Suhler Antifaschisten trotzen Nazi-Renaissance in der BRD
Als „Der einfache Frieden“ erklang
Wie in jedem Jahr traf sich die Basisgruppe der VVN/BdA Südthüringen auch diesmal am 4. und 5. April auf dem Friedhof in Suhl-Heinrichs zu einer Gedenkveranstaltung. Im Auftrag des „Bündnisses für Demokratie, Toleranz – gegen Rechtsextremismus“ sowie unserer Vereinigung pflegen mein Mann und ich ganzjährig diese Stätte des Gedenkens.
Ernst König, Erhard Schübel, Gottlieb Heß waren drei Heinrichser Bürger, die sich im aktiven Kampf gegen Faschismus und Krieg bewährt hatten und unter Hitler ermordet wurden. Ihnen und den über 200 so ums Leben gekommenen Antifaschisten der Region galt einmal mehr unsere Ehrerbietung. Zur Einstimmung vernahmen die Teilnehmer das von Gisela Steineckert geschriebene und durch Klaus Schneider vertonte Lied „Der einfache Frieden“, gesungen von Gisela May. Das war ein sehr starkes emotionales Erlebnis. Unter den Anwesenden sah man Hans Schübel, den Sohn des gefallenen Widerstandskämpfers, und dessen engste Familienangehörige.
Am 4. April vor drei Jahren hatten wir – Dr. Gerd Kaiser, Elke Pudszuhn und ich – unsere Gemeinschaftspublikation „Aufrecht und stark – Frauen und Männer aus Suhl und Umgebung im Widerstand gegen Faschismus und Krieg“ der Öffentlichkeit vorgestellt.
Mit 29 Lebensbildern haben wir den ermordeten Antifaschisten ein Gesicht gegeben, auch weitere 229 Helden in finsterer Zeit mit Biogrammen dem Vergessen entrissen.
Ende März/Anfang April 1945 war Suhl bereits von amerikanischen Truppen befreit. Da wuchs die Hoffnung der von hier stammenden Eingekerkerten auf ein baldiges Ende ihrer Qualen. Die Angehörigen rechneten mit einem Wiedersehen, doch schon bald folgte dem die schmerzliche Gewißheit, daß es nicht mehr dazu kommen werde.
Hans Schübel schrieb später: „Am 28. März 1945 wurde mein Vater vom 2. Senat des Volksgerichtshofes zum Tode verurteilt. Die sogenannten Richter haben Namen und Titel: SA-Obergruppenführer Günther, Kammergerichtsrat Dr. Reimers, Landgerichtsrat Welp sowie Volksgerichtsrat Dr. Koehler.“
In der Nacht vom 4. zum 5. April wurde Erhard Schübel im Webicht bei Weimar erschossen. Mit ihm starben die Suhler Antifaschisten Guido Heym und Robert Gladitz. Insgesamt gingen 149 Kämpfer gegen Faschismus und Krieg diesen Weg, getötet durch Kopfschuß und in Bombentrichtern verscharrt.
Im Todesurteil wurde Erhard Schübel kommunistische Mundpropaganda, Verbreitung illegaler Schriften, Sammlung von Spenden, Herstellung organisatorischen Zusammenhalts durch politische Aussprachen sowie sonstige umstürzlerische Tätigkeit zur Last gelegt. Der Volksgerichtshof kam nicht umhin festzustellen, daß „Erhard Schübel ein geschulter Funktionär war, deshalb auch bei seinen Gesinnungsgenossen ein besonderes Ansehen genoß und schließlich auch einen Meisterposten im Betrieb bekleidete“.
Den Angehörigen war weder das Todesurteil noch die Ermordung ihres Lieben in den letzten Kriegstagen bekannt. Seine Frau Marie wartete noch beim Eintreffen der Alliierten auf ihren Mann. Erst später erfuhr sie von seinem Tod. Ein Grab gibt es nicht. Auch deshalb wurde der Ort des Gedenkens geschaffen. Die Straße, in der das Wohnhaus der Schübels steht, trägt den Namen des durch die Faschisten Hingerichteten. In Suhl-Neundorf gab es eine Erhard-Schübel-Schule. Nach der Annexion der DDR wurde die Gedenktafel gestohlen.
Ernst König, dessen Namen wir ebenfalls an der Statue finden, wurde am 5. Januar 1945 zusammen mit den Widerstandskämpfern der Friedberggruppe im Lichthof des Landgerichts Weimar enthauptet. Ihm zu Ehren erhielt in Heinrichs eine Straße seinen Namen. Am 29. Mai 2010 weihten wir dort einen Stolperstein ein, der an Ernst König erinnert.
Gottlieb Heß, ein anderer durch uns Geehrter, wurde am 13. November 1943 im KZ Buchenwald ermordet. Die Heinrichser Widerstandskämpfer gehörten Gruppen an, die in ihren Wohngebieten, in Rüstungsbetrieben und auch überregional wirkten. Sie sabotierten den Nachschub für die faschistischen Truppen, verbreiteten Nachrichten ausländischer Sender über den Kriegsverlauf, verfaßten Flugblätter und halfen Kriegsgefangenen wie Zwangsarbeitern. Doch Verräter sorgten für ein jähes Ende ihrer illegalen Tätigkeit.
Einer großen Verhaftungswelle folgten Grausamkeiten aller Art. Wieviel Kraft und Standhaftigkeit haben angesichts des Terrors dazu gehört, die eigene Gesinnung nicht preiszugeben. Doch die Gefolterten und für das Schafott Bestimmten blieben sich bis zuletzt treu.
24 Jahre nach der Einverleibung der DDR durch die BRD steht auch in Thüringen von all dem kaum etwas in Geschichtsbüchern. Stauffenberg und andere Männer des 20. Juli 1944 seien fast die einzigen Widerständler gewesen, wird da behauptet. Leute aus dem Bürgertum, die lange für Hitler gekämpft hatten und erst angesichts der nahenden Niederlage des deutschen Faschismus in Aktion traten, gelten als die wahren Helden.
Uns ist es ein wichtiges Anliegen, den antifaschistischen Widerstand aufs engste mit dem heutigen Kampf gegen den wieder erstarkenden Faschismus in Deutschland und Europa zu verbinden. Vor allem die Jugend müssen wir mit der geschichtlichen Wahrheit ausrüsten. In Suhl gelang das durch die Einbeziehung von Schülern in die Ausstellung „Opfer rechter Gewalt seit 1990 in Deutschland“, die 2009 gezeigt wurde. Wir erteilten den Jugendlichen konkrete Aufträge und führten mit ihnen Seminare durch, die ihre Kenntnisse und Erkenntnisse zur Thematik erweiterten. Inzwischen kommen wir aber kaum noch in die Schulen hinein, während die Bundeswehr dort für sich und ihre Kriegseinsätze wirbt.
2011 hatten der CDU-Kreisvorsitzende und die hiesige Junge Union massiv gegen die Suhler Ausstellung der VVN/BdA Südthüringen „Neofaschismus in Deutschland“ interveniert. Man entfernte ohne vorherige Ankündigung Tafeln und bezog Staatsanwaltschaft wie Polizei ein. Doch wir setzten uns durch. Die Ausstellung fand beachtliche Resonanz.
Auch bei Aufmärschen oder Kundgebungen von NPD-Mitgliedern und -Anhängern greift unsere Vernetzung: Die Gegendemonstranten wehren sich erfolgreich mit Aktionen antifaschistischen Charakters. So widersetzten wir uns auch der Hexenjagd gegen die angesehene Geschichtslehrerin Heidemarie Schwalbe, die unserem Bündnis angehört.
Suhl soll nicht länger als Waffenstadt, sondern als Stadt des Friedens gelten, wie es der Stadtrat 1991 beschlossen hatte.
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