Reproduktion und Zirkulation
des gesellschaftlichen Gesamtkapitals

3.2
Austauschbedingungen innerhalb der Abteilung II

Zwei der Unterabteilungen der Abteilung II liefern, wie bereits festgestellt wurde, die notwendigen Konsumtionsmittel und Luxusgüter.

Innerhalb dieser Unterabteilungen und zwischen ihnen vollziehen sich nun ebenfalls ganz bestimmte Austauschvorgänge. Der Bedarf zum Beispiel an notwendigen Konsumtionsmitteln seitens der Arbeiter dieser Unterabteilung kann direkt aus dem eigenen Warenprodukt gedeckt werden, und der dafür erforderliche Wertbetrag fließt über den Kauf dieser Konsumgüter durch die Arbeiter direkt an die Kapitalisten dieses Bereiches zurück. Dagegen muß der Bedarf an notwendigen Konsumtionsmitteln seitens der Arbeiter der Luxusindustrie durch Waren gedeckt werden, die von den anderen Zweigen der Konsumgüterproduktion angeboten werden.

Unter dem Aspekt dieser weiteren Untergliederung der Abteilung II ist die Austauschbedingung zwischen den beiden großen Produktionsabteilungen I und II zu ergänzen (auf der Grundlage der von Marx angenommenen Größen seines Schemas): Von den 2000 IIc in Konsumtionsmitteln, die gegen 2000 I (v + m) in Produktionsmitteln ausgetauscht werden, sind 1600 in Produktionsmittel für die Produktion von notwendigen Konsumtionsmitteln und 400 in Produktionsmittel für die Produktion von Luxus-Konsumtionsmitteln umzusetzen. Die 2000 I (v + m) müssen daher ihrerseits eine entsprechende Struktur aufweisen.34

Diese weitere Unterabteilung der Abteilung II bringt zum Ausdrück, daß die gesellschaftliche Produktion eine solche Stufe erreicht hat, daß nicht nur notwendige Bedürfnisse, sondern auch weitergehende Luxusbedürfnisse, wenn auch zunächst nur für eine Minderheit der Gesellschaft, entstehen und befriedigt werden.35 „Der Kampf ums Dasein“, schreibt Engels, „wenn wir diese Kategorie für einen Augenblick hier gelten lassen wollen, verwandelt sich also in einen Kampf um Genüsse, um nicht mehr bloße Existenzmittel, sondern um Entwicklungsmittel, gesellschaftlich produzierte Entwicklungsmittel …“36

Eine Erweiterung des Umfangs und eine Veränderung der Struktur der Konsumtion der Arbeiterklasse im Kapitalismus ist nur über den Klassenkampf erreichbar. Nur so kann das Wachstum der konsumtiven Bedürfnisse der Arbeiterklasse auch im Kapitalismus von einem tatsächlichen Wachstum ihrer Konsumtion begleitet sein. Besonders während wirtschaftlicher Konjunkturen gelingt es der Arbeiterklasse, den Kreis der erreichbaren Konsumgüter zu erweitern. Entscheidend bleibt jedoch, daß im Kapitalismus die Konsumtion der Arbeiterklasse die Produktion und Reproduktion der Ware Arbeitskraft bedeutet und daher der Kapitalverwertung untergeordnet ist. Nicht die Bedürfnisbefriedigung und nicht die Entwicklung der Konsumtion, sondern die höchstmögliche Verwertung des Kapitals ist das Ziel der kapitalistischen Produktionsweise. Deshalb besteht eine wachsende Differenz zwischen den Veränderungen der Bedürfnisse und der tatsächlichen Konsumtion der Arbeiterklasse.

Die Reproduktionsbedürfnisse der Arbeiterklasse verändern sich in Verbindung mit der Durchsetzung des wissenschaftlich-technischen Fortschritts und der Revolutionierung der Produktionsgrundlagen. Das führt zu Veränderungen, die den gesamten Reproduktionsprozeß des Kapitals und damit auch die Reproduktion der Arbeitskraft beeinflussen.

Die Reproduktionsbedürfnisse der Arbeitskraft erweitern und wandeln sich. Umfang und Struktur der unmittelbaren individuellen Konsumtionsbedürfnisse des Arbeiters (und seiner Familie) wachsen und verändern sich in bezug auf Nahrungs- und Genußmittel, Kleidung, Wohnung, Dienstleistungen usw. Die Bedürfnisse nach einer besseren Schul- und Berufsausbildung, nach Freizeit und Erholung, nach Gesundheit und Gesunderhaltung, nach Altersversorgung usw., gesellschaftliche Bedürfnisse also, erweitern den Kreis der Bedürfnisse der Arbeitskraft. Ihre Befriedigung wird mehr und mehr zur Reproduktionsbedingung der Arbeitskraft. Der Kampf der Arbeiterklasse und ihrer Organisationen dehnt sich auf diese Probleme aus, wobei der Kampf um den Arbeitsplatz und den Arbeitslohn entscheidend bleibt.

Die Befriedigung dieser gesellschaftlichen Konsumtionsbedürfnisse widerspricht einerseits den unmittelbaren Verwertungsinteressen des Kapitals. Die entsprechenden Volkswirtschaftsbereiche sind für das Kapital nicht beziehungsweise weitaus weniger profitabel als solche Bereiche wie Industrie, Bauindustrie, Bankwesen usw. Erst die sozialistische Revolution setzt, so schreibt Friedrich Engels, „eine Masse von Produktionsmitteln und Produkten für die Gesamtheit frei durch Beseitigung der blödsinnigen Luxusverschwendung der jetzt herrschenden Klassen und ihrer politischen Repräsentanten. Die Möglichkeit, vermittelst der gesellschaftlichen Produktion allen Gesellschaftsgliedern eine Existenz zu sichern, die nicht nur materiell vollkommen ausreichend ist und von Tag zu Tag reicher wird, sondern die ihnen auch die vollständige freie Ausbildung und Betätigung ihrer körperlichen und geistigen Anlagen garantiert, diese Möglichkeit ist jetzt zum erstenmal da, aber sie ist da.“37

Die erkämpften Verbesserungen hinsichtlich des materiellen Lebensstandards der Arbeiterklasse in bestimmten kapitalistischen Ländern nehmen die Ideologen und Politiker des Monopolkapitals zum Anlaß, um von einem Verschwinden des Proletariats, von der Verwandlung der Arbeiter in „Wohlstands- und Konsumbürger” zu sprechen. „Bei uns” (in der BRD), heißt es zum Beispiel, „ist aus dem verelendeten Arbeiter der industriellen Frühzeit ein freier Arbeits- und Konsumbürger geworden …“38 Andere Autoren kommen zu der Feststellung, die ebenfalls der kapitalistischen Wirklichkeit widerspricht: „Je mehr im modernen Kapitalismus der Proletarier von einst zum Besitzbürger wird, um so geringer wird die Gefahr eines Umsturzes von innen.“39 Und: „Wir sind der klassenlosen Gesellschaft gewiß näher als je zuvor …“40, behaupten die amerikanischen „Zukunftsforscher“ Kahn und Wiener.

Marx betonte stets, daß erkämpfte verbesserte Reproduktionsbedingungen der Arbeiterklasse nichts am Warendasein der Arbeitskraft und nichts an den kapitalistischen Eigentums- und Ausbeutungsverhältnissen verändern, daß sich vielmehr im Verlauf der historischen Entwicklung der kapitalistischen Reproduktion „alle Methoden zur Steigerung der gesellschaftlichen Produktivkraft der Arbeit auf Kosten des individuellen Arbeiters (vollziehn)“; daß alle Mittel zur Entwicklung der Produktion umschlagen in „Beherrschungs- und Exploitationsmittel des Produzenten“41. Durch die Weiterentwicklung des Kapitalismus spitzen sich die bestehenden antagonistischen Widersprüche zu, und es werden neue hervorgebracht. Das ist vor allem der Widerspruch zwischen den außerordentlichen Möglichkeiten, die die wissenschaftlich-technische Revolution eröffnet, und den Bemühungen des Kapitalismus, zu verhindern, daß diese Möglichkeiten im Interesse der ganzen Gesellschaft genutzt werden. Der Kapitalismus verschwendet den nationalen Reichtum und verwendet einen großen Teil der wissenschaftlichen Entdeckungen sowie enorme materielle Ressourcen für Kriegszwecke. Die Lösung dieses Widerspruchs und anderer antagonistischer Widersprüche ist – wie überhaupt die grundsätzliche Veränderung der Lage der Arbeiterklasse – nur durch die Beseitigung der kapitalistischen Produktionsweise möglich.

Die für den Kampf der Arbeiterklasse wichtigen Schlußfolgerungen bestehen also darin, daß die Proportionen der einfachen Reproduktion – wie auch der erweiterten Reproduktion – nicht ein für allemal feststehen, sondern sich sowohl in Abhängigkeit von der Entwicklung der Produktivkräfte als auch der kapitalistischen Produktionsverhältnisse verändern und daß die Arbeiterklasse bereits im Kapitalismus eine Veränderung bestimmter Proportionen in ihrem Interesse erzwingen kann; grundsätzliche Veränderungen des gesellschaftlichen Reproduktionsprozesses sind aber nur über die Beseitigung der kapitalistischen Verhältnisse und die Schaffung sozialistischer Produktionsverhältnisse zu erreichen.