Reproduktion und Zirkulation
des gesellschaftlichen Gesamtkapitals

6.1
Die widerspruchsvolle, anarchische Durchsetzung
der kapitalistischen Reproduktion

Die dargelegten Bedingungen, Proportionen und Wachstumsbeziehungen sind objektiv notwendig. Aber im Kapitalismus ist es unmöglich, diese Reproduktionsbedingungen im Maßstab der Gesellschaft planmäßig festzulegen und zu entwickeln. Im Kapitalismus, schreibt Marx, werden viele Mittel verschwendet, „weil nichts nach gesellschaftlichem Plan geschieht, sondern von den unendlich verschiednen Umständen, Mitteln etc. abhängt, womit der einzelne Kapitalist agiert. Hieraus entsteht große Verschwendung der Produktivkräfte.”110 Aus den kapitalistischen Produktions­verhältnissen sowie dem damit eng verbundenen Grundgesetz und Grundwiderspruch des Kapitalismus ergibt sich, daß der Produktions- und Zirkulationsprozeß, daß der gesamte Reproduktionsprozeß des gesellschaftlichen Gesamtkapitals mit antagonistischen Widersprüchen verbunden ist.111

Die Beziehungen innerhalb der beiden Abteilungen der gesellschaftlichen Produktion und zwischen ihnen setzen sich, wie in vorangegangenen Abschnitten gezeigt wurde, über die Warenbeziehungen, über Angebot und Nachfrage auf dem Markt, also in der Zirkulation, durch. Der Markt stellt den Zusammenhang zwischen den kapitalistischen Produzenten her. Erst auf dem Markt treten die Kapitalisten als Wareneigentümer in direkten gesellschaftlichen Kontakt zueinander. Sie sind zwar durch die gesellschaftliche Arbeitsteilung miteinander verbunden, aber infolge des kapitalistischen Privateigentums an den Produktionsmitteln produzieren sie isoliert und getrennt voneinander für einen ihnen unbekannten Markt.

Über den früher dargestellten Wert-Preis-Mechanismus”112 realisieren sich die notwendigen Proportionen. Das geschieht nun unter vollentwickelten kapitalistischen Verhältnissen in allen Wirtschaftsbereichen spontan und anarchisch. Spontanität, Anarchie und Konkurrenz bedeuten, daß sich die erforderlichen Wachstumsrelationen gewaltsam, in Verbindung mit Disproportionen, Verlusten und ihrer nachträglichen Korrektur hinter dem Rücken der Warenproduzenten durchsetzen. Innerhalb der kapi­talistischen Reproduktion stellt sich die Proportionalität der einzelnen Produktions­zweige „als beständiger Prozeß aus der Disproportionalität”113 dar. Das ist die besondere Art und Weise, wie sich die Reproduktionserfordernisse in der kapitalis­tischen Warenproduktion und -zirkulation durchsetzen.

Die kapitalistischen Produzenten beherrschen also nicht ihre eigenen gesellschaftlichen Beziehungen – wie schon in unterschiedlichem Zusammenhang wiederholt festgestellt wurde. „Jeder produziert für sich mit seinen zufälligen Produktionsmitteln und für sein individuelles Austauschbedürfnis. Keiner weiß, wieviel von seinem Artikel auf den Markt kommt, wieviel davon überhaupt gebraucht wird, keiner weiß, ob sein Einzelprodukt einen wirklichen Bedarf vorfindet, ob er seine Kosten herausschlagen oder überhaupt wird verkaufen können. Es herrscht Anarchie der gesellschaftlichen Produktion.”114 Das Hauptwerkzeug, mit dem das Kapital die Anarchie in der gesell­schaftlichen Produktion noch steigert, ist gerade das Gegenteil der Anarchie – die wachsende Organisation der Produktion innerhalb der Unternehmen.115

Während, auf der Basis der kapitalistischen Produktion, der Masse der unmittelbaren Produzenten, den Lohnarbeitern, „der gesellschaftliche Charakter ihrer Produktion in der Form streng regelnder Autorität und eines als vollständige Hierarchie geglie­derten, gesellschaftlichen Mechanismus des Arbeitsprozesses gegenübertritt … herrscht unter den Trägern dieser Autorität, den Kapitalisten selbst, die sich nur als Warenbesitzer gegenübertreten, die vollständigste Anarchie, innerhalb deren der gesellschaftliche Zusammenhang der Produktion sich nur als übermächtiges Naturgesetz der individuellen Willkür gegenüber geltend macht.”116