8500 Platten-Cover umhüllten musikalische Schätze
Ätzung mit Blutlaugensalz
Tonträger aus der DDR waren lehrreich und in der Qualität zumeist hochwertig. Märchen drangen an die Ohren der Kleinen, die kultigen Stimmen von Herrn Fuchs, Frau Elster und Pittiplatsch gehörten ebenso dazu wie vom Wernigeroder Kinderchor gesungene Lieder. Einige Jahre später schwenkte man auf Rock und Pop um, wobei sich die Mädchen für schnuckelige Jungs auf den Schallplattenhüllen oder die Jungen für die tollen Gitarren in den Händen der Musiker interessierten. Wer ein rares Cover entbehren konnte, verdiente sich damit einige Mark der DDR. So brachte mir zum Beispiel eine Jimi-Hendrix-Hülle den Eintrittspreis für die Disco ein, überdies auch noch alkoholische Getränke. Mit fünf Mark erwarb sie ein Schulkumpel von mir.
Die Hüllenmacher wurden beneidet, bekamen sie doch angeblich immer die neuesten Lizenzplatten und hatten noch dazu schöne Poster für die Zimmer ihres Nachwuchses.
Im nachhinein wird die Herstellung der „Taschen“ gerne als Sorgenkind bezeichnet, da man im VEB Gotha-Druck bis zu einem halben Jahr benötigte – von der Überlegung, wie man an das eingetroffene Material herangehen wollte, bis zur Herstellung des Covers. Aufwendige Gestaltungen wie Klappcover, Einschiebungen oder besondere Farben waren kaum möglich. Musiker hatten nur geringe Mitspracherechte, selbst wenn das Cover einfallslos oder von minderer Qualität war. An seiner Herstellung waren etwa 20 Personen beteiligt, darunter Fotografen, Drucker und Retuschierer.
Zunächst entstanden Rasterfolien, die Textzeilen wurden stets extra aufgenommen, wobei es zu bedenken galt, daß dabei mit Spiegelschrift gearbeitet werden mußte. Die vom Fotografen gelieferten Negative wurden mit Pinseln und Schabern bearbeitet und an einem besonderen Tisch mit Blutlaugensalz und Natronlauge geätzt. Jede Farbe hatte ihre eigene Ätzung und wurde auf einer extra Folie gerastert. Der Produktionsprozeß ging von der Retusche über die Montage und die Druckplattenherstellung bis zum Probedruck. Jede Farbe mußte einzeln in die Druckmaschine, wobei der sie Bedienende das Gerät immer aufs neue zu säubern hatte, damit nicht Reste von Schwarz das Gelb verschmutzten.
Oft kamen plötzliche Anforderungen dazwischen – so die Lieferung von Kalendern für einen Solidaritätsbasar oder Wahlplakate für die Nationale Front.
An Fotos für LPs von berühmten Interpreten mußten die Lithographen besonders lange schaben und ätzen, denn es sollten jegliche Falten aus den Gesichtern und von den Händen verschwinden. Dabei war es normal, daß es an bestimmten Werkzeugen für die Vollendung eines Covers gerade mangelte. Mit etwas vom Staat bewilligter Valuta – in der Regel handelte es sich um D-Mark – konnte dann der verantwortliche Meister das Fehlende besorgen: Schaber, Pinsel, Abdeckfarben, Tesa-Band oder auch Arkansas-Ölsteine.
Wer in der DDR keine Lizenzplatten ergattern konnte, also nicht über entsprechende Beziehungen verfügte, verbreitete das Gerücht, die Mitarbeiter vom Gotha-Druck besäßen selbst sämtliche LPs. Doch dem war nicht so, wie diese Aussage einer früheren Druckerei-Mitarbeiterin verdeutlicht: „Unsere Brigade bekam von jedem Album zehn Stück, doch wir waren zwanzig Leute. So wurde immer nach einer Strichliste vorgegangen. Gerne hätte ich ja für meinen Sohn Santana gehabt, bekam aber statt dessen Peter Alexander zugeteilt.“
Recht einfallslos waren bisweilen Cover von Klassik-Platten aus dem Hause Eterna gestaltet, die allerdings stets mit wundervoller Musik „belegt“ wurden. Das weiß man vor allem beim heutigen Label Edel, das die Hoheitsrechte über den gesamten Katalog besitzt und gerne unter der Bezeichnung „Berlin Classics“ neues altes Zeug auf dem Markt bringt. Mal ist es sehr kostengünstig, dann wieder sehr teuer und als Serie getarnt. Nun macht Edel etwas ganz Verrücktes: Es bringt ausgesuchte Aufnahmen auf LP. Jede entspricht der seinerzeitigen Erstausgabe. Weder die Plattentaschen noch die großformatigen Beilagen-Hefte, die Liebhaber der DDR-Klassik bestimmt bis heute ihr eigen nennen, sind verändert worden. Die im März erschienene Auflage – sie ist eine limitierte Luxus-Edition – wird entweder unverkauft im Wust vieler klassischer Neuerscheinungen untergehen oder von audiophilen Vinylfans mit zittrigen Händen an die Kasse getragen werden, was allen Beteiligten zu wünschen wäre. Auf fünf Aufnahmen, die schon damals die Musikwelt begeisterten und bis heute jedem Vergleich standhalten, hat man sich geeinigt. Da darf Richard Wagner nicht fehlen, der zu DDR-Zeiten häufig ausgespart wurde und nur relativ selten zur Aufführung gelangte. Doch der Leiter des Leipziger Rundfunk-Sinfonie-Orchesters Herbert Kegel setzte sich damals gegen alle Widerstände für diese Musik ein und schuf gemeinsam mit René Kollo, Peter Adam und den Thomanern eine bombastische Aufnahme, die bei mir auch heute noch eine Gänsehaut erzeugt. Daneben gibt es die Vierfach-LP „Matthäus-Passion“ von Bach, mit der man wieder die Kantorenbrüder Rudolf und Erhard Mauersberger erleben kann, wie auch die Sangeskünstler Peter Schreier und Theo Adam, obendrein den Dresdner Kreuzchor und die Leipziger Thomaner. Beethoven ist durch die „Missa solemnis, op. 123“, vertreten, die Kurt Masur mit namhaften Musikern überzeugend aufführt, wobei er das humanistische Ideal voll zur Geltung bringt. Er vermittelt Glaube und Aufklärung mit jedem Ton und präsentiert ein immer noch aufregendes, das Zuhören erzwingendes Musikstück. Ottmar Suitners Mozart-Interpretation der „Entführung aus dem Serail“ ist legendär, da voller Dramatik. Die Inszenierung der Oper entstand in der Lukaskirche der Elbmetropole mit Hilfe der Staatskapelle und des Chors der Staatsoper Dresden.
Wer seine alte Sammlung durch diese hochwertigen Vinyls ersetzen möchte oder als Neuling zu Klassik-LPs greift, sollte sich Peter Schreiers Einspielung „Die schöne Müllerin“ beim Hören bis zum Schluß aufheben, ist sie doch voller Schönheit und ein echter musikalischer Genuß. Man merkt, daß Franz Schuberts zunächst heiter und beschwingt klingenden Lieder wenig später in Abgründe führen und so die vermeintlich heile Welt ad absurdum führen. Klassik auf Schallplatte ist immer wieder ein phantastisches Hörerlebnis.
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