Als die Hitlerfaschisten
Jagd auf „entartete Kunst“ machten
Am 1. September 1938 begann in Berlin ein Verkauf von Werken bildender Kunst, den es so zuvor nie gegeben hatte. Die faschistische Regierung erließ ein Gesetz gegen Kunstwerke, die sie für „entartet“ erklärte, als „Verfallskunst“ klassifizierte und aus Museen wie Galerien entfernen ließ. Zur vermeintlichen Abschreckung zeigte sie in München und anderen Städten Werke von 112 schon damals sehr berühmten Künstlern wie Nolde, Marc, Corinth und Feininger. Die anderen wurden in einem Berliner Speicher zwischengelagert.
Hitler, Göring und Goebbels wollten einige dieser Kunstgegenstände gegen Devisen ins Ausland verscherbeln oder gegen andere Kunstwerke, an deren Erwerb Hitler persönlich interessiert war, eintauschen.
Alfred Rosenberg – durch sein Machwerk „Der Mythos des 20. Jahrhunderts“ zum Chefideologen der Nazipartei aufgestiegen – wollte, daß die Werke der „entarteten Kunst“ ebenso öffentlich verbrannt würden wie 1933 Bücher unerwünschter Autoren. Aber da die Kriegsvorbereitungen der Faschisten bereits begonnen hatten, besaß die Devisenbeschaffung Vorrang. Außerdem sympathisierte Goebbels insgeheim mit Teilen der verfemten Kunstrichtung, was er aber nicht zugeben durfte. Als Hitler sich über Gemälde von Nolde und Skulpturen von Barlach in dessen Amtsräumen empörte, plazierte sie Goebbels kurzerhand in seiner Villa auf der Berliner Insel Schwanenwerder. Die Naziführung beauftragte ihn mit dem Verkauf der ausgesonderten Kunstgegenstände. Sein Stab listete diese auf, sonderte einige Werke aus und legte Verkaufspreise für sie fest. Mit dem Absatz betraute er den evangelischen Kunstdienst.
Wie aber kam er ausgerechnet darauf? Es handelte sich um einen Verein für künstlerische Gestaltung unter dem Dach der evangelischen Kirche. Nicht direkt von dieser abhängig, erhielt er aber ihre finanzielle Unterstützung.
Im Frühjahr 1933 – nur Monate nach Errichtung der faschistischen Diktatur – wurde Deutschland eingeladen, sich mit religiöser Kunst an der einjährigen Weltausstellung in Chicago zu beteiligen. Goebbels reichte diese Aufgabe an den evangelischen Kunstdienst weiter. Die Schau verschaffte der Naziregierung Anerkennung: Skulpturen von Barlach und Bilder von Nolde zählten zu den prominentesten Ausstellungsstücken.
Seitdem räumten die faschistischen Spitzen dem evangelischen Kunstdienst etliche Privilegien ein. So überließen sie ihm das Berliner Schloß Niederschönhausen für seine Zwecke. Besonderes Einvernehmen herrschte zwischen Goebbels und dem Leiter des Kunstdienstes Reinhold Schneider. Da verwundert es nicht, daß die Verkaufsschau „entarteter Kunst“ 1938 im Schloß Niederschönhausen stattfand. Über die Preise verhandelten Leute aus dem Umfeld von Goebbels, während die Aufgabe des Kunstdienstes in der Lagerung und Präsentation der Werke sowie dem Empfang der Kunsthändler und sonstiger Interessenten bestand, die mit besonderer Einladung Zutritt erhielten.
Zur Betreuung der Ausstellung stellte Reinhold Schneider die junge Gertrud Werneburg ein. Etwa ein halbes Jahrhundert danach sagte die inzwischen 90jährige dem Kirchengeschichtler Hans Prolingheuer im Interview: „Ich habe mit 175 Ölbildern angefangen, aus denen allmählich 6000, ja sogar 7000 wurden.“ Ununterbrochen seien Möbelwagen vorgefahren und hätten neue Bilder gebracht. Auf Aquarelle folgten die Arbeiten der Künstlergruppe „Die Brücke“ – von Franz Marc bis Christian Rohlfs, von Ernst Ludwig Kirchner bis Otto Dix. Die Kunsthändler hätten sich die Klinke in die Hand gegeben. Einer von ihnen, der Schweizer Theodor Fischer, habe sich 125 Werke aussuchen dürfen, darunter auch das berühmte Selbstporträt van Goghs, „Zwei Harlekine“ von Picasso, überdies Bilder von Chagall, Macke, Marc, Gauguin, Feininger und Nolde sowie Plastiken von Barlach.
Zu Jahresbeginn 1939 lagerten noch etwa 12 000 Arbeiten im Depot. In einem Brief an Goebbels bezeichnete sie ein Mitarbeiter als „Abschaum entarteter Kunst“, der ohne Bedenken verbrannt werden könne. Der NS-Propagandachef ließ indes abermals Bilder zur Valutabeschaffung aussondern. Damit setzte im Schloß Niederschönhausen eine regelrechte Verramschung ein. Gertrud Werneburg erinnert sich, die Werke seien geradezu verschenkt worden, weil die Nazis unbedingt Dollars haben wollten. Da hätten sich die Kunsthändler in einem unvorstellbaren Maße bereichert. Und nicht nur sie, sondern auch große und kleine Nazis, Mitarbeiter des Kunstdienstes und deren Freunde.
Bis in die 80er Jahre folgten Historiker der damals gültigen Version, die Bilder und Skulpturen seien tatsächlich ausnahmslos vernichtet worden. Nach heutiger Auffassung ist es aber wahrscheinlicher, daß lediglich Verpackungsmaterial verbrannt worden ist, um Rosenberg und dessen Leute zufriedenzustellen.
Ein Kunsthändler, der in Niederschönhausen ein- und ausging, muß hier noch erwähnt werden: Bernhard A. Böhmer. Ursprünglich selbst Bildhauer, war er in Güstrow Ernst Barlachs Nachbar. Später wurde er zum engsten Freund und Mitarbeiter des Meisters. Böhmer konnte aufgrund seiner Querverbindungen erreichen, daß Barlach bis zu seinem Tode im Jahre 1938 relativ unbehelligt blieb.
Böhmer erwarb Werke von etwa 170 Künstlern und lagerte viele davon in Güstrow ein. Im Juni 1941 kaufte er für 24 000 Schweizer Franken einen Teil der noch in Niederschönhausen befindlichen Arbeiten. Die übrigen wurden im Keller des Reichspropagandaministeriums deponiert, von wo aus Böhmer sie Ende 1943 ebenfalls nach Güstrow bringen ließ. Goebbels wollte dort ein Nazi-Gegenstück zur Künstlerkolonie Worpswede schaffen. Die Bauarbeiten hatten bereits begonnen, und sein eigenes Wohnhaus war fertig. Er bezog es jedoch nicht, sondern stellte es dem evangelischen Kunstdienst zur Verfügung, der dort um die Jahreswende 1943/44 mit seinen Beständen Einzug hielt.
Als die Rote Armee Güstrow am 3. Mai 1945 erreichte, begingen Böhmer und dessen Frau Selbstmord. Der zwölfjährige Sohn kam mit knapper Not davon. Barlachs Partnerin übergab das nahezu leblose Kind einem Sowjetsoldaten, der es das eingeflößte Gift ausbrechen ließ, so daß der Junge die Schrecken überstand.
Böhmer ist es – wie auch immer – zu verdanken, daß wir heute eine große Anzahl der Werke Barlachs kennen, so auch den Engel mit den Gesichtszügen von Käthe Kollwitz im Güstrower Dom und in Köln. Der Künstler gab ihm den Namen „Der Schwebende“ und schrieb: „Für mich hat während des Krieges die Zeit stillgestanden. Sie war in nichts anderes Irdisches einfügbar. Sie schwebte. Von diesem Gefühl wollte ich in dieser leeren schwebenden Schicksalsgestalt etwas wiedergeben.“
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