Reproduktion und Zirkulation
des gesellschaftlichen Gesamtkapitals

6.3
Der Klasseninhalt des Widerspruchs zwischen
Produktion und Konsumtion im Kapitalismus.
Weitere Widersprüche der kapitalistischen Reproduktion

Die Reproduktion des gesellschaftlichen Gesamtkapitals wird ferner entscheidend auch durch den Widerspruch zwischen Produktion und Konsumtion, zwischen Produktion und Markt, gekennzeichnet. Dieser Widerspruch ergibt sich aus dem Grundwiderspruch des Kapitalismus, dem Widerspruch zwischen dem gesellschaftlichen Charakter der Produktion und der privatkapitalistischen Aneignung der Ergebnisse der Produktion.

Die Unterscheidung der gesellschaftlichen Produktion in zwei Abteilungen, in die Abteilung I und II, sowie des gesellschaftlichen Gesamtprodukts in zwei Gruppen von Arbeitsprodukten, in die Produktionsmittel und Konsumtionsmittel, schließt im Kapitalismus einen antagonistischen Widerspruch ein. Er hängt mit der Aufteilung des gesellschaftlichen Gesamtprodukts einerseits für die Produktion und Akkumulation und andererseits für die individuelle und gesellschaftliche Konsumtion zusammen.

Im Kapitalismus stehen sich in den beiden Hauptklassen auch zwei Gruppen von Verbrauchern, von Abnehmern der produzierten Waren gegenüber. Die eine Gruppe von Abnehmern sind die Kapitalisten, die kapitalistischen „Produzenten”, die von der Abteilung I die verschiedenen Produktionsmittel für die produktive Konsumtion und von der Abteilung II bestimmte Konsumtionsmittel für die individuelle Konsumtion benötigen. Die andere Gruppe sind die „Konsumenten”, vorwiegend die Masse der Arbeiter sowie der sonstigen Werktätigen, die lediglich die von der Abteilung II produzierten Konsumgüter brauchen.

Die Entwicklung des Produktionsbedarfs beziehungsweise der Nachfrage nach Produktionsmitteln verläuft anders als die Entwicklung der Nachfrage nach Konsumtionsmitteln.118 Die Entwicklung des Produktions- beziehungsweise Akkumulationsbedarfs seitens der Kapitalisten wächst sprunghaft mit der erweiterten Reproduktion des Kapitals beziehungsweise Akkumulation sowie mit der Erhöhung der organischen Zusammensetzung des Kapitals. Es ist Produktion und Akkumulation in erster Linie nicht für den Konsum, für die Bedürfnisbefriedigung, sondern für die Kapitalverwertung und -vermehrung. Das Maß der Produktion ist das Kapital selbst, „die vorhandne Stufenleiter der Produktionsbedingungen und der maßlose Bereicherungs-, Kapitalisationsbetrieb der Kapitalisten, keineswegs die Konsumtion, die von vornherein gebrochen ist, da der größte Teil der Bevölkerung, die Arbeiterbevölkerung, nur innerhalb sehr enger Grenzen ihre Konsumtion erweitern kann, anderseits im selben Maße, wie der Kapitalismus sich entwickelt, die Nachfrage nach Arbeit relativ abnimmt, obgleich sie absolut wächst”.119

Die Entwicklung des Konsumtionsbedarfs ist, wie schon aus dem Vorangegangenen hervorgeht, von anderen Faktoren abhängig, vor allem von der Höhe und Entwicklung der Arbeitslöhne sowie vom persönlichen Verbrauch der Kapitalisten beziehungsweise dem Mehrwertteil, der für die Revenue (mr) verwendet wird. Die Konsumtionskraft, schreibt Marx, „ist aber bestimmt weder durch die absolute Produktionskraft noch durch die absolute Konsumtionskraft, sondern durch die Konsumtionskraft auf Basis antagonistischer Distributionsverhältnisse, welche die Konsumtion der großen Masse der Gesellschaft auf ein nur innerhalb mehr oder minder enger Grenzen veränderliches Minimum reduziert. Sie ist ferner beschränkt durch den Akkumulationstrieb, den Trieb nach Vergrößerung des Kapitals und nach Produktion von Mehrwert auf erweiterter Stufenleiter.”120 Denn bei wachsender organischer Zusammensetzung des Kapitals wächst zwar absolut auch das variable Kapital, die Lohnsumme, aber sie bleibt relativ (gegenüber dem schneller wachsenden konstanten Kapital) zurück.

An dieser Beschränkung der Konsumtion hat sich bis in die Gegenwart grundsätzlich nichts geändert. Zwar war es der Arbeiterklasse gelungen, gestützt auf die Existenz und den Einfluß der sozialistischen Staatengemeinschaft, bedeutende Steigerungen ihrer Reallöhne und andere Verbesserungen ihrer Lebenslage zu erzwingen. Zugleich ist aber die Kluft zwischen einer möglichen Befriedigung (infolge der Produktivkraftentwicklung) und der realen Befriedigung der materiellen und geistig-kulturellen Bedürfnisse der arbeitenden Bevölkerung so groß wie nie zuvor. Die kapitalistische Akkumulation und die mit ihr verbundene Entwicklung der Produktivkräfte vollziehen sich rascher als die Steigerung der Einkommen der Werktätigen.

Die Entwicklung der Produktivkräfte ist den Verwertungsbedürfnissen des Kapitals unterworfen. Mit einer gegebenen Kapitalmasse soll eine möglichst große Masse von Arbeit ausgebeutet werden, „ohne Rücksicht auf die vorhandnen Schranken des Markts oder der zahlungsfähigen Bedürfnisse”.121 Es erfolgt eine beständige Erweiterung der Reproduktion und Akkumulation, daher eine beständige Rückverwandlung von Mehrwert in Kapital, während gleichzeitig „die Masse der Produzenten auf das average (durchschnittliche) Maß von Bedürfnissen beschränkt bleibt und der Anlage der kapitalistischen Produktion nach beschränkt bleiben muß”.122

Im Kapitalismus drücken die Austauschbedingungen zwischen den Abteilungen I und II, die Beziehungen zwischen Produktion und Konsumtion, zugleich auch bestimmte Klassenbeziehungen aus. Diesen erforderlichen Bedingungen und Proportionen liegt der antagonistische Klassenwiderspruch zwischen Kapitalistenklasse und Arbeiterklasse zugrunde, was wiederum eng mit dem Grundwiderspruch des Kapitalismus zusammenhängt. Lohnarbeit im Kapitalismus bedeutet, daß sich die Lebenshaltung der Arbeiterklasse in der Tendenz auf dem Niveau der Reproduktion der Arbeitskraft als Ware bewegt, was zum Teil beträchtliche Unterschiede in den verschiedenen kapitalistischen Ländern einschließt.

Während die Arbeitsproduktivität und die Produktion je Beschäftigten ständig steigen, erhöht sich aber keineswegs dementsprechend die Konsumtion der Arbeiter. Sie bleibt vielmehr in relativ enge Schranken gebannt.

Ein entscheidender Widerspruch der kapitalistischen Reproduktion ist daher die schrankenlose Ausdehnungsmöglichkeit der kapitalistischen Produktion als gesellschaftliche Großproduktion (bei objektivem Zwang zur Ausdehnung) und die Konsumtionsbeschränkung der Arbeiterklasse sowie der anderen werktätigen Massen der Bevölkerung. Dieser Widerspruch der kapitalistischen Reproduktion erwächst unmittelbar aus dem Grundwiderspruch der kapitalistischen Produktionsweise selbst. Die Produktion entwickelt sich im Kapitalismus vor allem zugunsten der Produktion von Produktionsmitteln. Das geht eine Weile relativ reibungslos vonstatten. Für den Kapitalismus ist das Wachsen des inneren Marktes bis zu einem gewissen Grade unabhängig vom Wachsen der individuellen und gesellschaftlichen Konsumtion, da „dieses Wachsen mehr auf der Linie der produktiven Konsumtion erfolgt”.123 In letzter Instanz aber bleibt die produktive Konsumtion stets mit der individuellen Konsumtion verbunden. Die Produktion von Produktionsmitteln ist nur scheinbar unabhängig von der individuellen Konsumtion. Die Kapitalisten erweitern zwar die Abteilung I, als gäbe es für sie keine Marktschranken. Das Angebot von Produktionsmitteln, der Arbeitsergebnisse der Abteilung I, bleibt aber eng mit der Nachfrage der Abteilung II verbunden.124

Auch die Kapitalisten der Abteilung II müssen auf der Jagd nach größerem Mehrwert, gezwungen durch den Konkurrenzkampf, akkumulieren, ihre Betriebe modernisieren und die Arbeitsproduktivität steigern. Wenn aber die Produktionskapazitäten beider Abteilungen erweitert und modernisiert sind und die Produktion auf vollen Touren läuft und so weiterlaufen könnte, stößt das Kapital auf die relativ enge Schranke des Marktes für Konsumgüter, stößt es auf die Konsumbeschränktheit der Arbeiterklasse, der Volksmassen im Kapitalismus.

Dieser antagonistische Widerspruch zwischen Produktion und Konsumtion charakterisiert den Kapitalismus. Immer wieder übersteigt die Produktion der Abteilung I die engen Schranken, die der Entwicklung der Konsumtion gesetzt sind. Immer wieder kommt es vor allem zur Überproduktion von Produktionsmitteln und zur Überakkumulation in der Abteilung I, aber auch in der Abteilung II. Disproportionen zwischen den beiden Produktionsabteilungen, ihren Unterabteilungen und den zahlreichen dazu gehörenden Industriezweigen und sonstigen Wirtschaftsbereichen sind ein notwendiges Resultat der kapitalistischen Reproduktion. Wirtschaftskrisen sind unvermeidlich.125

Die Produktion entwickelt sich im Kapitalismus ungleichmäßig, zyklisch. Dabei ist festzustellen, daß sich die Produktion der Abteilung I in den Phasen der Belebung und besonders des Aufschwungs relativ stark ausdehnt und in den Phasen der Krise und der Depression relativ stark vermindert, während die Produktion der Abteilung II nicht so stark schwankt.

Auch in der gegenwärtigen kapitalistischen Wirtschaftspraxis bestätigt sich, daß die Ausdehnung der Produktion mehr auf der Linie der produktiven Konsumtion erfolgt, daß aber letztlich diese produktive Konsumtion mit der individuellen Konsumtion verbunden bleibt.

Die einzelnen Zweige und Branchen innerhalb der jeweiligen Abteilungen der gesellschaftlichen Produktion entwickeln sich auch widerspruchsvoll und disproportional. Die sich herausbildenden Disproportionen zeigen die Unterordnung der kapitalistischen Reproduktion unter die anarchische, profitorientierte Regulierung.

Das gegenwärtige Kapital drängt nach einer Erhöhung der Effektivität der staatsmonopolistischen Regulierung auf der Grundlage eines weiteren Ausbaus der Machtverschmelzung zwischen den Monopolen und dem imperialistischen Staat. Neue Züge der bürgerlichen Wachstumstheorie und Wachstumspolitik bilden sich heraus.126 Aber auch die neuen Varianten der bürgerlichen Wachstumsmodelle sollen vielfach nur global entweder die „Investitionen” oder den „privaten Verbrauch” stimulieren beziehungsweise bremsen.

Die zunehmende enge und vielgestaltige Verflechtung zum Beispiel zwischen den beiden Produktionsabteilungen und innerhalb dieser Abteilungen erfordert immer nachhaltiger eine gesamtgesellschaftliche Planung des volkswirtschaftlichen Reproduktionsprozesses. Da eine Lösung des Widerspruchs zwischen der Anarchie und der objektiven Notwendigkeit der gesamtgesellschaftlichen Planung die Beseitigung der kapitalistischen Produktionsverhältnisse voraussetzt, wird auch aus diesem Grund der Übergang vom Kapitalismus zum Sozialismus im Interesse der werktätigen Volksmassen immer dringlicher.

Viele Widersprüche und Disproportionen ergeben sich auch aus der mit dem wissenschaftlich-technischen Fortschritt verknüpften raschen Zunahme des konstanten fixen Kapitals. Damit nehmen die Abschreibungen bedeutend zu, ganz gleich, ob die Produktionskapazitäten voll ausgelastet werden oder nicht. Bei einer hohen Nichtauslastung der Produktionskapazitäten vergrößern sich die Kosten je Arbeitsprodukt. Mit der Erhöhung des wissenschaftlich-technischen Niveaus der Produktion und demzufolge mit dem wachsenden fixen Kapital wird daher eine optimale Auslastung der Kapazitäten immer notwendiger. Das ist aber ohne sichere Absatzmärkte, ohne Lösung des Widerspruchs zwischen Produktion und Markt, ohne gesamtgesellschaftliche Planung nicht möglich. Die chronische Überproduktion von fixem Kapital ist ein markanter Ausdruck dafür, daß das kapitalistische System nicht imstande ist, den Widerspruch zwischen der Organisation der Produktion in den einzelnen Unternehmen und der Anarchie der gesamten Produktion zu lösen.

Für den gegenwärtigen Kapitalismus ist ferner eine zunehmende Disproportionalität zwischen der Entwicklung der materiellen Produktion und der der Bereiche des Infrasystems charakteristisch. Das Zurückbleiben der Infrastruktur hinter den Erfordernissen sich ändernder Reproduktionsbedingungen ist ein weiterer Ausdruck dafür, daß der Profit auch im gegenwärtigen Kapitalismus Regulator des Produktions- und Reproduktionsprozesses ist. Denn obwohl das Infrasystem zu einer wichtigen Bedingung für die Reproduktion und Zirkulation des gesellschaftlichen Gesamtkapitals geworden ist, vermeiden die einzelnen Monopole in der Regel eine Kapitalanlage in dieser Sphäre. Sie bietet im allgemeinen keine oder eine nur geringe Kapitalverwertung beziehungsweise Profite.

Hinzu kommt, daß der hohe Kapitalaufwand für die Investitionen auf diesen Gebieten oft die Finanzkraft einzelner Monopole übersteigt. Der Ausbau des Infrasystems liegt daher vorwiegend in den Händen der mit der Macht der Monopole verschmolzenen imperialistischen Staatsmacht. Zur Sicherung hoher Profite und zur Erhaltung des Profitsystems überhaupt wird jedoch künftig eine beträchtliche Steigerung der Ausgaben für die Entwicklung des Infrasystems zu einer objektiven Notwendigkeit. Eine Nichtrealisierung dieser Erfordernisse wird zweifellos neue Widersprüche und Disproportionen des gesellschaftlichen Reproduktionsprozesses hervorrufen.

Das Infrasystem selbst entwickelt sich widerspruchsvoll und disproportional. Solche Bereiche, die für die Ökonomie und Politik des gegenwärtigen Kapitalismus von unmittelbarer Bedeutung sind, wie die Energiewirtschaft und vor allem auch der militärische Infrabereich, dehnen sich relativ schnell aus. Jene Bereiche jedoch, die das Kapital nicht unmittelbar interessieren, bleiben zurück und werden vielfach erst nach langen Bemühungen und unter dem Druck des Klassenkampfes entwickelt. Zu ihnen gehören das Bildungswesen, das Sozial- und Gesundheitswesen, der Nahverkehr und die Naherholung, der Umweltschutz und andere, also solche Bereiche, die vor allem auch der Reproduktion der Ware Arbeitskraft dienen und zur Verbesserung der Lage der Arbeiterklasse führen können.

Die gesetzmäßige Konsumtionsbeschränkung der arbeitenden Bevölkerung im Kapitalismus ist heute in den industriell entwickelten imperialistischen Staaten auch mit einer starken Verzerrung der Verbrauchsstruktur verbunden. So bleibt die gesellschaftliche Konsumtion weit hinter den objektiven Möglichkeiten und Erfordernissen zurück. Sowohl die individuelle als auch die gesellschaftliche Konsumtion sind dabei von vielen unsinnigen, den wirklichen Interessen und Bedürfnissen der Werktätigen widersprechenden Entwicklungstendenzen gekennzeichnet. Bei einem Überangebot bestimmter Waren, wie Haushaltschemikalien, Heimelektronik und sogar Lebensmitteln usw., besteht gleichzeitig ein akuter Mangel an Schulmitteln, Schulen, Krankenhäusern, Sportanlagen usw. sowie eine außerordentlich starke Differenzierung in den Konsummöglichkeiten einzelner Arbeitsgruppen (einheimische und ausländische Arbeiter, Beschäftigte und Arbeitslose usw.).

Im Kapitalismus wird – wie bereits festgestellt wurde – die Arbeitskraft als Ware reproduziert.127 Das führt dazu, daß die Persönlichkeitsentwicklung der Arbeiter prinzipiell eingeengt ist. Unter den heutigen Bedingungen der Entwicklung der wissenschaftlich-technischen Revolution ist jedoch die volle Entfaltung der Persönlichkeit ein objektives Erfordernis, das mit der Entfaltung der wichtigsten Produktivkraft der Gesellschaft identisch ist. Im Verlauf der kapitalistischen Reproduktion vertieft sich der Widerspruch zwischen der Notwendigkeit der Entfaltung der Arbeiterpersönlichkeit und dem Warencharakter der Arbeitskraft. Die Persönlichkeitseinengung der Arbeiter, die sich in einer Unterordnung der Reproduktion unter die Verwertung des Kapitals, in der Manipulierung der individuellen Konsumtion, in der Einengung und Verzerrung der gesellschaftlichen Konsumtion usw. zeigt, das heißt, diese Hemmung der entscheidenden Produktivkraft der Gesellschaft wird zu einem wesentlichen Hindernis der gesamten Produktivkraftentwicklung im gegenwärtigen Kapitalismus. Diese Widersprüchlichkeit ist auch ein Ausdruck der Verschärfung des Grundwiderspruchs des Kapitalismus und zeigt die Überlebtheit des Kapitalismus.

Die kapitalistischen Wirtschaftskrisen haben die Funktion, bestimmte Widersprüche vorübergehend zu lösen und bestimmte Disproportionen vorübergehend auszugleichen. Das ist mit einer umfangreichen Entwertung von Kapital verbunden. Eine massenweise Vergeudung und Zerstörung von Produktivkräften ist zu verzeichnen. Massenarbeitslosigkeit, Kurzarbeit usw. sind Kennzeichen dieser Situation.128

Es ist auf der widerspruchsvollen Basis des Kapitalismus durchaus kein Widerspruch, schreibt Marx, „daß Übermaß von Kapital verbunden ist mit wachsendem Übermaß von Bevölkerung; denn obgleich, beide zusammengebracht, die Masse des produzierten Mehrwerts sich steigern würde, steigert sich eben damit der Widerspruch zwischen den Bedingungen, worin dieser Mehrwert produziert, und den Bedingungen, worin er realisiert wird”.129

Der Kampf der Arbeiterklasse und ihrer Verbündeten muß unter Führung der marxistisch-leninistischen Parteien zur Beseitigung des Kapitalismus und zur planmäßigen, den Interessen aller Mitglieder der Gesellschaft dienenden sozialistischen Umgestaltung der gesellschaftlichen Verhältnisse führen.

Aus den Schwierigkeiten, die mit der Reproduktion des gesellschaftlichen Gesamtkapitals untrennbar verbunden sind, kann jedoch nicht der Schluß gezogen werden, daß die vollständige Realisierung des gesellschaftlichen Gesamtprodukts im Kapitalismus unmöglich ist. Lenin setzt sich bei der Weiterentwicklung der Marxschen Reproduktionstheorie mit solchen falschen Auffassungen auseinander. Insbesondere beschäftigt er sich mit der „Theorie” der Volkstümler, nach der es unmöglich sei, einen Teil des Gesamtprodukts, den Mehrwert, zu realisieren. Da die Volkstümler sich auf den kleinbürgerlichen Ökonomen Sismondi130 stützen, widerlegte Lenin zunächst dessen Auffassungen.131

Nach Sismondi vollzieht sich die Realisierung des gesellschaftlichen Gesamtprodukts in der Art und Weise, daß die Einkommen des vergangenen Jahres die Produktion des laufenden Jahres bezahlen müssen. Er geht von der falschen Annahme aus, daß sich das Gesamtprodukt wertmäßig nur aus variablem Kapital (Arbeitslöhnen) und Mehrwert (Profit, Rente) sowie stofflich nur aus Konsumtionsmitteln zusammensetzt. Lenin weist nach, daß es Sismondi deshalb unmöglich ist, die Reproduktion und Zirkulation des gesellschaftlichen Gesamtkapitals zu erfassen, daß er jedoch die Widersprüche der kapitalistischen Reproduktion, zum Beispiel den Widerspruch zwischen Produktion und Konsumtion, spürt. Lenin zeigt, daß eine erweiterte Reproduktion unter Sismondis Realisierungsvoraussetzung unmöglich ist.

Durch den Ruin der Kleinproduzenten ist es nach Sismondis Auffassung unmöglich, das Gesamtprodukt vollständig zu realisieren, weil sich dadurch der innere Markt einengt. Lenin betont in seiner Polemik, daß jedoch die „Entwicklung des Kapitalismus überhaupt und des Pachtwesens im besonderen den inneren Markt nicht einengt, sondern ihn schafft … Die ,Tagelöhner‘, die durch die Verwandlung der ,Bauern’ in ,Pächter’ aus dem Ackerbau verdrängt werden, stellen die Arbeitskräfte für das Kapital, während die Pächter als Käufer der Industrieprodukte auftreten, und zwar nicht nur als Käufer von Konsumgütern … , sondern auch als Käufer von Produktionsinstrumenten, die nicht mehr dieselben bleiben konnten, seitdem der landwirtschaftliche Großbetrieb den Kleinbetrieb ablöst. Der letzte Umstand verdient hervorgehoben zu werden, denn gerade ihn hat Sismondi ignoriert.” Sismondi hat „von der ,Konsumtion’ der Bauern und Pächter so gesprochen, als gäbe es nur individuelle Konsumtion … , als wäre der Kauf von Maschinen, Werkzeugen usw., die Errichtung von Gebäuden, Lagerhäusern, Fabriken usw. nicht ebenfalls Konsumtion, nur anderer Art, nämlich produktive Konsumtion, nicht Konsumtion durch die Menschen, sondern durch das Kapital. Und wiederum muß man feststellen, daß gerade diesen Fehler ... in vollem Umfang auch unsere Volkstümler-Ökonomen übernommen haben.”132 Mit der Entwicklung des Kapitalismus entwickelt sich auch die Warenwirtschaft, weist Lenin in der Polemik gegen die Volkstümler nach, „und in dem Maße, wie die Hauserzeugung durch die Produktion für den Verkauf und wie der Kustar durch die Fabrik verdrängt wird, bildet sich der Markt für das Kapital heraus”.133

Die Volkstümler, die wie Sismondi von der Verengung des inneren Marktes infolge des Ruins der Bauernschaft reden, reduzieren, wie gesagt, die Frage der Realisierung des Gesamtprodukts auf die Realisierung des Mehrwerts, wobei sie einen Ausweg aus der Realisierungsschwierigkeit in der Erschließung eines äußeren Marktes sahen. Da aber der äußere Markt seit langem von anderen kapitalistischen Ländern besetzt sei, könne der Mehrwert auch nicht auf dem äußeren Markt realisiert werden. Daraus ziehen sie den die Arbeiterklasse desorientierenden Schluß, daß der russische Kapitalismus keine Basis habe, daß er eine Totgeburt sei.

Lenin weist nach, daß die Heranziehung des Außenhandels die Lösung der Frage nicht weiterbringt. „Die Notwendigkeit des äußeren Marktes für ein kapitalistisches Land wird überhaupt nicht durch die Gesetze der Realisation des gesellschaftlichen Produkts (und des Mehrwerts im besonderen) bestimmt … ”134 Lenin stellt fest, daß sich der Kapitalismus auch in Rußland entwickelt und zieht aus dessen Analyse wichtige Schlußfolgerungen für die Arbeiterklasse: Die marxistische Auffassung von der Hegemonie des Proletariats in der sozialistischen Revolution trifft auch für Rußland zu, und eine revolutionäre Partei der Arbeiterklasse ist auch hier erforderlich.

Zu Beginn des 20. Jahrhunderts beschäftigte sich die proletarische Revolutionärin Rosa Luxemburg auch ausführlich mit Fragen der kapitalistischen Akkumulation und Reproduktion. Sie unterstützt den Marxschen Standpunkt von der wertmäßigen und stofflichen Unterteilung des gesellschaftlichen Gesamtprodukts. Konsequent setzt sie sich mit falschen Auffassungen Sismondis und der Volkstümler auseinander. In dem Bemühen, die Gegner der Arbeiterbewegung, insbesondere die Revisionisten, zu widerlegen, unterliefen ihr auf ökonomischem Gebiet jedoch theoretische Fehler. Sie erkannte nicht den Inhalt der These von Marx, „daß die Produktion nur Produktion für das Kapital ist”135, und zog aus der Analyse der kapitalistischen Akkumulation und Reproduktion den ebenfalls fehlerhaften Schluß, daß die Realisierung des Mehrwerts ohne Existenz nichtkapitalistischer Wirtschaftsformen im kapitalistischen Gesellschaftssystem unmöglich ist. In ihrer Arbeit „Die Akkumulation des Kapitals”136 setzt sie sich mit der Frage auseinander, woher die Nachfrage, das zahlungsfähige Bedürfnis, nach dem erzeugten Mehrwert kommen würde.

Nach der Auffassung Rosa Luxemburgs ist die Realisierung des Mehrwerts das schwierigste Problem des kapitalistischen Reproduktionsprozesses. „Die Realisierung des Mehrwerts ist in der Tat die Lebensfrage der kapitalistischen Akkumulation.”137

Die Frage der Realisation besteht aber darin, wie Lenin ausführt, „auf welche Weise für jeden einzelnen Teil des kapitalistischen Produkts sowohl dem Werte nach … als auch der stofflichen Form nach … der ihn ersetzende andere Teil des Produkts auf dem Markt zu finden ist”138. Angesichts des anarchischen Charakters der Reproduktion des gesellschaftlichen Gesamtkapitals ist es überhaupt „schwierig”, für jeden einzelnen Bestandteil des jährlichen Gesamtprodukts den ihn ersetzenden Teil auf dem Markt zu finden. Aber die Grundbedingung, Proportionen und Wachstumsverhältnisse der kapitalistischen Reproduktion setzten sich tatsächlich annähernd durch, wenn auch in spezifischer Art und Weise; sonst gäbe es überhaupt keine kapitalistische Entwicklung.

Die Klassiker des Marxismus-Leninismus weisen nach, daß sich die Gesetze der Reproduktion und Zirkulation des gesellschaftlichen Gesamtkapitals nur unter Widersprüchen, Komplikationen und Katastrophen realisieren. „Ohne diese Art von ‚Schwierigkeiten‘ und Krisen kann die kapitalistische Produktion, die Produktion isolierter Produzenten für den ihnen unbekannten Weltmarkt, überhaupt nicht existieren”139, schreibt Lenin. Zugleich zeigen Marx, Engels und Lenin, daß sich mit der Akkumulation des Kapitals, mit der erweiterten Reproduktion bedeutende Veränderungen vollziehen. Die Vergesellschaftung der Produktion nimmt außerordentlich zu, während die Aneignung weiterhin privatkapitalistisch bleibt. Die Konzentration und Zentralisation der Produktion und des Kapitals erreicht beträchtliche Ausmaße. Sie führt bis dicht an die Monopolbildung heran. Das Kapital wird zur Fessel einer Produktionsweise, die mit und unter ihm aufgeblüht ist. Der Kapitalismus hat seine historische Aufgabe, die Schaffung der materiellen Voraussetzungen des Sozialismus, erfüllt. Er ist reif zur Ablösung durch den Sozialismus. Solange aber der Kapitalismus durch die mit ihm entstandene Arbeiterklasse nicht revolutionär beseitigt ist, entwickelt er neue Formen, in denen er weiter existieren kann; er bricht nicht automatisch zusammen. Lenin weist – aufbauend auf den Aussagen von Marx und Engels – die Ablösung der freien Konkurrenz durch die Monopole nach. Der Imperialismus ist als monopolistischer, parasitärer und sterbender Kapitalismus der Vorabend der proletarischen Revolution.

Das Aufdecken dieser grundlegenden Veränderungen im Verlauf der Entwicklung des Kapitalismus, die mit der Reproduktion und Zirkulation des gesellschaftlichen Gesamtkapitals verknüpft sind, ist daher von entscheidender Bedeutung für die Ausarbeitung der Strategie und Taktik der Arbeiterklasse und ihrer marxistisch-leninistischen Partei.