Als bei Stuna kein Stein
auf dem anderen blieb
Zu Jahresbeginn 1990 suchte der VEB Stuck und Naturstein dringend einen kaufmännischen Direktor. Meine Leitungserfahrungen im Kombinat Ingenieurhochbau Berlin gaben den Ausschlag, mich auf diesen Posten zu stellen. Stuck und Naturstein – kurz Stuna genannt – war ein Spezialbetrieb mit etwa 900 Beschäftigten und einer ausgeprägten Leistungsfähigkeit zur Rekonstruktion und Pflege historischer Bausubstanz. Hauptarbeitsfeld waren die historischen Gebäude an Berlins berühmter Renommiermeile Unter den Linden. Der Betriebsleiter, den ich aus langjähriger Arbeit im Bauwesen der DDR-Hauptsadt gut kannte, freute sich, in mir eine zuverlässige Stütze gefunden zu haben. Kollegen aus dem Ingenieurhochbau, die jetzt bei Stuna arbeiteten, hatten mich ihm empfohlen. Mit dem Direktor war ich mir darin einig, daß die Zukunft nicht rosig aussehen würde. Die ersten Monate verliefen indes ruhig. Die übergeordnete Behörde hüllte sich in Schweigen.
Doch dann meldete sich die Treuhand mit der Aufforderung, unseren Betrieb zu privatisieren. Den ersten westdeutschen Bewerber – den Hanielkonzern – lehnten wir ab. Wir wußten jedoch, daß wir dem Verlangen nicht würden ausweichen können. Einige Leute im Betrieb empfanden sich als „Freiheitskämpfer“ und versprachen sich von der Privatisierung Erfolg im persönlichen Fortkommen. Sie sollten jedoch schwer enttäuscht werden.
Als sich Franzosen um uns bemühten, zeigten wir uns gesprächsbereit. Sie kamen vom Weltkonzern Cement Français und waren gerade bei dem Versuch gescheitert, das Zementwerk Rüdersdorf zu ergattern. Trotz ihres günstigeren Preisangebots hatte ein BRD-Konzern den Zuschlag erhalten.
Tatsächlich entwickelte sich eine konstruktive Zusammenarbeit mit den Franzosen. Sie schienen unsere Abneigung gegen die neuen deutschen Herren stillschweigend zu teilen. Gemeinsam mit meiner Frau wurde ich zu einem abendlichen Essen in das damalige Hotel Stadt Berlin eingeladen. Zwei freundliche Franzosen führten mit uns ein sehr persönliches Gespräch. Sie interessierten sich für Biographisches, wobei die Sprachkenntnisse meiner Frau für sie von großem Wert zu sein schienen. So wurde ich als kaufmännischer Direktor bestätigt und hatte nun den Privatisierungsprozeß des VEB Stuck und Naturstein, dessen Umwandlung in ein kapitalistisches Unternehmen zu betreiben. Das war eine schmerzliche Erfahrung. In dieser Zeit mußte ich viel lernen und lesen, erahnen und erspüren.
Die Abschlußbilanz des VEB war zu erarbeiten, die Eröffnungsbilanz des „neuen“ Betriebes stand an, das Rechnungswesen war auf elektronische Datenverarbeitung umzustellen, die Produktions- und Finanzberichterstattung zu ändern. Das Schlimmste: Es erfolgten erste Entlassungen. Es galt, neue Bankbeziehungen aufzunehmen, Beschaffungs- und Absatzstrategien an die veränderte Lage anzupassen, Kunden zu finden. Der Kaufvertrag enthielt eine ermutigende Beschäftigungsgarantie auf zwei Jahre für die meisten Stuna-Mitarbeiter, Investitionen wurden zugesagt.
Erstaunt waren wir über den direkten Einfluß unserer Chefs auf die Bewertung des Betriebsvermögens. Flugs wurde „abgewertet“. So erreichte der Grund und Boden – 10 000 m² gut erschlossenes innerstädtisches Gebiet mit bestem Straßen- und Gleisanschluß – pro Quadratmeter nur 50 bis 100 DM. Stuna samt Betriebsgebäude und Produktionshallen war für die Franzosen ein Schnäppchen. An diesem Beispiel läßt sich ermessen, wie die Treuhand das Volkseigentum der DDR regelrecht verschleuderte.
Die Stuna-Beschäftigten waren an Besuche Erich Honeckers im Berliner Bauwesen gewöhnt. Die übertriebenen Vorbereitungen – bis zum gründlichen Fegen des Betriebsgeländes – hatten Verärgerung hervorgerufen. Dennoch war man auf den hohen Besuch und die aufgeschlossenen Gespräche des DDR-Staatschefs mit den Arbeitern stolz. Doch das, was sich nun ereignen sollte, stellte alles Bisherige in den Schatten. Als Gäste waren Bundespräsident Richard von Weizsäcker und Frankreichs Präsident François Mitterrand angekündigt. Stuna stand Kopf. Französische Unternehmer wurden eingeladen, der Präsident des Konzerns sagte sich an, auch Birgit Breuel, die neue rigorose Vorsitzende der Treuhand, war zur Stelle. Zu den Vorbereitungen gehörte der Bau eines Hubschrauberlandeplatzes, die Aufstellung eines großen Versammlungszeltes mit Buffet, eine Ausstellung historischer Natursteinerzeugnisse, die Anfertigung von Naturstein-Putten als Gastgeschenke. Dazu überall Polizei und Sprengstoffhunde, Scharfschützen auf den Dächern. Kostenpunkt: 200 000 DM.
Als beide Präsidenten das Zelt betraten, in dem sie von etwa 100 Personen erwartet wurden, waren sie in ein persönliches Gespräch vertieft. So nahmen sie den Beifall der Anwesenden kaum wahr, traten kurz an den Präsidiumstisch, ließen sich die Geschenke überreichen und verließen nach kurzem Fototermin den Schauplatz des Geschehens. Nachdem sich die allgemeine Verblüffung gelegt hatte, verglichen etliche Stuna-Leute diese Visite mit Erich Honeckers Besuchen. Damals hätten die Menschen doch mehr Beachtung gefunden, meinten einige.
Für mich als kaufmännischen Direktor hatte das Eintreiben von Außenständen großes Gewicht, erwies sich jedoch als ein Kampf gegen Windmühlenflügel. Ich staunte über den Gleichmut des französischen Chefs. Erst später erkannte ich sein Konzept, das nicht auf Großzügigkeit beruhte. Als wir in die roten Zahlen gerieten und die Verluste deutlich „abrechenbar“ wurden, war Insolvenz angesagt. Binnen weniger Monate verlor auch der letzte Mitarbeiter seinen Job. Im Rahmen der vereinbarten Investitionsverpflichtung angeschaffte Betonverarbeitungsmaschinen wurden kurzerhand demontiert und nach Bayern verkauft. Stunas bisheriges Auftragsvolumen verteilte sich nun auf die vielen kleinen Westberliner Firmen der Branche.
Unser Autor war Leiter der Abteilung Bauwesen/Investitionen der SED-Bezirksleitung Berlin
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