gesamtprodukt im Verhältnis von etwa zwei zu eins aufspaltet, das heißt, etwa zwei Drittel der Gesamtproduktion bestehen aus Produktionsmitteln, also aus Produkten der Abteilung I, das restliche Drittel sind Konsumtionsmittel, Produkte der Abteilung II. In den Jahren wirtschaftlichen Aufschwungs dehnt sich die Produktionsmittelproduktion aus, während sich die Konsumtionsmittelproduktion verringert. In Krisenjahren wird jedoch die Produktionsmittelproduktion stärker eingeschränkt, so daß sich der Anteil der Konsumtionsmittel an der Gesamtproduktion vergrößert. Über diese zyklischen Schwankungen im Wachstum der beiden Abteilungen setzt sich das Gesetz des vorrangigen Wachstums der Produktion von Produktionsmitteln im Kapitalismus durch.19
Die Unterscheidung in Abteilung I und Abteilung II hängt eng mit der Reproduktion der gesellschaftlichen und der materiellen Bedingungen der kapitalistischen Produktion zusammen. Die Unterscheidung in die beiden Produktionsabteilungen ist mit der Klassenspaltung der kapitalistischen Gesellschaft verbunden. Käufer der Produkte der Abteilung I, der Produktionsmittel, kann nicht die Arbeiterklasse sein, sondern nur die Kapitalistenklasse. Die Reproduktion der Abteilung I schließt daher die Erneuerung und Erweiterung der sachlichen Produktionsbedingungen als Eigentum der Kapitalisten und damit die Reproduktion der Scheidung des unmittelbaren Produzenten, des Arbeiters, von diesen Produktionsbedingungen ein. Die Reproduktion der Abteilung II schließt die Produktion der Konsumtionsmittel ein, die für die individuelle Konsumtion der Arbeiterklasse bestimmt sind. Diese individuelle Konsumtion ist aber nur ein Moment der Produktion und Reproduktion des Kapitals; denn sie bedeutet Erhaltung und Reproduktion der Arbeiterklasse, die eine beständige Bedingung für die Reproduktion des Kapitals bleibt. Die Reproduktion der Abteilung II schließt die Produktion der Konsumtionsmittel ein, die der individuellen Konsumtion der Kapitalistenklasse dienen. Die Reproduktion beider Abteilungen schließt die Reproduktion der Kapitalistenklasse ein.
Die Reproduktion und Zirkulation des gesellschaftlichen Gesamtkapitals beinhaltet also die Reproduktion der kapitalistischen Eigentums- und Klassenverhältnisse. Auf der einen Seite werden die Kapitalisten als Eigentümer der Produktionsmittel reproduziert, die die Verfügungsgewalt über die sachlichen Produktionsbedingungen besitzen und sich die Ergebnisse der Produktion aneignen, und auf der anderen Seite werden die Arbeiter als Nichteigentümer von Produktionsmitteln reproduziert, die ökonomisch gezwungen sind, ihre Arbeitskraft an die Kapitalisten zu verkaufen. Die Verbindung zwischen den sachlichen Bedingungen der Produktion, den Produktionsmitteln, und den personellen Bedingungen der Produktion, den Arbeitern, wird stets von neuem über den Austausch, über das Geld, über den Kauf und Verkauf der Ware Arbeitskraft vermittelt. Alle Phasen des kapitalistischen Reproduktionsprozesses – Produktion, Distribution, Austausch und Konsumtion – sind durch den antagonistischen Klassenwiderspruch zwischen der Kapitalistenklasse und der Arbeiterklasse charakterisiert. Demzufolge realisiert sich die Reproduktion und Zirkulation des gesellschaftlichen Gesamtkapitals nicht nur über den Konkurrenzkampf, sondern vorrangig und in erster Linie über den Klassenkampf zwischen Arbeiterklasse und Bourgeoisie.
Beide Abteilungen haben andererseits hinsichtlich der Reproduktion der materiellen Bedingungen der Produktion unterschiedliche Funktionen zu erfüllen. In der Abteilung I werden die Produktionsmittel für alle Kapitalisten der Abteilung I und II produziert. In der Abteilung II werden die Konsumtionsmittel für alle Arbeiter und Kapitalisten der Abteilung I und II produziert.20
Aber nur als Einheit, als Gesamtproduktion ist eine Reproduktion der gesellschaftlichen und materiellen Bedingungen der kapitalistischen Produktion möglich. Abteilung I und Abteilung II können deshalb nicht getrennt und unabhängig voneinander existieren. Zwischen beiden Abteilungen sind vielseitige Beziehungen und Verflechtungen notwendig. Diese Verflechtung der beiden Abteilungen vollzieht sich über den Warenaustausch, über den Kauf und Verkauf der Arbeitsprodukte. „… erforderlich ist ein Austausch zwischen der Abteilung der gesellschaftlichen Produktion, die Produktionsmittel, und der Abteilung, die Konsumtionsmittel erzeugt. Gerade in diesem Punkt steckt die ganze Schwierigkeit der Frage …“21
Die Einteilung des gesellschaftlichen Gesamtprodukts und der gesellschaftlichen Produktion in Produktions- und Konsumtionsmittel beziehungsweise in die Produktionsmittelabteilung I und in die Konsumtionsmittelabteilung II ist unbedingt notwendig, um die komplizierten Probleme der gesellschaftlichen Produktion und Reproduktion zu klären, um die Bedingungen der einfachen und der erweiterten Reproduktion im Kapitalismus zu erkennen.