Reproduktion und Zirkulation
des gesellschaftlichen Gesamtkapitals

4.1
Die Akkumulation in beiden Abteilungen
der gesellschaftlichen Produktion

Das Mehrwertgesetz sowie der Zwang des Konkurrenzkampfes erfordern die Akkumulation, das heißt, ein Teil des erzielten Mehrwerts muß in Kapital verwandelt werden. Akkumulation bedeutet erweiterte Reproduktion des Kapitals. Nur ein Teil des gesamten Mehrwerts wird für Konsumtionsmittel verausgabt, der andere Teil dient dem Kauf zusätzlicher Produktionsmittel und Arbeitskräfte. Dadurch wird die Produktion von Mehrwert ausgedehnt. Das Ausbeutungsverhältnis erweitert und vertieft sich. Dabei sind die Kapitalisten gezwungen, die Produktivkräfte zu entwickeln und die Arbeitsproduktivität zu steigern.

Obwohl sich auch schon bei einfacher Reproduktion, bei bloßer Erneuerung des konstanten fixen Kapitals (im gleichen Wertumfang), aufgrund des wissenschaftlich-technischen Fortschritts die Mehrwertproduktion erhöht, ist für den Kapitalismus die erweiterte Reproduktion typisch.

Was sich im Unterschied zur einfachen Reproduktion ändert, ist also die Verwendung des Mehrwerts beziehungsweise des Mehrprodukts. Dabei ist zu beachten, daß die Entscheidung über einfache oder erweiterte Reproduktion bereits im Produktionsprozeß erfolgt.

Zunächst soll die Verwendung eines Mehrwertteils für den Kauf zusätzlicher Produktionsmittel untersucht werden: Bei erweiterter Reproduktion, die die einfache Reproduktion einschließt, müssen über den Ersatz der verbrauchten Produktionsmittel in beiden Abteilungen hinaus zusätzliche Produktionsmittel vorhanden sein, die der Produktionserweiterung dienen. Hier zeigt sich erneut die entscheidende Bedeutung der stofflichen Zusammensetzung des gesellschaftlichen Gesamtprodukts. Diese Produktionsmittel werden in der Abteilung I produziert. Demzufolge muß das dort produzierte jährliche Gesamtprodukt W′I so groß sein, daß nicht nur der Ersatz der verbrauchten Produktionsmittel, sondern auch die Bereitstellung zusätzlicher Produktionsmittel für die Ausdehnung der Produktion gewährleistet ist.

Ein Teil des beim Verkauf von W′I und W′II in Geld verwandelten Mehrwerts muß durch einen entsprechenden Austausch die Naturalform annehmen, worin er im kapitalistischen Produktionsprozeß fungieren kann.

Es soll noch einmal daran erinnert werden, daß die Lohnarbeiter den Kapitaleigentümern durch ihre lebendige Arbeit nicht nur den Wert des konstanten Kapitals erhalten; sie ersetzen ihnen nicht nur den variablen Kapitalwert durch einen entsprechenden neugeschaffenen Wertteil, sondern durch ihre Mehrarbeit liefern die Arbeiter ihnen außerdem einen Mehrwert, den diese sich unentgeltlich aneignen.55 Der Verkauf der produzierten Waren W′I und W′II oder der Produktionsmittel und Konsumtionsmittel und damit die Verwandlung des zunächst in Warenform existierenden Mehrwerts in Geldform ist die Voraussetzung dafür, daß die Kapitalisten zuschüssiges potentielles Geldkapital bilden können, das für den Kauf der zusätzlichen Produktionsmittel bestimmt ist. In der kapitalistischen Praxis vollziehen sich diese Geldakkumulation und die Verwandlung in produktives Kapital nebeneinander und zu jeder Zeit. Während die einen kapitalistischen Unternehmer potentielles Geldkapital akkumulieren, verwandeln andere ihr zu der notwendigen Größe angewachsenes Geldkapital in produktives Kapital.

Das Mehrprodukt ist die reale stoffliche Basis der erweiterten Reproduktion. Aber in seiner Geldform – als Geldschatz, als sich nach und nach bildendes potentielles Geldkapital – ist es für das Kapital unproduktiv. Das Kapital mobilisiert daher diese Mittel über den Kredit, über das Kreditsystem.56 „Das Geldkapital erhält dadurch in einer andern Form den enormsten Einfluß auf den Verlauf und die gewaltige Entwicklung des kapitalistischen Produktionssystems.“57

Das Mehrprodukt oder der Mehrwert der Abteilung I besteht von vornherein aus Produktionsmitteln. „Wenn wir bloß den Wertumfang der Reproduktion seitens I betrachten“, erläutert Marx, „so befinden wir uns noch innerhalb der Grenzen der einfachen Reproduktion, denn kein zusätzliches Kapital ist in Bewegung gesetzt worden, um dies virtualiter zuschüssige konstante Kapital (das Mehrprodukt) zu schaffen, auch keine größre Mehrarbeit, als die auf der Grundlage der einfachen Reproduktion verausgabte.“58 Der Unterschied zur einfachen Reproduktion liegt hier in der konkreten Form der verausgabten Mehrarbeit. Diese Mehrarbeit ist nicht nur in Produktionsmitteln für Konsumtionsmittel verausgabt worden, sondern auch in Produktionsmitteln für Produktionsmittel. Bei der einfachen Reproduktion wird vorausgesetzt, daß die Kapitalisten der Abteilung I den gesamten Mehrwert als Revenue für Konsumtionsmittel verausgaben. Der Wertteil Im besteht demnach bei einfacher Reproduktion nur aus solchen Produktionsmitteln, die IIc stofflich zu ersetzen haben. Damit also der Übergang von der einfachen zur erweiterten Reproduktion vor sich gehen kann, muß die Abteilung I in der Lage sein, weniger Elemente des konstanten Kapitals für IIc, aber um ebensoviel mehr für Ic herzustellen.

Nehmen wir an, daß die Kapitalisten von I die Hälfte ihres Mehrwerts nicht als Revenue verbrauchen, sondern in Höhe von 500 für den Kauf zusätzlicher Produktionsmittel vorschießen, bleibt dann (bei sonst gleichbleibenden Umständen) ein dem Wertumfang nach gleicher Teil des konstanten Kapitals der Kapitalisten II in der Form von Konsumtionsmitteln übrig. Er kann sich nicht in die Naturalform von konstantem Kapital umsetzen. Statt 2000 I (v + m) wären jetzt nur 1500, und zwar 1000v und 500m, in 2000 IIc umsetzbar. Eine Überproduktion in der Abteilung II wäre die Folge, die ihrem Umfang nach genau dem Umfang der in der Abteilung I vorgenommenen Erweiterung der Produktion entspräche. Daher muß sich bei Erweiterung der Produktion die Austauschproduktion zwischen beiden Abteilungen ändern.

Bei erweiterter Reproduktion wird ferner ein bestimmter Mehrwertteil nicht nur für den Kauf zusätzlicher Produktionsmittel (wie bisher in diesem Abschnitt dargestellt wurde), sondern auch für den Kauf zusätzlicher Arbeitskräfte, für ein erweitertes variables Kapital ausgegeben. Da die Erweiterung der Produktion mit der Einstellung weiterer Arbeitskräfte verbunden ist (davon wird hier ausgegangen), muß ein Teil des Mehrwerts für zusätzliches variables Kapital vorgeschossen werden. Das setzt das Vorhandensein zusätzlicher Arbeitskräfte voraus. Diese zusätzlich beschäftigten Arbeiter geben ihren Arbeitslohn für Konsumtionsmittel aus, was eine höhere Nachfrage nach Konsumgütern, speziell nach Massenbedarfsgütern, bedeutet.

Diese Unterteilung des zu akkumulierenden Mehrwerts in konstantes und variables Kapital bildet die wertmäßige Voraussetzung der erweiterten Reproduktion, die Unterteilung in Produktionsmittel und Konsumtionsmittel die stoffliche. Eine Erweiterung der Produktion ist nur möglich, wenn zusätzliche Produktionsmittel und Konsumtionsmittel vorhanden sind.

Es muß sich also die wertmäßige und gebrauchswertmäßige Zusammensetzung des gesellschaftlichen Gesamtprodukts sowie, was damit eng zusammenhängt, das Verhältnis der beiden Abteilungen zueinander ändern.